Mit anderen Worten, er verkehrte in diesen diskreten Hinterzimmern, deren wichtigster Einrichtungsgegenstand ein Tresor ist, stank vor Geld und ließ es alle wissen; er war beliebt und sie hatte sich ihn mit 25 geangelt, als er 45 war. Und wenn er Rom so liebte, musste es einen Grund geben, warum er jetzt in Paris lebte.
"Dann gab es keine finanziellen Probleme?"
"Unmöglich, er ist sehr vermögend. Und seine Geschäftskontakte reichen in Kreise hinein, die unabhängig sind von jeder Konjunktur. Finanzielle Probleme sind da undenkbar."
"Und Sie?"
"Ich habe mein Hobby zu meinem Beruf gemacht. Ich habe in Basel Kunstgeschichte studiert und seit dem Ende meines Studiums besitze ich in Baden-Baden eine Galerie."
"Schon lange?"
"Seit zehn Jahren. Robert hat mir das Anfangskapital geschenkt. Wir lieben uns sehr."
"Warum läuft er dann einfach weg?"
Ihr Blick wurde feucht:
"Ich weiß es nicht. Deswegen sollen Sie ja nach Paris fahren."
"Warum muss das denn ausgerechnet jetzt sein? Sie haben doch sicher von den Unruhen gehört?"
"Am Rande. Aber zum Glück sind wir davon nicht betroffen."
"Nun, Sie sind eben im Begriff, mich mitten in diese Unruhen hineinzuschicken."
Sie schwieg betreten. Nach einer peinlichen Pause meinte sie:
"Das war mir überhaupt nicht bewusst. Aber ich kann nicht warten. Ich weiß nicht, wie lange mein Mann sich an dieser Adresse aufhalten wird."
"Ich verstehe."
Strickmann dachte einen Moment lang nach und präsentierte ihr dann seine Lösung:
"Ich schlage Ihnen folgenden Kompromiss vor: Sie bezahlen mir mein Geld auch, falls ich durch diese Unruhen in irgendeiner Form an meinen Ermittlungen gehindert werde. Und wir nehmen eine Rücktrittsklausel in den Auftrag auf. Dann kann ich in Ruhe die neuesten Informationen auswerten und entscheiden, ob ich fahre oder nicht. Sie haben im Gegenzug nichts zu tun mit eventuellen Schäden an meinem Wagen."
"Einverstanden. Das ist fair."
"Schön. Dann können wir mit der Routine weitermachen. Spricht ihr Mann Französisch?"
"Fließend. Und Italienisch auch."
"Wie haben Sie einander denn kennen gelernt?"
"Ich habe mir mein Studium durch Auftritte in Clubs finanziert. Robert war Gast."
"Was für Auftritte waren das denn?"
Sie wurde wieder verlegen:
"Ich habe in Nachtclubs gesungen."
Strickmann verzichtete auf weitere Fragen in diese Richtung. Sie wusste, worauf er hinauswollte, und spielte trotzdem die Blauäugige. Das reichte ihm, um sich eine Vorstellung davon zu machen, welche Art Clubs Robert Lange vor zehn Jahren besucht hatte. Auf der deutschen Seite gibt es rheinaufwärts von Basel genügend davon, in jedem zweiten Dorf. Früher hat man dort Lachse gefischt, heute fischt man mit etwas anderen Netzen Schweizer Franken.
"Was ist Ihr Ziel? Was wollen Sie?"
"Ich will meinen Mann zurück."
"Wer würde denn von seinem Tod profitieren?"
"Robert ist nicht tot."
"Es ist immerhin eine theoretische Möglichkeit."
"Es ist keine Möglichkeit, nicht einmal eine theoretische. Gestern hat er mit einer guten Kundin Kontakt gehabt. Sie hat mich sofort angerufen und mir die Telefonnummer in dem Umschlag dort gegeben. Ich hatte ihn in Rom vermutet und werde ihr das nie vergessen."
Sie wischte sich verstohlen eine Träne aus einem Augenwinkel.
"Wie heißt sein Geschäftspartner?"
"Weber, Peter Weber."
"Wie lange kennen sich die beiden?"
"Sie sind miteinander zur Schule gegangen."
"Würden Sie mir bitte seine Telefonnummer aufschreiben und ihn informieren, dass ich ihn sprechen möchte?"
"Er hat viel zu tun jetzt, wo Robert nicht da ist."
"Es ist leider notwendig."
