Ein toter Engländer. Aus seiner Brust ragt der SS-Dolch eines brutalen Kriegsverbrechers aus dem Zweiten Weltkrieg. Was war das Motiv des Täters? Und was hat Hitlers Buch „Mein Kampf“ damit zu tun? Die Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck nimmt die Ermittlungen auf. Schon bald geraten Hauptkommissar Plossila und sein Team selbst ins Fadenkreuz dunkler Mächte.
„Vor genau zwei Dingen hatte er Angst. Anderen ausgeliefert zu sein und vor Fanatismus. Und er hatte das Gefühl, dass in seiner augenblicklichen Situation beides zusammen kam.“
Jenny Biber steht hier erst vor ihrem zweiten Fall. Voller Elan stürzt sich die junge Oberwachtmeisterin in die Ermittlungen. Doch hat sie bald das Gefühl, von ihren männlichen Kollegen nicht ernst genommen zu werden. Auch ihr Chef scheint sie auf Distanz zu halten, wenn es drauf ankommt. Vertraut er ihr nicht? Sie nimmt sich vor, ihm zu beweisen, dass er auf sie zählen kann. Unfreiwillig hat sie schon bald die Gelegenheit dazu. Der Fall führt sie zurück zu einer längst vergessenen Geschichte. Nur einer hat immer daran gedacht. Jeden Tag. Und all die Jahre.
Markus Ridder ist freier Journalist, Schriftsteller und Kommunikationsberater. Er studierte Politik, Philosophie und Geschichte und absolvierte danach ein journalistisches Volontariat in Frankfurt am Main. Seit dieser Zeit arbeitet er für verschiedene Unternehmen und schreibt für Zeitungen und Zeitschriften. Er lebt mit seiner Tochter in München.
Bisher von Markus Ridder erschienen:
Die Rückkehr des Sandmanns, Tolino Media, 2015
Der Blütenstaubmörder, Pendragon Verlag, 2015/2011
Die Krabbe, Pendragon Verlag, 2009
www.markusridder.com
www.facebook.de/ridderkrimis
DAS
EISEN
ZIMMER
Der zweite Fall für
Heiko Plossila & Jenny Biber
von
Markus Ridder
Copyright: Markus Ridder, Winter 2015/2016
Korrektorat: Dr. Anne Diefenbach
Umschlag: Slobodan Cedic
für Ella
Während des Gewitters ...
Es donnerte. Das Gewitter, wusste er. Weit weg kam es ihm vor, auch wenn es sich direkt über ihm befinden musste. Aber es war gedämpft durch die Mauern, durch die Jahrhunderte, die sich um ihn gelegt hatten wie ein dichter Mantel aus Stein und Zeit. Wie viele Schichten sich dort über ihm türmten, konnte er nicht sagen. So wie eine Leiche in ihrem Sarg nicht sagen konnte, wie viele Kubikmeter Erde man über sie geschaufelt hatte.
Oh Gott, die Särge ...!
Er tastete mit einer Hand über den Boden. Unebener, glatter Stein, körniger Sand. Der Stein fühlte sich gut an, schmeichelte der Hand, so glatt, so abgeschliffen. Er kannte das aus alten Klöstern, aus Innenhöfen. Mönche waren hier Jahrhunderte auf und ab gelaufen, so lange, bis sie damit den Granit zu ihren Füßen poliert hatten. Seine Fingerkuppen stießen an etwas Festes links oberhalb seines Kopfes. Ein Tischbein, nahm er an. Er bohrte einen Nagel hinein, weiches Holz, vielleicht Kiefer oder Fichte. Deutlich spürte er vereinzelte Kerben, hier kleiner, dort größer und tiefer. Das Holz fühlte sich rau an, porös wie alter Putz kurz vor dem Abbröckeln.
Auf der anderen Seite war nichts. Er lag auf dem Rücken und bewegte den Arm von oben nach unten und wieder zurück. So wie damals in seiner Kindheit, wenn sie „Mann im Schnee“ gespielt hatten. Manchmal war man gegen irgendetwas gestoßen, einen Grasbüschel vielleicht oder einen Schlitten, der im Weg stand. Aber hier war nichts. Sein Arm glitt über den glatten Boden wie über eine zarte Schicht aus Eis.
Die Augen wagte er nicht zu öffnen.
Sein rechtes Bein lag leicht erhöht, das linke war gebeugt, die durchweichte Ledersohle seines Schuhs berührte den linken Unterschenkel. Er fühlte in sich hinein. Die Beine schienen in Ordnung zu sein, der Schmerz begann erst weiter oben, am Steiß. Er musste darauf gefallen sein, als er auf den Boden gestürzt war. Wann war das gewesen? Vor fünf Minuten? Vor fünf Stunden? Vor fünf Tagen?
