„Das mache ich. Du bist bestimmt erfolgreich. Ich dagegen habe nur eine Ausbildung als Steuerberaterin. Das ist ziemlich langweilig. Und meine Ehe war .....“, Jutta denkt kurz nach, um die richtigen Worte zu finden, „ ..... eher unerfreulich.“
„Schade, dass wir uns aus den Augen verloren hatten und nichts von deinen Problemen wussten. Wir hätten dir alle geholfen, so wie früher“, sagt Lydia.
Jutta schüttelt energisch den Kopf.
„Ich hatte genug mit mir zu tun und damit, meinen Mann bei Laune zu halten und musste aufpassen, dass Jenny nicht total auf der Strecke bleibt. Nein, das glaube ich nicht, dass ihr mir hättet beistehen können. Die Entscheidung, dass ich mich endlich von Rüdiger trenne, konnte mir niemand abnehmen.“
Inzwischen ist es so spät geworden, dass sie den Sonnenuntergang genießen können. Lydia gießt noch einmal Wein nach.
„Du wohnst sehr schön hier und ruhig ist es auch“, sagt Jutta. „Sowie ich mit Einräumen fertig bin, musst du mich unbedingt besuchen kommen. Ich werde mich bemühen, etwas Gemütlichkeit in die Zimmer zu bekommen. Mit den wenigen Möbeln, die ich aus unserem Haus mitnehmen durfte, ist dabei zwar viel Ideenreichtum gefragt, aber nach und nach wird es sicher wohnlicher werden. Hauptsache Jenny fühlt sich wohl und findet schnell Anschluss. Was machen Christine und Olli eigentlich beruflich?“
„Christine hat ihr Studium auch abgebrochen, aber nur, weil sie schwanger wurde. Sie nutzt ihr Talent ebenfalls als Beruf und stellt die verschiedensten Sachen aus Wolle und Stoff für den kleinen Handarbeitsladen am Markt her. Da sie auch zu Hause arbeitet, können wir uns oft sehen. Sie hat zwei Kinder, den sechsjährigen Daniel, und von Tilly habe ich ja schon kurz erzählt.
Olli hat eine eigene Werbeagentur und deshalb nicht so viel Zeit. Sybille macht ihm oft die Hölle heiß, weil er sich zu wenig um sie und die Kinder kümmern würde und lässt ihm kaum Freiraum. Außerdem sind wir ihr nach wie vor ein Dorn im Auge.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Gegen uns kam ja kaum ein Mädchen an. Warum sollte es ihr jetzt besser gehen?“
Als Lydia die Terrassenbeleuchtung einschalten will, sagt Jutta: „Es ist schon spät. Ich mache mich jetzt lieber auf den Heimweg. Danke, dass du dir Zeit für mich genommen und mir zugehört hast.“
Sie steht auf und geht ins Wohnzimmer.
Als sie sich noch einmal umschaut, entdeckt sie ein altes Foto, das ihr bekannt vorkommt. Sie nimmt es in die Hand und betrachtet es genau.
„An diesen Nachmittag kann ich mich noch gut erinnern. Das war in dem Sommer, als die Hitze nur am See auszuhalten war. Wie alt waren wir da? Fünfzehn?“, fragt sie.
Lydia nickt und sagt: „Dieses Bild hilft mir beim Schreiben. Sieh dir doch mal genau Ollis Gesichtsausdruck an, wie er Christine regelrecht anhimmelt. Bevor ich Liebesszenen schreibe, schaue ich mir dieses Foto längere Zeit an. Danach fällt es mir leichter, mich in die Gefühlswelt der Liebenden zu versetzen.“ Sie wird etwas wehmütig. „Irgendwie weckt dieses Bild Sehnsucht in mir, und ich wünsche mir einen Mann, der auch so für mich empfindet.“
„Das verstehe ich gut“, antwortet Jutta. „Solche Männer scheint es nur selten zu geben. Die meisten wissen wahrscheinlich nicht, was wir Frauen wirklich von ihnen wollen. Dabei stellen wir doch gar nicht so hohe Ansprüche.“ Lydia schmunzelt vor sich hin, sodass Jutta ergänzt: „Na ja, ich jedenfalls nicht.“
Sie erinnert Lydia noch daran, dass sie ihr ein Buch mitgeben wollte. Lydia geht zum Regal, nimmt ihren ersten Roman heraus und reicht ihn ihr.
Jutta sieht sich den Titel an und grinst: „Da konntest du ja gleich unsere Schulerlebnisse verarbeiten.“
„So ungefähr. Mit einem Thema musste ich doch anfangen.“
„Na, ich bin gespannt. Du hast doch nicht etwa auch über mich geschrieben?“, fragt Jutta, denn ihr fällt ein, dass ihre Jugendsünden auch mit zu diesen Erinnerungen gehören.
