„Guter Punkt“, sagte Dollar und legte das Messer wieder auf den Schreibtisch. Er platzierte es genau auf einem noch mit Babykacke beschmierten Wattepad, das er offenbar übersehen hatte, als er eben das Reinigungsmaterial entsorgt hatte. „Verflucht!“, stieß er aus und begann fieberhaft nach den Feuchttüchern in seiner Wickeltasche zu suchen. Sie stand genau auf dem Platz, wo er sonst seine Arbeitsmappe positionierte. Während er schließlich die Plastiktüte abwischte, sagte er: „Über den Hintergrund Middlemans muss ich ja nichts mehr sagen, ihr habt ja sicherlich alle den Zeitungsartikel gelesen ... Plossila?“
„Ja, ja klar, habe ich gelesen. Aber falls ihr noch irgendwo eine Ausgabe findet, ich glaube, die Kleine hier kennt noch nicht alle Details.“
Dollar blickte seinen Chef irritiert an und wenn Plossila das richtig sah, tauschte er mit Jenny einen abfälligen Blick aus. Jenny hatte mittlerweile ihren sicheren Platz hinter der Yuccapalme verlassen und sich auf den gelben Plastikball gesetzt, den irgendjemand einmal beim Materialservice geordert hatte, um seine Rückenschmerzen in den Griff zu bekommen. Dollerschell sagte: „Laut diesem Journalisten deutet alles in die Richtung von Neonazis.“
„Nicht auszuschließen, dass hier einer eine falsche Spur legt, es wäre nicht das erste Mal“, gab Plossila zu bedenken.
Jenny meldete sich zu Wort: „Die Zeugenbefragung im Altersheim brachte aber ein ähnliches Bild. Karl Donhofer, kennt den jemand?“
Die beiden Männer schüttelten den Kopf, das Baby gluckste, weil Plossila ihm immer wieder den Finger wegzog und hinhielt.
„Der war mal Kommissar bei uns, muss aber schon länger her sein. Nachkriegszeit oder so. Jedenfalls hat dieser Donhofer Middleman mit Skinheads im Alten Hasen gesehen. Einer hatte eine Totenkopftätowierung. Bei dem Opfer haben wir ein T-Shirt der Gruppe Combat 18 gefunden, die auch in dem Artikel erwähnt wird. Ihr Logo besteht ebenfalls aus einem Totenkopf. Nicht auszuschließen, dass das der Grund war, warum Middleman hier war: eine Besprechung einer bestimmten Nazigruppierung, um eine internationale Geschichte zu vereinbaren.“
Frage Nummer Eins: Was machte Middleman hier in Deutschland, ging es Plossila durch den Kopf. Er wusste nicht, was Combat 18 war, aber wenn er Gesinnungsgenossen getroffen hatte, konnte diese Besprechung der Grund für seine Reise nach Landsberg sein. Verdammt, er musste wissen, was in dem Artikel stand. Er sagte: „Gut, die Nazis treffen sich im Alten Hasen. Doch warum sollte einer den anderen umbringen? Kam es zu einem Streit?“
„Darüber haben die Zeugen leider nichts gesagt.“
„Was ist mit Esch – er muss die Gruppe auch bemerkt haben. ‚Ich will keinen Ärger haben‘, hat er gesagt. Jetzt wissen wir warum: Diese Jungs sind in der Lage, eine Menge Ärger zu machen. Wir müssen ihn noch mal ins Gebet nehmen. Dollar, kannst du das erledigen? Jenny und ich hatten wenig Glück. Und: Was wissen wir über Nazis in der Region, Dollar?“
Das Kind jauchzte vor Freude und Plossila hatte das Gefühl, Dollerschell schaue ein wenig eifersüchtig zu ihm und seiner Katharina herüber. „War ruhig in letzter Zeit, glaube ich ...“, sagte er.
„War da nicht was mit einem Grünen-Politiker neulich?“, fragte Jenny.
„Ach ja, stimmt, die Kollegen haben da ermittelt. Ich glaube, es gab eine Nazidemonstration auf dem Hauptplatz von Landsberg, ein Grünen-Politiker hatte ein Schild hochgehalten mit Nazis raus, was die da halt immer so haben. Und dann hat er einen Schlag ins Gesicht bekommen, musste ins Krankenhaus.“
„Und die Polizei? Die muss doch da gewesen sein, wenn es eine Demo gab“, sagte Jenny.
„Ja, ja, waren da.“
„Und?“
„Die haben dem Grünen-Politiker das Plakat abgenommen.“
„Und der Schläger?“
Dollerschell atmete laut und vernehmbar aus. „Der war dann weg.“
„Meisterleistung“, sagte Jenny.
