1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Zitternd versuchte Haniel, klar zu denken. „Ähm ... Gleiche Chancen für beide Kämpfer.“
Luzifel nickte. „Richtig. Unsere Waffen bieten keinem einen Vorteil. Weiter.“
„Un-unparteiischer Boden?“, war sein Gegenüber nicht ganz überzeugt.
Sich in der Gegend umsehend nickte Luzifel erneut. „Würde ich meinen. Ein Punkt fehlt noch.“
„Ein Richter!“
„Drei Richter“, korrigierte ihn der Gardeführer. „Einen für dich, einen für mich und einen für keine Seite. Letzteren Posten bezieht Ophaniel, such du dir den deinen aus.“
Haniel rief einen befreundeten Engel zu seiner Linken und auch Luzifel wählte aus den umstehenden Schaulustigen einen Bekannten, den dunkelhäutigen Cherub und achten erstrangigen Erzengel Raziel.
Eine ruhige Person, die sein Vertrauen genoss und dessen Weisheit seinesgleichen suchte. Außerdem war er das einzige Mitglied des Hohen Gerichtes, das Luzifel leiden konnte.
Ophaniel bezog seinen Posten zwischen den beiden Parteien und verkündete: „Der offizielle Kampf von Seraph Luzifel Morgenstern und Fürstentum Haniel beginnt ... jetzt.“
Kaum, dass der Cherub durchgeschlagen hatte, preschte Luzifel vor und Haniel wusste nicht, wie ihm geschah. Plötzlich war er entwaffnet und lag rücklings am Boden, mit Luzifels Schwert an seiner Kehle. Während sie beide unbeweglich verharrten, warfen die Richter einander vielsagende Blicke zu und Ophaniel gab nicht überraschend kund: „Der Sieger ist der Morgenstern.“
Luzifel wich von Haniel ab und steckte das Schwert ins Fass zurück. Vernehmlich für alle sagte er: „Wir sehen, Kadett, du musst dir noch des Öfteren die Wiederholungen meine Vorträge anhören. Ich würde raten, du hörst mit deinem Gekicher auf und trainierst etwas mehr, sonst ist der echte Kampf für dich schnell entschieden.
Solltest du allerdings von Anfang an geplant haben, dich an die Dämonen zu verfüttern, nehme ich dich bei der nächsten Hadesreise gern mit und wir sind um ein weiteres Mal erlöst von törichten Dummschwätzern.“
Das stechende Lachen der anderen Rekruten war Strafe genug. Vor Scham wäre der Engel am liebsten im Erdboden versunken. Diese Schmach würde ihm noch lange im Gedächtnis bleiben.
„Wozu dieser ganze Klamauk?“, fragte ihn Raziels tiefe Stimme erheitert, als Luzifel der Truppe seinen Rücken zeigte. „Das Theater hattest du doch nicht nötig, mein Freund.“
„Ich nicht, aber dieses Küken“, erklärte sein Kollege kühl. „Der hat eine Lektion für sein Leben erhalten, dieser hohlköpfige, stumpfsinnige -“
„Beleidige nicht immer die anderen, sie sind auch nur wie du und ich. Fehlbare Diener Gottes.“
Diener Gottes, bis in alle Ewigkeit.
Luzifel stöhnte auf, sein Kopf schmerzte ihn. Irgendwo in seinem frisierten Hirn wollte die verlorene Erinnerung hervorbrechen, die eine gewisse Person so sorgsam weggesperrt glaubte.
Raziel betrachtete ihn besorgt.
„Ich glaube, Jahwe hat es wieder getan“, knurrte Luzifel leise dem engen Vertrauten zu. „Sie hat mein Gedächtnis manipuliert. Anscheinend hab ich erneut etwas gesagt, das sie nicht hören wollte. Und jetzt fehlt mir ein ganzes Stück Vergangenheit und das einzige, was die Lücke ausfüllt, ist unser Credo, ihr Knecht zu sein. Nicht mal seine Meinung kann man hier frei äußern ...“
„Natürlich nicht.“ Raziel hob mit einem vielsagenden Blick die weißen Brauen und führte ihn ein paar Schritte über den Platz.
