„Die ham alle kein Sch-immer, Lou! Ey, du bist der erste Typ, der sich darüber Gedanken macht! Ich weiß, du bist viel cleverer als all die Trottel im Rat. Und du hast recht! Du solltest zu Gott geh’n und der Schickse ordentlich die M-meinung geigen, dass die nicht so mit dir umzugeh’n hat. Du bist ’n En-Engelsfürst, Mann! Für wen hält die sich, hä?“
„Ihr redet hier von Gott“, unterbrach Michael die Saufbrüder und beide sahen auf.
Luzifel verzog unwirsch das Gesicht. „Och nö, da kommt der Anstandswauwau vom Chef ... Muss in die Herde zurück, wie? Wenn du hier bist, um mir was von dem Meta-Stinker zu sag’n, dann verzieh dich gleich, Mike.“ Er musste herzhaft aufstoßen, was Ramuel würdigend beklatschte.
Verständnislos schüttelte Michael den Kopf. „Lass das Metatron nicht hören. Der schafft es, dich zu degradieren.“
„Klasse, endlich kann ich diesen verflucht’n Job an den Nagel häng’n! Dann komm ich öfters rum, Ram“, lachte der große Bruder dem Wirt zu. Feierlich stießen beide mit den Flaschen an und tranken.
Michael wandte sich Ramuel zu und sagte: „Ich nehme ihn besser mit. Der hatte entschieden genug und weiß nicht, was er da redet.“
Schwankend wies Ramuel mit dem Finger auf ihn. „Sei ma’ nicht so sicher. Du magst ja die Muskeln gepachtet ham, aber Lou ist klüger als hundert von euch Hö-Hörigen.“
„Ich gebe nichts auf Trinkergeschwätz, Grigori“, entgegnete sein Gegenüber.
„Dann is’ Euch nicht geholfen, Seraph ...“
Luzifel stützend, steuerte Michael das Anwesen des Gardeführers an. Sein Bruder hatte darauf bestanden, die letzte Weinflasche mitzunehmen und Michael hoffen um alles im Himmel, dass kein Bekannter sie des Weges erblickte. Diese Peinlichkeit wollte er sich und ihm ersparen.
„Was kümmert’s dich! Is’ doch nicht dein Ruf, der den Bach abgeht ...“, nuschelte Luzifel mit einer Alkoholfahne ihm zu. Seine Augen konnte nicht mal mehr einen Punkt fixieren.
„Trotzdem, du bist mein Bruder“, entgegnete der Jüngere.
„Bruder, pah ... Wir teil’n ’nen Stern, nicht das Blut uns’rer Adern. Wann warssu mir je näher als die andern? Du verstehst nicht ma’ mein Denken ...“
„Was gibt es da nicht zu verstehen? Du bist gelangweilt von deinem Leben – fein, hab ich kapiert. Du machst dir Gedanken, weil man dich Todesstern nennt – okay. Doch du kannst Gott nicht die Schuld dafür geben, weil du unzufrieden mit dir selbst bist!“
Luzifel sah ihn gläsern an. „Wieso nicht? Gott hat mich erschaff’n, noch vor dir, Kleiner. Vor Meta und diesem Idioten Kam ... als Ersten ...
Is’s zu viel verlangt, sich zu frag’n, was sie damit bezweckt hat? Was will sie von einem wie mir?“
„Wir wurden geschaffen, um Gott zu dienen“, erklärte Michael überzeugend.
„Als wenn sie zig von uns in ihr’m Dienst braucht. Und dann noch der Rat – was kommandiert der uns eigentlich rum? Wieso muss ich mir was von Meta Jupiter sag’n lassen? Nee, Mike, ich glaub, Gott hat uns alle nicht ganz durchdacht, als sie uns ins Leben warf und ganz sicher hat sie nicht vorhergeseh’n, dass einer von uns ma’ ihr kleines Konzept hinterfragt.
Das Einzige, was sie macht, wenn einer zu denken anfängt, is’, ihm deutlich zu machen, wie schnell sie ihn wieder vernicht’n kann. Und der verdammte Rat petzt ihr jeden kleinen Fehltritt ...“
„Sprichst du aus Erfahrung, Lou?“
Michael war genervt und das hörte sein Bruder. Luzifel löste sich von seiner Stütze und ging wankend den Weg allein.
„Du denkst auch nicht gern, was, Mike? Daran, was is’ oder sein könnte. Warum du bist, wie du bist ... und was alles in deinem Leben keinen Sinn ergibt. Du siehst nicht, was falsch läuft. Du nimmst alles von Gott gegeben hin und fertig. Wozu hast du deinen Kopf?“
Der winkte ab und kehrte um. „Ich red später mit dir, wenn du wieder nüchtern bist ...“
„Weißt du“, rief Luzifel ihm nach, ohne sich ihm zuzuwenden, „warum Gott ’ne Frau is’?“
Michael dachte nach und antwortete: „Sie ist eigentlich weder das eine, noch das andere, kann aber beides sein.“
„Jetzt is’ sie ’ne Frau.“
„Ja und?“
„Das is’ sie nur wegen mir, Kleiner. Nur wegen mir.
