Ich hatte eine Tasche voll mit Geld bekommen, wirklich viel Geld - die ich in einem Schließfach meiner Bank deponiert hatte und eine Telefonnummer, die ich mir einprägen musste. Diese Nummer war nicht nur dafür gedacht, sollte ich erfolgreich sein, sondern auch mein einziger erlaubter Kontakt zur Polizei. Nur unter diesen Zahlen würde ich jemanden erreichen, der die Wahrheit kannte, den ich informieren und der mir dann helfen konnte. Ansonsten war ich vollkommen auf mich allein gestellt. Ich, Aidan O’Connor, die aktuell schlimmste Schande der Polizei.
Es gab einen Vertrag, den nicht nur ich, sondern auch der Chief und Mahony unterschrieben hatten. In diesem war klar festgelegt, dass ich als Undercoveragent auch Dinge würde tun müssen, die nicht mit dem Eid einhergingen, den ich als Polizist geschworen hatte. Hierfür wurde mir absolute Straffreiheit garantiert, und dieser Vertrag beinhaltete wirklich alles. Ich wusste aus Erfahrung, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit auch würde töten müssen – auf der Straße überlebten nur die Harten.
Das Töten war auch der Punkt gewesen, bei dem ich am längsten gezögert hatte. Ich war damals nur knapp mit dem Leben davongekommen, während mein bester Freund Jonathan nicht so viel Glück gehabt hatte. Ich hatte dabei zugesehen, wie er elendig verreckt war, während unsere sogenannten Freunde mit wehenden Fahnen flüchteten. Aber ich war geblieben. Ich hatte ihn gehalten und leise mit ihm geredet, bis seine Augen vor meinen brachen. Denn so tragisch das damals auch alles war, für mich stand fest, dass Jon mir mit seinem Tod das Leben gerettet hatte.
Als er beerdigt wurde, kam die ganze Gang auf den Friedhof. Ich stand an seinem Grab und konnte die Scheinheiligkeit dieser Bastarde nicht glauben. Sie hatten ihn liegenlassen wie Vieh, und nun standen sie hier und taten so, als sei nichts passiert? Ich weiß nur aus Erzählungen, was an diesem Tag passierte. Für mich sind die Ereignisse bis heute hinter einem Nebel verborgen, und darüber nachzudenken bereitete mir nur Kopfschmerzen.
Ich habe sie platt gemacht. Einen nach dem anderen. Jeden einzelnen habe ich ins Krankenhaus geprügelt, wie ein Berserker gewütet – so wurde es mir später erzählt. Man sperrte mich für vier Wochen in den Jugendarrest. Und dann geriet ich an eine Richterin, die offenbar hinter den Aggressionen, hinter denen ich mich versteckte, das Kind sah, das ich tief in meinem Inneren noch war.
Sie steckte mich nicht zurück in den Knast, wie es jeder erwartet hätte. Nein, sie schickte mich auf die Sozialstation im Krankenhaus. Dort musste ich Ärsche abwischen und alten Leuten stundenlang dabei zuhören, wie sie mir Dinge aus ihrem Leben erzählten, die mich nicht im geringsten interessierten. Alles, was ich wollte, war, meine Zeit abzusitzen.
Aber du musst aus Stein sein, wenn dich das, was du in solch einer Station erlebst, nicht irgendwie berührt. Und so begann ich, mich zu verändern. Es ging nicht von heute auf morgen, aber es passierte stetig. Sechs Monate nach Jonathans Tod stellte ich mich zum ersten Mal der Prüfung der Polizei. Ich hatte es der Richterin zu verdanken, dass ich überhaupt eine Chance bekam, denn durch die Sozialstunden verhinderte sie, dass ich eine echte Akte bei der Polizei besaß. Vor dem Gesetz war ich dank ihr ein unbeschriebenes Blatt, auch wenn mein Gewissen das bis heute anders sah.
Sie ließen mich drei Mal durchfallen, aber kurz vor meinem 19. Geburtstag hatte ich offensichtlich auch die letzten meiner Kritiker überzeugt, und ich durfte die Polizeischule besuchen. Mein aufbrausendes Wesen kam mir seither zwar immer wieder in die Quere, aber nichtsdestotrotz hatte ich mein Ziel erreicht, und war nie wieder kriminell geworden.
Bis heute.
Denn heute Abend würde ich meinen ersten Kampf bestreiten. Es war eine kleine Klitsche, und das Preisgeld würde gerade eben dazu reichen, die Unkosten zu decken, aber es war ein Anfang. Dog war nicht begeistert davon, dass ich heute schon auf die Matte wollte, aber ich ließ mich nicht davon abbringen. Er glaubte, dass ich während meines aktiven Dienstes so viel auf die Seite gelegt hatte, dass ich die ersten Kämpfe selbst finanzieren konnte.