Widerstrebend schrieb sie verschiedene Nummern auf das Blatt Papier und gab es Strickmann. Ihre Handschrift war keineswegs so kindlich, wie er erwartet hatte. Dann legte er das Foto und die Zeitung vor sie auf den Tisch:
"Ich bräuchte auch noch die Schlagzeile der Zeitung auf der Rückseite des Fotos."
Sie fragte nicht nach dem Grund, vielleicht war er ihr verständlich: Er brauchte eine Legitimation, falls es zu einem Gespräch mit Robert Lange kommen sollte. Lange würde ihre Handschrift wiedererkennen und die Schlagzeile der Zeitung würde beweisen, dass sein Gespräch mit Christine Lentz noch nicht lange zurücklag. Während sie schrieb, drückte Strickmann ein paar Tasten seines Handys, las eine SMS und steckte es dann ein:
"Und nun brauche ich möglichst viele Details über Robert Lange. Auch Dinge, die Ihnen völlig unbedeutend erscheinen. Ich fürchte, Sie werden sich die nächsten eineinhalb Stunden vielleicht etwas langweilen."
"Es langweilt mich nicht, über Robert zu reden."
"Dann los."
Strickmann stellte sein Diktiergerät auf den Tisch und schaltete es ein:
"Autorisieren Sie bitte die Aufnahme."
"Wie macht man das?"
"Sagen Sie: Ich bin mit der Aufnahme einverstanden ."
"Christine Lentz. Ich bin mit der Aufnahme einverstanden."
"Danke. Haben Sie mit Robert Lange zusammengewohnt?"
Sie zögerte mit der Antwort:
"Eigentlich schon."
Dann nannte sie ihre Adresse in Baden-Baden .
"Und wie soll ich diese Antwort verstehen?"
"Ich denke, Sie wollen mit dieser Frage die Intensität oder die Verbindlichkeit unserer Beziehung erfahren. Sie ist sehr verbindlich und sehr intensiv. Aber formal gesehen wohnen wir nicht zusammen. Jeder von uns bewohnt ein Haus, die beiden Häuser stehen nebeneinander."
Sie nannte eine zweite Hausnummer. Wie bei armen Leuten eben so üblich, schoss es Strickmann durch den Kopf.
"An welcher Hand trug Ihr Mann die Handschelle seines Schmuckkoffers, wenn er unterwegs war?"
"Warum stellen Sie diese Frage?"
"Weil ich wissen möchte, ob er Links- oder Rechtshänder ist. Wenn ich Ihnen aber jede Frage einzeln begründen muss, sitzen wir heute Abend noch hier."
"Robert ist Linkshänder."
"Wie waren seine Gesundheit, sein Blutdruck, seine Brillenstärke? Welche Vorlieben hatte er in Bezug auf Essen, Gerüche, Kleidung, Gewohnheiten, Filme, Bücher, Wetter, Urlaub? Wie verbrachte er seine Freizeit? Bei welchen Banken hatte er Konten? Es gibt nichts, was nicht wichtig werden könnte."
Christine Lentz seufzte. Strickmann wollte ihr deutlich machen, was auf sie zukam:
"Keine Sorge. Wenn wir mit den Vorlieben fertig sind, kommen die Abneigungen."
Sie arbeiteten konzentriert. Auf jedes Stichwort erhielt Strickmann präzise Informationen und allmählich konnte er die Umrisse von Robert Lange erkennen. Sie sprach aber immer in der Gegenwart von ihm, wollte nicht zur Kenntnis nehmen, dass sein Verschwinden einen großen Einschnitt in seinem und in ihrem Leben bedeutete. Nur über ihre Beziehung und ihre Bankkonten wollte sie nicht reden. Strickmann war erst zufrieden, als er die Antworten auf die meisten verbleibenden Fragen erraten konnte.
Als sie fertig waren, überraschte sie ihn mit einer Entschuldigung:
"Ich bedauere meine Bemerkung über Ihre Professionalität. Sie war voreilig."
"Danke. Haben Ihr Mann und sein Partner eigene Stempel?" 5
"Natürlich. Ihre stilisierten Initialen."
Sie skizzierte sie auf den Briefbogen.
"Könnten wir das Geschäftliche noch regeln?"
"Ich bitte Sie darum."
"Ihr Auftrag an mich besteht aus zwei Fragen: ob Robert Lange zurzeit unter der angegebenen Telefonnummer in Paris zu erreichen ist und ob eine Frau etwas mit seinem Verschwinden aus Baden-Baden zu tun hat. Dazu haben Sie mir verschiedene Informationen gegeben. Ist das so richtig?"
"Ja."
"Die Adresse, die zu dieser Telefonnummer gehört, habe ich geklärt. Ich würde noch heute losfahren, spätestens morgen."
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