»Draußen ist ein Ring, was hält dich ab?«, knurrte ich. Auf meine Statur reduziert zu werden hasste ich fast so sehr wie Vorschriften. Antonowitschs Augenbrauen schossen in die Höhe und er holte Luft, um etwas zu erwidern. Doch bevor es dazu kam, mischte sich Janka ein.
»Vater, lass ihn gegen Dimitrij kämpfen und mach dir selbst ein Bild«, sagte sie leise, sah dabei aber weiterhin zu Boden.
»Alexej, gib Ruhe. Führ dich nicht auf wie ein Gockel. Janka, begleite unseren Gast zur Umkleide. Ich möchte ihn kämpfen sehen. Sag Dimitrij, dass er sich bereithalten soll, in 30 Minuten will ich einen Boxkampf sehen.«
»Ja, Vater.« Janka trat an Antonowitschs Seite, worauf dieser besitzergreifend seinen Arm um ihre Schulter legte.
»Ja, Großmaul ... lass dir von meiner Verlobten zeigen, wo du dich vorbereiten kannst. Und dann werden wir sehen, ob du deinen Worten auch Taten folgen lässt«, zischte er, zog sie an sich und drückte ihr einen festen Kuss auf die Lippen. Dann griff er an ihr vorbei und riss die Tür auf. »Dimitrij, wärm dich auf, der Boss will einen neuen Kämpfer testen!«, brüllte er nach draußen, löste sich dann von Pastrows Tochter und bedeutete uns, dass wir gehen konnten.
Schweigend verließ Janka das Büro ihres Vaters und ich folgte ihr. Sie führte mich in den Gang, in dem ich schon vorhin die Umkleiden vermutet hatte und deutete auf einen der Räume. »Da kannst du dich umziehen und aufwärmen. Boxhandschuhe wirst du von Sergej bekommen, das ist der Große, der dich eben hereingeführt hat.«
Ich warf ihr einen Blick zu. »Hab ich mir wohl gleich nen Freund gemacht, was?«, grinste ich.
Sie schüttelte leicht den Kopf. Dann hob sie ihn und sah mich an. Ihre Augen strahlten schon wieder diese Traurigkeit aus, die ich schon gestern Abend an ihr beobachtet hatte.
»Ein guter Rat von mir, Mir ...« Ihr Mundwinkel zuckte kurz, als ihr das Wortspiel auffiel. »Wenn du hier kämpfen willst, solltest du dir gut überlegen, wen du dir zum Feind machst.« Mit diesen Worten wandte sie sich um und ließ mich allein. Ich sah ihr einen Moment lang nach, dann marschierte ich seufzend in die Umkleide, um mich vorzubereiten. Meinen Gegner hatte ich mir nicht einmal angeschaut, ihn zu kennen, würde nichts daran ändern, dass ich ihn auf jeden Fall besiegen musste.
Die Zeit, die man mir gelassen hatte, reichte gerade so, um mich einigermaßen aufzuwärmen, und meine Hände vernünftig zu tapen. Gerade hatte ich das Tape in meiner Tasche verstaut, als die Tür aufgestoßen wurde und der Kerl hereinmarschierte, der mich auch zu Pastrow gebracht hatte. Erneut musterte er mich von oben bis unten, ehe er mir schweigend dabei half, die Boxhandschuhe anzuziehen und sie vernünftig zu verschnüren. Dann trottete er in Richtung der Tür und bedeutete mir, ihm zu folgen.
Um den Boxring hatten sich mittlerweile einige Männer versammelt, die dem Kampf offensichtlich zusehen wollten. Allen voran standen Juri Pastrow und seine Tochter. Alexej konnte ich nirgends ausmachen, was mich ehrlich gesagt erleichterte. Im Ring selbst tänzelte ein Mann auf und ab. Mein Gegner, wie ich vermutete. Mein Herzschlag beschleunigte sich für den Bruchteil einer Sekunde und ich begann ebenfalls, leicht auf und ab zu wippen.
Bevor ich wieder zurück in den Ring gekehrt war, hatte ich nicht mal im Ansatz gewusst, wie sehr mir das alles gefehlt hatte. Klar, ich boxte noch und ich trainierte die Kids, aber das hier ... war etwas ganz anderes. Mit noch immer geschultem Blick taxierte ich diesen Dimitrij, der nun dazu übergegangen war, in die Luft zu boxen.
Sofort fiel mir auf, dass er seine Deckung links etwas niedriger hielt und sich ziemlich schwerfällig bewegte. Er war etwas kräftiger als ich, aber ich wusste um meine Schnelligkeit. Das hier würde einfacher werden, als ich erwartet hatte. Mit einem Grinsen stieg ich in den Ring und nickte dem Mann zu. Sergej kletterte ebenfalls hinein und erläuterte uns mit knappen Worten die Regeln, die ich noch immer im Schlaf herbeten konnte. Dann nickte er uns beiden zu und gab das Zeichen zum Kampf.