Ihr nennt mich den Schönsten aller Engel, doch warum gab mir Gott diesen Körper? Und sich selbst den einer Frau?
Jetzt rate ma’ das kleine Geheimnis, Bruderherz. Wenn wir Engel Gott ja immer zu Diensten sein sollen, kann ich mich nicht dem verweigern. Ich muss tun, was sie will.
Bin ich nur dazu gut? Ihr willenloses Spielzeug, das ohne Widerrede für sie tötet.
Aber ich hab genug davon.“
Obwohl ihm der gequälte, ja beinahe furchtsame Ton in seiner Stimme auffiel, seufzte Michael bloß träge und fuhr durch sein blondes Haar. „Du redest wirr. Vielleicht solltest du aufhören, zu trinken. Du bildest dir zu viel ein, Lou.“
Schwerfällig betrat Luzifel das Wohnhaus seines Gutshofes. Der Wein war zur Neige gegangen. Den Inhalt hatte er wie Wasser getrunken, damit der Alkohol ihn benebelte, sonst wäre er vor Zorn geplatzt! Und zeitgleich vor Trauer in Tränen ausgebrochen.
Keiner glaubte ihm. Nicht einmal dieser Bruder. Der Verräter. Der Kleingeistige.
Er wollte ihn ins Vertrauen ziehen, den Ballast von seiner Seele lösen, und was sagte der?
Du bildest dir zu viel ein.
Oh, er wollte so sehr schreien ...
„Samael?“, fragte er leise nach dem Getreuen.
Die Stille antwortete. Der Malach war wohl nicht zugegen. Gut. So sparte er sich die Erklärung ihm gegenüber. Bestimmt hätte der unwissende Junge es nicht ertragen können, ihn in seinem delirierten Zustand zu sehen.
Erschöpft warf er seinen matten Körper auf die nächstbeste Liegestatt und ließ den Rausch seine Wirkung entfalten, bis sie denn irgendwann verflog. Dabei wollte er mehr, um die Gedankenflut in seinem Kopf auszulöschen. Um zu vergessen, was war ...
Da hörte er sie sprechen.
„Ach je. Ein feiner Engel bist du. Riechst nach Blut und Wein. Ich war schon mal Besseres von dir gewohnt, mein hübscher, kleiner Luzifel.“
Er sah auf. Neben ihm stand Gott. Trotz der Dunkelheit der geschlossenen Fenster umgab sie zartes Gesicht ein leuchtender Schein und das goldene Haar fiel lang bis zur schlanken, weiß umhüllten Hüfte.
„Ich habe gehört, was du heute im Tribunal gesagt hast. Auch habe ich belauscht, was du diesem Grigori anvertraut hast. Selbst das heimliche Gespräch mit deinem Bruder habe ich vernommen.“ Ihr charmantes, fast kindliches Antlitz lächelte lieblich.
„Wundert mich nicht“, lachte er ironisch und drehte sich in das Polster. „Deine Ohren sind ja überall, Jahwe. Niemand ist frei von dir. Ich erst recht nicht.“
„Mein Name klingt so schön von deinen Lippen, selbst wenn sie trunken sind.“
Er fühlte, wie sie durch sein Haar, über den Nacken und das Rückgrat strich. Diese Berührungen wurden ihm schon lange unangenehm. Trotzdem musste er sie zulassen. Es stand ihm nicht zu, sie abzulehnen. Seinen Gott abzulehnen.
Immerhin schien ihr seine verkrampfte Haltung aufzufallen.
„Du grübelst zu viel, Luzifel. Keine Überraschung, dass mein schöner Junge glaubt, seinen Verstand zu verlieren, wenn er nur über so schreckliche, sorgenvolle Dinge nachdenkt. Es betrübt mich, dein Herz an diesen Nebensächlichkeiten so hängen zu sehen. Vergiss sie.“
„Warum rätst du mir das?“, fragte er und hoffte inständig, dass ihr das Beben seiner Stimme verborgen blieb.
„Weil dein Herz allein mir gehört, mein Liebster. Schließe deshalb deine Augen, Luzifel, und vergiss deine Bedenken und Zweifel. Begehre nicht gegen mich auf. Ich bin dein Gott.“
Machte der Wein ihn schläfrig? Wie konnte er müde sein?
Heiß spürte er ihren Atem an seinem Ohr.
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