Verdammte Scheiße, was war das gewesen? Ich hatte sie nur am Arm festgehalten und sie sah aus, als würde sie mit einem Schlag von mir rechnen! »Es ... tut mir leid«, stammelte ich und fuhr mir völlig überfordert durch die verschwitzten Haare. »Ich wollte nur ... sag deinem Vater, dass ich morgen in seine Halle komme. Zwölf Uhr.«
Ein leichtes Nicken zeigte mir, dass sie mich verstanden hatte. Dann drehte sie sich um und war endgültig verschwunden, während ich da stand, den Zettel mit der Adresse in meiner Hand hielt und ihr nachstarrte.
Eine gute halbe Stunde später hämmerte ich mit den Fäusten gegen Dog’s Trailer. Mein Freund wohnte in diesem, seitdem er die Boxhalle samt Grundstück gekauft hatte, weil er sich nicht die Instandhaltung und eine Wohnung leisten konnte, schien aber mit diesem Arrangement ziemlich zufrieden zu sein. Es dauerte eine Weile, bis er ziemlich verschlafen die Tür aufmachte und mir klar wurde, dass es mitten in der Nacht war.
»Aidan, ich schwöre dir, wenn es nicht wichtig ist ...«, knurrte Dog mich an, während ich mich schon an ihm vorbei ins Innere drängte. Ohne auf sein Gemurre einzugehen, hielt ich ihm die Karte hin, die Pastrows Tochter mir gegeben hatte. Fast augenblicklich verstummte Dog und riss die Augen weit auf.
»Das ... das ist ...«, stammelte er.
»Ja, ich weiß. Eine Karte, auf der die Adresse von Pastrows Box-Schuppen steht«, half ich ihm auf die Sprünge.
»Nein, Mann!«, von Müdigkeit war bei Dog schlagartig nichts mehr zu spüren. »Das ist deine verdammte Fahrkarte in die Oberliga! Wer hat dir das gegeben?«
Ich rollte mit den Augen. »Janka Pastrowa.«
Dogs Kopf ruckte hoch. »Du verarschst mich! Die Janka Pastrowa? Alexej Antonowitschs Schnalle?«
Diesmal war es mein Kopf, der in die Höhe schnellte. Entsetzt starrte ich ihn an, der Name Antonowitsch war mir bekannt, der Kerl war immerhin einer der besten, wenn nicht der beste Kämpfer in New York. Dog griff nach meinem Arm und zog mich zu der kleinen Sitzgruppe im Wohnwagen. Seine Augen glänzten aufgeregt. »Du musst mir alles erzählen, Aidan. Alles, hörst du?« Amüsiert über seine Euphorie erzählte ich ihm, was sich ereignet hatte. Die blanke Panik in Jankas Gesicht ließ ich jedoch aus. Das hatte hier nichts zu suchen.
Als ich geendet hatte, strahlte Dog über beide Ohren. »Das ist der Wahnsinn, Aidan. Du bist erst seit sechs Wochen wieder im Geschäft und hast eine verfickte Einladung von Juri Pastrow bekommen!« Natürlich hatte er recht. Ich hatte selbst nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Zwar hatte ich seither nicht einen Kampf verloren und meine Quote bei den Buchmachern war auch nicht mehr die schlechteste, aber dennoch – es war noch nicht ein wirklich namhafter Gegner dabei gewesen.
»Du kommst mit mir«, sagte ich daher und sah Dog an. Dieser hob beide Hände und schüttelte vehement den Kopf.
»Kannst du vergessen, Mann. Ich wurde nicht eingeladen. Man geht nicht in den Schuppen von Juri und bringt einfach Freunde mit.«
Ich runzelte die Stirn. Noch ein Ding mehr, das mir nicht in den Kram passte. Als ich Janka sagte, dass ich mir nicht gern etwas vorschreiben ließ, hatte ich nicht gelogen. Ich hasste es, wenn jemand glaubte, das Recht zu besitzen, mir Vorschriften machen zu dürfen. Eines meiner Probleme bei der Polizei. Ich konnte mich einfach nicht gut genug unterordnen.
Gäbe es da nicht die leise Stimme in meinem Kopf, die mich ermahnte, dass genau das, was gerade passierte, mein Ziel war – ich hätte spätestens jetzt alle Pläne über den Haufen geworfen und Juri Pastrow einen guten Mann sein lassen. Aber ich musste die Zähne zusammenbeißen und mich dem Spiel fügen. Seufzend schüttelte ich den Kopf. »Ich werde morgen dort aufkreuzen und dann sehen wir weiter.«
Dog beugte sich zu mir und warf mir einen beschwörenden Blick zu. »Aidan, versau das nicht! Wenn du dir wirklich einen Namen machen willst in diesem Business, dann kommst du an Juri nicht vorbei. Er hat das Ding hier fest in der Hand. Er gibt keine zweiten Chancen. Niemals.«
Ich winkte ab und erhob mich. »Ja ja ...« Dog hielt mir die Karte entgegen, die ich wieder an mich nahm und sicher verstaute. »Schlaf jetzt, Mann. Wir sehen uns morgen!« Meine nächsten Schritte standen schon fest, denn ich musste zum ersten Mal Kontakt aufnehmen. Die Nummer hatte sich in mein Gehirn gebrannt und ich war gespannt, wie man dort reagieren würde.