Nein, so lange konnte es nicht her sein. Dann wäre seine Kleidung inzwischen wieder getrocknet. Doch sie war noch immer klamm, klebte an seiner kalten, durchweichten Haut. Er wünschte, er könnte sie ausziehen, in etwas anderes schlüpfen. Für einen Augenblick träumte er von einem weichen Handtuch, von dicken Socken und einem heißen Tee.
Die Särge ...!
Am Oberkörper hatte er eigentlich keine Schmerzen. Noch nicht einmal sein Rücken machte ihm zu schaffen, der ihn sonst ständig peinigte. Und auch die kalte Stelle, die sich in seiner Brust eingenistet hatte, schien verschwunden zu sein. Wie ein faustgroßer, vor Kälte dampfender Keil aus Eis hatte es sich angefühlt. Er war durch das finstere Gewölbe geschritten und hatte ihn direkt unterhalb seines Herzens gespürt. Wie die Spitze eines Speeres hatte er dort gesteckt.
Er nahm die rechte Hand vom Boden und fuhr damit über seine Brust. Doch da war nichts. Ein feuchtes Hemd, zwei Knöpfe, die offen standen, die Kette mit dem Wassermann-Medaillon, die ihm Carla zu seinem dreiundvierzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Immer wenn er sie besuchen kam, achtete sie darauf, dass er sie trug. „Sie beschützt dich“, hatte sie gesagt. Er nahm sie in seine Faust, dachte ganz fest an seine Tochter.
Das gab ihm Kraft. Er spürte, wie die Wärme durch seinen Körper zog. Wie dünne, warme Fäden stob die Energie durch seine Hand, seinen Arm bis zu seinem Oberkörper.
Würde es reichen, damit er aufstehen konnte?
Er wusste es nicht.
Der größte Schmerz saß unterhalb seines linken Auges. Das heißt, es war kein Schmerz im eigentlichen Sinne. Es fühlte sich taub an, und als liege dort etwas Schweres, etwas, das auf ihn gekippt war, ein Auto, ein Kleiderschrank, ein Walfisch. Es fühlte sich an, als sei dort irgendetwas eingedrückt worden, als seien die Knochen der Stirn, der Augenhöhle und der Wange auf eine Ebene gepresst worden, als befinde sich dort eine gerade, glatte Fläche wie der Steinboden, den er nach wie vor unter seiner linken Hand spürte. Dennoch hatte er den Eindruck, als würde es erst so richtig wehtun, wenn man die Last von seinem Gesicht wälzte. Solange das da auf ihm lag, dachte er, so lange war alles gut.
Er ließ das Medaillon los, steckte es zurück unter das Hemd und schob seine rechte, zitternde Hand langsam nach oben.
Der Kehlkopf lag knorpelig und spitz unter seiner Haut, als wolle er sie jeden Moment durchstoßen. Dann das Kinn, stoppelig und mit einer Schicht aus Schweiß und Staub überzogen. Ein paar Haare noch an seiner Wange, viel zu lang bereits, um noch als Drei-Tage-Bart durchzugehen. Anschließend ein Wulst, keine gerade Fläche also. Seine Fingerspitzen tasteten sich stattdessen über aufgeblähtes Fleisch, weich wie Hefeteig fühlte es sich an. Während er die Fingerspitzen über die Schwellung schob, drückte er sie immer wieder leicht hinab. Knapp unterhalb der Wange konnte er die Finger bis zum Mittelgelenk in das weiche Fleisch hineinbohren. Erst als er auf der Höhe des Jochbeins angelangt war, durchzog ihn der Schmerz. Ein stechender Schmerz, ein bestialischer Schmerz.
Er stieß einen unterdrückten Schrei aus, sein Oberkörper krümmte sich, seine Knie schossen nach vorne. Unter seinen geschlossenen Lidern glühten rote und gelbe Fäden vor einem violetten Hintergrund.
Verflucht noch mal!
Doch es war nur ein kurzer Schmerz. Einem tiefen Stich gleich, der sich schnell wieder verflüchtigte. Er blieb für einige Atemzüge reglos liegen, sog den eigenartigen Geruch ein, der ihn umgab. Er erinnerte ihn an etwas, erinnerte ihn an jemanden. Doch er wusste nicht, wer es war. Es roch nach altem Fell, nach dampfenden Kartoffeln und ranziger Butter. Es roch fast so, als wäre hier unten noch jemand. Aber das konnte wohl kaum sein.
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