Lydia zuckt mit den Schultern und sagt geheimnisvoll: „Wer weiß? Lass dich überraschen.“
„Hoffentlich bekommt meine Mutter das Buch niemals in die Hände“, sagt Jutta etwas beunruhigt. Sie runzelt ihre Stirn und fragt verwundert: „Warum schreibst du unter Pseudonym?“
Lydia schmunzelt. „Als ich mit dem Schreiben anfing, konnte ich noch nicht einschätzen, ob meine Mühen überhaupt Erfolg bringen und wollte mich nicht unter meinem richtigen Namen blamieren. Also blieb mir gar nichts anderes übrig. So kann ich alles abstreiten und behaupten, dass mir diese Autorin völlig unbekannt ist.“
„Eine gute Entscheidung. Du hast mir doch hoffentlich auch einen Decknamen gegeben, oder?“, fragt Jutta und zieht ihre Augenbrauen hoch.
„Natürlich. Sonst hätte ich dich vorher um dein Einverständnis gebeten.“
Jutta atmet erleichtert aus und umarmt Lydia zum Abschied.
„Es hat gut getan, mit dir zu reden. Meine Mutter hat nur Kommentare wie: `Ich habe es doch gleich gesagt, dass diese Beziehung nicht gutgehen kann. Aber du konntest ja nicht hören´, für mich übrig. Zum Glück hat sie von allem nur wenig mitbekommen, sonst würde sie mir jetzt stundenlange Vorträge über mein Versagen halten. Aber lassen wir das lieber“, winkt sie ab und sagt nur noch: „Mach´s gut, Lydia.“
„Ja, du auch. Bis bald und sprich mit Christine einen Termin für unser Wiedersehen ab.“
„Das mache ich gleich morgen.“
Christine ist außer sich vor Freude, als Jutta anruft. In den vergangenen Jahren hat sie oft an ihre Schulfreundin gedacht.
„Das ist eine tolle Neuigkeit, dass du zurückgekommen bist? Jetzt sind wir alle vier wieder beisammen“, sagt sie zur Begrüßung.
„Darüber bin ich auch sehr froh“, antwortet Jutta. „Ich bin erst letztes Wochenende umgezogen. Zu Ferienbeginn kommt meine Tochter noch nach. Lydia meint, du kannst mir über die Schule etwas erzählen. Ich wusste gar nicht, dass du auch schon eine so große Tochter hast und Olli die Sybille geheiratet hat. Meine Eltern haben mir nie gesagt, dass ihr noch hier wohnt oder irgendetwas von euch erzählt.“
„Das holen wir alles nach. Über die Schule kannst du mit Tilly selbst reden. Was hältst du davon, wenn wir uns Freitag bei mir treffen? Ich sage Olli Bescheid. Das wird lustig, wie in alten Zeiten. Wir haben alle viel zu berichten“, schlägt Christine vor.
„Das lasse ich mir ganz bestimmt nicht entgehen. Lydia wird mich sicher mit dem Auto mitnehmen können. Ich habe ja jetzt keins mehr. Mach´s gut, Christine“, verabschiedet sich Jutta.
„Ja, du auch. Bis Freitag. Ich freue mich.“
Lydia holt Jutta pünktlich ab, um mit ihr in die Waldsiedlung zu fahren.
„Schade, dass ich mein Auto nicht behalten durfte“, sagt Jutta. „Rüdiger ist der Meinung, dass ich mir diesen Luxus reichlich verscherzt habe.“
„Na ja, du musst ihn auch verstehen. Erst schenkst du ihm keinen Erben und dann verlässt du ihn auch noch. Ganz schön frech von dir“, versucht Lydia an die frühere Unbeschwertheit anzuknüpfen.
Jutta sagt mit ernster Miene: „Ja. Du hast Recht. Das war ganz schön unverfroren von mir.“ Dann lacht sie. „Bin ich vielleicht froh, wieder bei euch zu sein. Mir kommt es so vor, als hätte ich mich aus einem Stahlpanzer befreit. An freundliche und lockere Unterhaltungen muss ich mich erst wieder gewöhnen.“
„Das wird ganz schnell gehen, wenn du dir genug Zeit für uns nimmst. Jetzt kann ich dir auch endlich von Tilly vorschwärmen. Zu ihr habe ich schon immer ein besonderes Verhältnis. Eigene Kinder möchte ich nicht, zumindest noch nicht.“ Lydia runzelt die Stirn und erzählt schnell weiter. „Das Zusammensein mit Tilly kann ich voll genießen, denn ich muss sie nicht erziehen. Christine hat es aber auch nicht schwer mit ihr, denn Tilly hat schon zur Geburt viel Vernunft mitbekommen. Und Daniel hat ein sonniges Gemüt. Er ist ziemlich wild und unternehmungslustig. Mit seinen Freunden lässt er seinem Tatendrang freien Lauf. Die machen öfter die Waldsiedlung unsicher. Abends fallen sie todmüde in die Betten – sehr zur Freude ihrer Eltern. Aber du wirst alle gleich selbst sehen.“
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