
Vergleich der Vertragsinterpretation
Zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung werden Begriffe und Formulierungen verwendet, um die Absichten der Vertragsparteien festzuschreiben. Auch wenn den Geschäftspartnern die Begriffe zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung klar und eindeutig erscheinen mögen, so können sich im Laufe der Vertragsabwicklung durch weitere Mitarbeiter oder geänderte Randbedingungen neue Gesichtspunkte ergeben, die eine neue, andere Interpretation des geschriebenen Textes zu lassen. Wenn die
Vertragsparteien sich nicht intern über die Interpretation einigen können, muss ein Richter (oder Schiedsrichter) den Vertragstext interpretieren. Je nach Rechtssystem verläuft diese Methode unterschiedlich.
Bevor ein Gericht sich jedoch die Mühe der Interpretation macht, prüft es, ob der Vertrag rechtswirksam ist. Maßgebliche Gründe, einen Vertrag als nicht rechtswirksam zu erklären, finden sich, wenn der Vertragsgegenstand nur sehr vage definiert wurde und/oder die beabsichtigte Leistung und Lieferung sich nicht aus dem Vertrag erschließt. Auch wenn nach deutschem Recht ein Vertrag zustande gekommen ist, so kann ein amerikanischer Richter die Rechtswirksamkeit völlig anders interpretieren. Es reicht, dass der Richter nicht Willens ist, den Vertrag aufgrund von Mängeln anzuerkennen, um die Rechtswirksamkeit zu verlieren. In diesen Fällen erübrigt sich die Frage nach der weiteren Interpretation.
Interpretation des Vertrages nach deutschem Recht
(siehe auch: BGB Einleitung, Anwendung und Auslegung des Privatrechts)
Regel 1. Eindeutigkeit wird nicht interpretiert
Die grundsätzliche Regel bedeutet, dass ein eindeutiger Text keine Interpretation zulässt. Sofern Zweideutigkeit vorliegt, wird gemäß der folgenden Systematik vorgegangen:
Regel 2: Grammatikalische Interpretation
Bei dieser Regel wird versucht, durch grammatikalische Untersuchung des Textes eine eindeutige Bedeutung herbeizuführen.
Regel 3: Systematische Interpretation
Bei der systematischen Interpretation wird der gesamte Vertrag herangezogen und untersucht, ob andere Textpassagen den zweideutigen Teilbereich erklären
Regel 4: Historische Interpretation
Für die historische Interpretation werden weitere Dokumente (Besprechungsberichte, Briefe, Vorab-Verträge, etc.) herangezogen. Grundsätzlich besteht insoweit Rechtssicherheit als ein deutscher Richter die Frage nach den Gründen der Interpretation beantworten kann.
Regel 5: Teleologische Interpretation
Bei der teleologischen Interpretation geht es um die Absicht der Parteien zum Zeitpunkt der Vertragsschließung. Sofern dieser Wille unklar ist, wird von einem hypothetischen willen ausgegangen. Als Grundlage für den hypothetischen Willen wird vorausgesetzt, dass die Vertragsparteien einen fairen und vernünftigen Vertrag abschließen wollten.
Interpretation des Vertrages in den Vereinigten Staaten
Ein amerikanischer Richter besitzt weitergehende Ermessensfreiheiten als z.B. ein deutscher Richter. Salopp formuliert könnte man sagen, dass die Methode nicht dem Recht folgt, sondern das Recht der Methode. Im Allgemeinen haben sich fünf Regeln etabliert:
Regel 1: Die eindeutige Bedeutung
Wie bei kontinentalen Recht ist die Interpretation eindeutiger Texte untersagt. Dieser Ansatz wird allerdings in letzter Zeit immer häufiger mit dem Hinweis in Frage gestellt, dass es niemals eine absolut eindeutige Definition gibt. Um sonstige Dokumente auszuschließen, besitzen diese Verträge eine „Entire Agreement“ Klausel.
Regel 2: Interpretation auf Basis der Absichten der Parteien
Es wird davon ausgegangen, dass die Parteien die Vereinbarung mit guten Absichten und nicht unter Verwendung von Tricks, Geheimnissen, etc. schließen wollten.