„Ich verstehe deinen Zorn. Doch wenn du fluchst, wird sie das auch bald zu hören kriegen. Der Rat hat überall seine Spitzel und du stehst ganz oben auf der Überwachungsliste. Mir blieb dieses Prozedere in letzter Zeit erspart – weil ich meinen Mund nicht so weit aufreiße. Behalte deinen Spott an Gott lieber für dich, Luzifel. Sie kann wie du andauernde Kritik nicht leiden.“
„Und was rätst du mir stattdessen?“
„Deinen Unmut sein zu lassen und dich auf die Arbeit zu konzentrieren. Du kannst eh nichts machen. Der Himmel ist Gottes Refugium und du bist bloß ein Engel. Sie hat Gewalt über dich. Beweg dich in deinen Kreisen und lass das Große Ganze Gottes Angelegenheit sein.“
„Hast du denn keine Zweifel?“
„Oh doch, aber die sag ich ihr nicht auch noch ins Gesicht, mein Freund. Was ich dir schon als meinen Leidensgenossen anvertraue, ist riskant genug. Du trägst leider dein Herz auf der Zunge. Denk dir in Zukunft deinen Teil – bisher sind unsere Gedanken frei.“
„Ja, bis sie die löscht!“, ermahnte ihn Luzifel.
Schmunzelnd deutete der Richter den Spott: „Du warst immer der schwierigste Charakter von uns, Luzifel. Kamael meint gern, dass das viele Dämonenblut, was du vergossen hast, dich selbst verunreinigt hat. Du hast beunruhigende Züge an dir, dieses trotzige, halsstarrige Handeln. Das wird dir noch eines Tages den ganzen Kopf kosten, nicht nur ein paar Erinnerungen.“
„Kamael ist auch nur ein Idiot von vielen. Warum bist du eigentlich nicht der Oberste im Hohen Gericht? Du bist wesentlich mächtiger als er.“
„Auf die Verantwortung hatte ich keine Lust“, meinte sein Freund entschieden.
„Aha ...“, kaufte er ihm das nicht ab.
Ihren zweisamen Spaziergang unterbrach ein Kadett, der salutierend vor Luzifel auftauchte.
„Gardeführer, verzeiht die Störung, ich habe eine Frage!“
„Na, dann frag doch“, sagte er ungezwungen locker.
„Ich habe über den Großen Krieg nachgedacht, Herr. An all die Toten damals. Wir kämpfen noch heute gegen die Brut Satans, die unsere Vorväter vernichtete.“
Luzifel nickte. „Und?“
„Aber auch die Dämonen kämpfen gegen uns, weil Engel viele von ihnen töteten. Das Töten bringt Hass hervor, der sich nicht auslöschen lässt. Ich sehe es kommen, dass unser Zwist Äonen währt, es sei denn eine Seite unterliegt. Dieser Streit wird noch viel mehr Leben kosten. Sollte man nicht etwas dagegen tun?“
„Und was, Kadett? Hast du eine Idee? Zum Beispiel mit Satan reden und Frieden stiften?“
„Ähm ... Nein, das ist doch utopisch, Herr. Mit diesem Wilden kann man kein klares Gespräch führen. Aber vielleicht kann man all die Dämonen ... einfangen. Und wegsperren.“
Sarkastisches Lachen erfüllte den Kampfplatz und Luzifel hielt sich die Rippen. „Als wenn das ginge! Wir können allein unsere Sünder kaum in den Kerkern fassen, geschweige denn ein ganzes Volk von Dämonen! Da brauchen wir einen echt großen Käfig, Kleiner! Selbst der Frieden zwischen uns ist realistischer als das!“
Raziel und der Kadett blickten einander an, verwundert über den lachenden Gardeführer hinweg, und nach einer Weile sagte der Richter ernst: „Das ist nicht so lustig, wie du denkst, Luzifel. Ich finde es sogar höchst erschreckend. Unsere Zukunft erscheint mir deprimierend und vom Kampf beherrscht.“
Unbekümmert zuckte der die Schultern. „Und wenn schon, diese Aussichten sind wie geschaffen für mich. So werde ich ewig weiter morden, im Auftrag unserer glorreichen Herrin! Ist das nicht perfekt?
Ach, und übrigens: Gott hat sowieso den Sinn für Humor bei mir vergessen.“
„Ja“, bestätigte Raziel zerknirscht, „ebenso deiner Zunge einen Zaum zu verpassen.“
„Wer mich zum Schweigen bringen will, muss mich schon töten“, winkte der Schwarzhaarige entschlossen ab.
Es eilte nicht, nach Azilut zurückzukehren.
Keiner ließ nach ihm schicken und mit kleineren Anliegen käme Samael zurecht, dass es sich Luzifel leisten konnte, nach der Visite der Kasernen einen Gang durch die Straßen Beriahs zu machen. Ein wenig durch den Anblick des bürgerlichen Lebens den Frust vertreiben, den er noch immer wegen seiner Gedächtnislücke verspürte.
Gemütlich ging er die Handelsmeile entlang. Beschaute einige der ausgelegten Waren, ohne jedoch übermäßiges Interesse zu zeigen. Dem mit Orden bestickten Jackett des Gardeführers hatte er sich entledigt, um ungestört mit der breiten Masse zu verschmelzen, aber sein Gesicht war in den oberen Himmelssphären zu bekannt.
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