***
Auf den ersten Blick sah der Club von Juri Pastrow aus wie jeder x-beliebige, absolut unspektakulär. ›sobaka krovi‹ stand in großen Lettern auf dem Schild, welches ansonsten nur zwei gekreuzte Boxhandschuhe zeigte. Ich weiß nicht, was genau ich erwartet hatte, aber ein Hauch von Enttäuschung machte sich in mir breit. Natürlich war ein Unterschied zu Dogs Laden zu sehen, aber alles in allem wirkte dieser Laden unscheinbar und das war mit Sicherheit auch so beabsichtigt. Nicht auffallen, lautete die Devise in diesen Kreisen.
Darum bemüht, mir die nun doch langsam aufsteigende Nervosität nicht anmerken zu lassen, ging ich auf die schwere Metalltür zu und öffnete sie. Der Geruch von Schweiß schlug mir entgegen und obwohl der Laden gut ausgeleuchtet war, musste ich zunächst blinzeln, ehe sich meine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.
Überrascht registrierte ich, dass im Inneren alles doch kleiner war, als es von außen den Anschein erweckte. Ich stand in einer Halle, in deren Mitte ein Boxring stand, der von einigen Sandsäcken zum Trainieren umgeben war. Diverse Türen, teils offen, teils geschlossen, führten offensichtlich in Büros für die Angestellten und ein Gang an der Seite vermutlich zu den Umkleiden. Einige Büros schienen besetzt und im Ring trainierten zwei junge Männer, angeleitet von einem muskulösen Mann mit einer Trillerpfeife zwischen den Zähnen. Dezente Musik ertönte aus den im Raum verteilten Boxen.
Das automatische Zuschlagen der Metalltür in meinem Rücken hallte wie ein Donnerschlag durch den Raum und abrupt besaß ich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden in diesem Raum. Das Muskelpaket aus dem Ring sprang überraschend schnell über die Seile desselben und kam auf mich zu. »Wer bist du und was willst du hier?«, fragte er mich mit deutlich russischem Akzent. Schweigend hielt ich ihm die Karte entgegen, die ich von Janka bekommen hatte.
Ein kurzer Blick genügte wohl, dann nickte der Typ und wandte sich um. »Mitkommen«, wies er mich knapp an. Ich folgte ihm, meinen Blick neugierig schweifen lassend. Vor einer geschlossenen Bürotür blieb er stehen und klopfte. Als von drinnen die Aufforderung erklang, einzutreten, öffnete er die Tür und warf einen Blick hinein.
»Boss, hier is einer mit deiner Karte!«, erklärte er und schob mich in das Büro hinein. Ehe ich mich versah, war die Tür hinter mir zu und ich blickte in die Mündung einer Waffe. Gehalten wurde sie von Juri Pastrow selbst, und direkt neben ihm standen Alexej Antonowitsch und – Janka. Langsam hob ich meine Hände an, drehte die Handinnenflächen nach außen und streckte ihm die Karte so entgegen, dass er sie sehen konnte.
»Du bist also Mir. « Pastrow umrundete mich, die Waffe weiterhin auf mich gerichtet und tastete mich gleichzeitig mit der anderen Hand ab. »Kleiner, als ich dachte – aber meine Tochter sagt, du bist ein guter Kämpfer.« Nachdem er auch meine Trainingstasche durchsucht hatte, ließ er die Waffe sinken und trat einige Schritte von mir zurück. Ich entspannte mich ein wenig, hielt seiner Musterung stand. »Warum sollte ich dich für mich kämpfen lassen?«
»Weil ich der Beste werden kann«, gab ich mit fester Stimme zurück. Hinter Juri hörte ich Alexej auflachen.
»Der Beste?« Antonowitsch schob Janka ziemlich unsanft zur Seite, glitt an Pastrow vorbei und baute sich vor mir auf. Ich war nicht klein, aber der Kerl überragte mich um eine Kopflänge. »So schmächtig wie du war ich selbst mit 14 nicht. Ganz schön große Fresse, meinst du nicht auch?« Ich hob langsam meinen Kopf und sah Alexej ins Gesicht.
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