Sergej hatte die Mitte noch nicht ganz verlassen, als Dimitrij auch schon zum Angriff überging. Seine Schritte ließen den Boden des Rings vibrieren und mein Kopf machte dicht. Ich blendete die Umgebung völlig aus, konzentrierte mich ausschließlich auf mein Gegenüber. Dabei hörte ich nicht auf, mich zu bewegen, tänzelte leichtfüßig um ihn herum, erfasste jede seiner Bewegungen. Dimitrij stürmte auf mich zu, ich wich zur Seite hin aus oder duckte mich unter ihm weg – das Spielchen wiederholte ich ein paar Mal.
Immer und immer wieder stürmte er auf mich zu und ich wurde nicht müde, mich wegzuducken, bis mir das Spielchen zu dumm wurde. Ich wartete, bis er erneut auf mich zupreschte, fuhr herum und täuschte mit der Linken einen Schlag an. Wie ich es erwartet hatte, ließ er fast sofort die linke Deckung fallen und ich nutzte die Gelegenheit, holte rechts aus und verpasste ihm einen Kinnhaken, der sich gewaschen hatte und dessen Wucht man förmlich hören konnte.
Dimitrij gab einen dumpfen Laut von sich, seine Augen weiteten sich überrascht und dann – ging er zu Boden. Sofort trat ich einen Schritt zurück, während Sergej sich zu meinem Gegner hinunter beugte. Dimitrij war bewusstlos und würde gleich mindestens einen Zahn ausspucken, davon war ich überzeugt.
Stille hatte sich über die Halle gelegt, während ich seelenruhig aus dem Ring kletterte. Mein Blick begegnete dem von Janka und für einen Moment glaubte ich, so etwas wie Anerkennung in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Dann erregte eine Bewegung aus dem Augenwinkel meine Aufmerksamkeit und ich drehte den Kopf.
Alexej stürmte aus dem Büro von Juri direkt auf Janka zu und sah nicht erfreut aus. Dicht vor ihr kam er zum Stehen und fasste sie grob am Kinn. »Wie bescheuert kannst du eigentlich sein, Janka?«, brüllte er. »Holst uns ‘nen Bullen ins Haus! Hat dir einer in dein verdammtes Hirn geschissen?« Es tat mir fast körperlich weh zu sehen, wie dieser Volltrottel ihr Kinn zwischen seinen Händen zusammen quetschte, doch ich wusste, dass ich mir endgültig Feinde machen würde, wenn ich jetzt dazwischen ging.
»Deine Informanten scheinen ja nicht gerade auf dem neuesten Stand zu sein, was?«, bemühte ich mich daher, so ruhig wie nur möglich zu fragen. Abrupt ließ Antonowitsch Janka los und fuhr zu mir herum. Seine Augen funkelten mich feindselig an. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust, so gut es mit den sperrigen Boxhandschuhen ging. »Ich war Bulle. Stimmt. Die Betonung liegt auf war . Bin geflogen, schon vor Monaten. Hab’n bisschen zu gern mit Schnee gespielt, wenn du verstehst, was ich meine? Wenn du schon nach mir googelst, solltest du vielleicht ein bisschen akribischer sein!«
Alexejs Nasenflügel blähten sich auf und er atmete tief ein, ehe er einen Schritt auf mich zu machte und mir die verschränkten Arme vor der Brust wegschlug. »Du hältst dich wohl für besonders schlau, du kleiner Prolet, was?« Er schubste mich, sodass ich mit dem Rücken gegen den Ring krachte. »Kommst hier hin, machst einen auf dicke Hose und bist nichts weiter als ein verschissener Bulle!«
»Ein ehemaliger Bulle!«, presste ich zwischen den Zähnen hervor und konnte mich nur mühsam davon abhalten, dem Wichser direkt eindrucksvoll zu zeigen, was ich von Kerlen hielt, die eine Frau so anfassten, wie er es eben mit Janka getan hatte. Ich konnte sogar von hier aus sehen, dass sich ihr Kinn bereits zu verfärben begann, obwohl sie erschrocken die Hand vor den Mund geschlagen hatte und uns mit großen Augen anstarrte.
»Alexej, Mir . Hört auf mit dem Kinderkram!«, donnerte in dem Moment die Stimme von Juri Pastrow durch die Halle. Augenblicklich wich Antonowitsch vor mir zurück, aber seine Augen starrten mich weiterhin nieder. Juri kam auf mich zu und maß mich mit ernstem Blick. Ich erwiderte seinen Blick trotzig.
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