Sollte heute etwas dabei rausspringen, würde die Kohle komplett an Dog gehen. Das war ich ihm schuldig. Er hatte mich aufgenommen, ohne Fragen zu stellen. Wortlos hatte er mich angesehen, als ich vor seiner Tür stand und mir jene weit geöffnet. Er kam wie ich von der Straße. Was ich bei ihm nicht lernte, würde ich nirgends lernen.
***
Das Adrenalin pumpte durch meine Venen, Schweiß stand auf meiner Stirn, verursacht nicht zuletzt durch die Scheinwerfer, die irgendwer aufgestellt hatte. Wir befanden uns im Hafen von New York in einer riesigen Halle, die extra für diesen Zweck hergerichtet worden war. Ich wusste, dass ich es nur Dogs Kontakten zu verdanken hatte, dass ich überhaupt von diesem Ort wusste. Mir gegenüber hätte niemand auch nur das geringste Wort darüber verloren. Vor den Toren standen ein paar Schränke von Männern, die mit finsterem Blick und verschränkten Armen wohl für Ordnung hier sorgen sollten.
Ob auch nur einer von denen ahnte, dass ich sie mit Leichtigkeit würde ausknocken können, wenn ich denn wollte? Sie waren allesamt größer und breiter als ich, aber in Sachen Schnelligkeit machte mir keiner etwas vor. Damals nicht und heute auch nicht. Dennoch hatte ich nur breit gegrinst, als mir einer der tumben Typen lang und breit heruntergeleiert hatte, wie der Abend abliefe.
Nachdem ich die Teilnahmegebühr entrichtet hatte, erhielt ich ein kleines, eingeschweißtes Kärtchen mit einer Nummer und wurde hineingelassen. Die Halle war, obwohl es noch mehrere Stunden dauern würde, bis die Kämpfe begannen, bereits gut gefüllt. Ich sah und ich roch es. Es stank nach Arbeiterschweiß, Alkohol und diversen Marihuana-Mischungsverhältnissen, die die gesamte Luft schwängerten. Das Grinsen, das sich in meinem Mundwinkel zusammenzog, konnte ich nur mit Mühe verhindern. Das hier auffliegen zu lassen wäre ein Traum für jeden Polizisten, eine Beförderung dann nur noch Formsache.
Gelassen schob ich meine Hände in die Hosentasche und schlenderte am Rand entlang, um mir einen Überblick zu verschaffen. Die Veranstalter hatten Bauzäune in einem circa 4 x 4 Meter großen Quadrat aufgestellt, die am unteren Ende jeweils nur in schweren Betonblöcken steckten, und oben mit Eisenketten und Vorhängeschlössern zusammengehalten wurden. Das war der Ring . Um den Zaun herum waren Absperrgitter aufgestellt, an deren Stangen sich die Menschen bereits drängten. Lediglich von einer Ecke aus führte ein schmaler, ebenfalls durch Absperrgitter begrenzter Gang nach hinten. Von hier aus würden die Kämpfer vermutlich starten.
Überall in der Menge sah ich Männer mit gelben Sicherheitswesten, die sich durch das Gedränge zwängten. Aber sie waren mitnichten Securitys, die für Ordnung sorgten. Bei ihnen handelte es sich um Buchmacher, die die Wetten annahmen und verbuchten. Bei ihnen konnte man, bevor der Kampf begann, auf seinen Favoriten setzen und im besten Fall hatte man Glück und gewann einen Batzen Geld.
Ob ich wollte oder nicht, die Situation hier ließ mich nicht kalt. Das Adrenalin, welches mich schon den ganzen Tag über in Schach gehalten hatte, machte sich jetzt noch deutlicher bemerkbar. Das Summen der Gespräche in meinen Ohren, ja, sogar der abgestandene Geruch in der Halle trugen nur ihren Teil dazu bei, dass ich mich heimisch fühlte. Vorfreude machte sich in meinem Inneren breit, ebenso wie das Gefühl, ein Stück Kindheit nachzuholen.
Nicht, dass ich das Töten guthieß. Nein. Ich freute mich auf den Kampf an sich. Darauf, die anderen zu beobachten und zu analysieren, wo ihre Schwachpunkte lagen. Es würde mir ein Vergnügen sein, herauszufinden, wie ich sie möglichst schnell und energiesparend auf die nicht vorhandenen Bretter schicken konnte.
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