Die Interpretation soll ein zulässiges Ergebnis bringen, dass nicht gegen geltendes Recht verstößt
Die Interpretation soll ein absurdes Ergebnis vermeiden
Die Interpretation soll unnötige Härten vermeiden
Regel 3: Interpretation von Worten
Bei der Interpretation von Worten gilt der Grundsatz, dass die Bedeutung der fraglichen Begriffe dem üblichen Verständnis und Interpretation einer „normalen“ Person entspricht. Sofern es sich um technische Fachbegriffe handelt, wird die übliche Interpretation innerhalb dieses Industriebereiches gewählt.
Regel 4: Der Vertrag als Ganzes wird herangezogen
Bei der Interpretation der strittigen Aussagen wird der Vertrag als Ganzes als Grundlage verwendet.
Regel 5: Die Interpretation berücksichtigt die Geschäftsbeziehung
In diesem Fall werden frühere Geschäftsbeziehungen derselben oder ähnlichen Art zwischen den Parteien zu Rate gezogen. Als Grundlage dienen alte Verträge, übliche Handelspraktiken, der Vertragszweck, Marktbedingungen zum Zeitpunkt der Unterschrift, usw. Diese Regel entspricht nicht der Regel nach deutschem Recht, auch historische Dokumente zur Urteilsfindung heranzuziehen.
Grundsätzlich gilt die Regel, dass nur der Vertrag die Absichten der Parteien beschreibt. Frühere oder sonstige Dokumente spielen dabei keine Rolle. Dieses Prinzip wird auch die "Parol Evidence Rule" genannt. Da es zum Teil Vorfälle gegeben hat, bei denen Dokumente außerhalb des Vertrages zur Urteilsfindung herangezogen wurden, ist man im Allgemeinen dazu übergegangen, einen speziellen Absatz in den Verträgen aufzunehmen, der sonstige Dokumente ausdrücklich ausschließt (Entire Agreement).
Interpretation bei europäischem Vertragsrecht
Innerhalb der EU gibt es das Bestreben, eine Harmonisierung der Gesetzgebung herbeizuführen. In diesem Zusammenhang werden zurzeit Bestimmungen erarbeitet, die unter dem Titel „Grundregeln des europäischen Vertragsrechts der Kommission für europäisches Vertragsrecht“ ein allgemeines europäisches Privatrecht definieren. Diese Regeln lassen sich bereits heute individualvertraglich zwischen den Parteien vereinbaren.
Der Vorschlag der Kommission zur Vertragsauslegung, ist im Artikel 5:101 „Allgemeine Auslegungsregeln“ wie folgt zusammengefasst:
(1) Ein Vertrag wird nach dem gemeinsamen Willen der Parteien ausgelegt, auch wenn dieser nicht mit dem Wortlaut der Erklärungen übereinstimmt.
(2) Wenn feststeht, dass eine Partei den Vertrag in einem bestimmten Sinne verstanden wissen wollte und diese Absicht der anderen Partei bei Vertragsschluss nicht entgangen sein konnte, wird der Vertrag in der dem Willen der ersten Partei entsprechenden Weise ausgelegt.
(3) Wenn ein Wille nach Absatz (1) oder (2) nicht festgestellt werden kann, ist der Vertrag in dem Sinne auszulegen, den ihm vernünftige Personen von derselben Art wie die Parteien unter denselben Umständen geben würden.
Diese allgemeinen Auslegungsregeln werden im Artikel 5:102 „Erhebliche Umstände“ durch weiterführende Vorgaben unterstützt, die unter anderem die Umstände, den Zweck und übliche Gebräuche berücksichtigen. Ziel dieser Interpretation ist die Identifikation des Willens der Parteien zu dem Zeitpunkt, als der Vertrag geschlossen wurde.
Weitere Regeln zur Auslegung sind die Folgenden Vorschläge:
Artikel 5:103: Contra Proferentem-Regel
Wenn Zweifel über die Bedeutung einer nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingung bestehen, wird eine Auslegung der Bedingung zu Lasten der Partei bevorzugt, welche die Bedingung verwandt hat.
Artikel 5:104: Vorrang von ausgehandelten Bedingungen
Individuell ausgehandelte Bedingungen haben Vorrang vor solchen, die nicht individuell ausgehandelt worden sind.
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