Dollar zuckte mit den Schultern. „Ich recherchiere mal, was es in letzter Zeit an rechtsradikalen Aktivitäten gab und wo die Hauptnester sind. Wir sollten das Thema nicht unterschätzen, diesen Fehler haben andere vor uns gemacht. Stichwort NSU-Skandal.“
Plossila nickte. „Dollar, noch mal zurück zum Tatort, was gab‘s da noch an Zeugenaussagen, als wir weg waren?“
„Ach ja, das ist interessant: Der Büroangestellte einer Computerfirma, die sich gleich gegenüber dem ehemaligen Autohaus befindet, gibt an, dass er beinahe von einem Wagen mit Anhänger umgefahren worden ist, als er nach Hause ging.“
„Wann war das?“
„Kurz nach neun, würde also passen. Der Wagen soll aus einer Parkbucht vor dem Autohaus gefahren sein. Allerdings kann er sich nicht an das Modell des Autos erinnern. Etwas Kleineres, meint er, vielleicht Golf oder Skoda, er wusste es nicht genau.“
„Wir sollten dieser Autovermietung einmal einen Besuch abstatten“, sagte Jenny und wippte ungeduldig auf ihrem Ball umher.
„Könnte ich heute Nachmittag übernehmen“, sagte Dollerschell.
„Was ist eigentlich mit dem Namen auf der Rechnung dieses Autohauses. Der, die wir im Alten Hasen gefunden haben? Hattest du nicht gesagt, dass dir der Name etwas sagt, der hinten drauf gekritzelt war?“
Plossila hatte gestern nicht mehr erklärt, woher er Adrian von Dost kannte. Er wollte auf Nummer sicher gehen und den Namen abends zunächst bei Google eingeben. Aber er hatte sich nicht getäuscht, die Suchergebnisse ließen keinen Zweifel zu. Er blickte zu Jenny. „Adrian von Dost ist einer dieser rechten Strippenzieher. Er saß ein paarmal im Knast wegen kleinerer Gewaltdelikte, hält sich aber in letzter Zeit vornehm im Hintergrund, sieht sich als Kopf der Bewegung, wenn du so willst. Wir sollten ihn so bald wie möglich in die Mangel nehmen, aber vorher will ich noch etwas mehr über die Hintergründe wissen, vor allem über diesen Dolch.“
„Wenn er der Kopf dieser Bande ist, passt er vielleicht zu der Beschreibung, die mir der alte Kommissar aus dem Altenheim gegeben hat. Hat Dost so eine Föhntolle?“
„Wo du es sagst – könnte tatsächlich sein.“
„Dann wissen wir schon mal, mit wem Middleman noch kurz vor seinem Tod gesprochen hat.“
„Wir sollten dennoch ein kleines Memo zusammenstellen, über die aktuellen Aktivitäten der Rechtsradikalen in den angrenzenden Landkreisen. Dollar, kannst du das ebenfalls übernehmen?“
„Muss es wirklich ein Memo sein? Reicht es nicht, wenn wir unseren Experten in Sachen Extremismus befragen oder ihn kurz referieren lassen?“, fragte Dollerschell.
„Auch gut, wer sitzt derzeit auf dem Thema?“
„Mäuser.“
Plossila zuckte leicht zusammen, als er den Namen seines Kollegen hörte. Er war heute Morgen nicht gerade freundlich mit ihm umgegangen, nicht auszuschließen, dass Mäuser eine Entschuldigung erwartete oder zumindest eine Erklärung. Das Baby in seinem Arm schien seine Nervosität zu spüren, wurde ebenfalls unruhig und begann, unregelmäßige Quieklaute auszustoßen.
„Gut, dann soll er das tun. Hier ist deine Kleine ...“ Plossila schob das Baby auf den Arm seines Vaters, wo es von alleine den Schnuller fand, der nach wie vor an einem grünen Band von Dollars Pullover baumelte. Es war augenblicklich still. „Jenny und ich werden zu diesem Waffenhändler in der Landsberger fahren und schauen, was sich da ergibt.“ Er blickte auf das Kind: „Wenn ich das richtig verstanden habe, kannst du ja bis mittags ohnehin schlecht weg.“
Die Antik- und Waffenloge lag etwas von der Straße zurückgesetzt, ein weißer Stuhl stand seitlich vor der Tür, die dennoch geschlossen war. Das Schaufenster wurde von einer schellackpolierten Kommode mit bauchigen Schubladen und verzierten Beschlägen eingenommen, daneben befand sich eine Vitrine, die aus Plossilas Sicht allerlei Nippes enthielt: geblümte Vasen, grün angelaufene Münzen, ein Marmor-Pferd, das auf den Hinterbeinen stand, goldgerahmte Eierbecher, kleine Tässchen und schwarze Figuren mit roten Mützen, die offenbar Mohren darstellen sollten. Waffen sah Plossila fürs Erste nicht.
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