„Verankerung vollzogen“, meldete der Pilot.
Der Kommandant knickte zustimmend die Kopffühler nach vorne. „Hand der Seher, wie ist der Status der anderen Schiffe?“
„Das zweite Schiff ist verankert, Herr. Das dritte Schiff sinkt noch ein… Ist jetzt zum Stillstand gekommen. Alle Verankerungen vollzogen, Hoch-Wort.“
Der Kommandant spürte, dass ihn die Anrede als Hoch-Wort plötzlich schmerzte. Die drei Schiffe waren nun verankert, waren der Kern der Kolonie von Kell´Nar und damit ein Bestandteil dieser Welt. Sie waren jetzt keine Raumschiffe mehr, kein Bestandteil der Kolonisationsflotte und er selbst war nun kein Schiffsführer mehr, sondern ein Kolonist, auch wenn er als Wort der Siedler zu ihrem Anführer wurde. Die kommende Verantwortung bedrückte ihn und er war glücklich, dass Hoch-Meister Tenador-Sentos vorerst die letzten Entscheidungen treffen musste.
Voller innerer Zweifel schwangen seine beiden Fühler zur Seite, als er sich an Tenador-Sentos wandte. „Hoch-Meister, ich gebe unser aller Schicksal nun in deine bewährten Hände.“
Tenador knickte zustimmend die Fühler nach vorne und gab der Hand des Sprechens ein Zeichen. Diese schaltete erneut die Rundrufanlage ein. „Hier spricht der Hoch-Meister Tenador-Sentos. Wir alle sind nun Bewohner der neuen Welt Kell´Nar und unsere Aufgabe ist es, sie zur Blüte zu bringen. Die Große Mutter aller Stämme und die kleine Mutter unseres Stammes wünschen, dass uns das Schicksal gewogen ist. Gemeinsam werden wir, mit dem Fleiß unserer Hände, unsere erste Siedlung erschaffen und diese Welt in unseren Besitz nehmen. Die Dunkelperiode wird bald hereinbrechen. Wir werden diese in den einstigen Schiffen verbringen. Mit dem ersten Tageslicht gehen wir hinaus. Die Worte der einzelnen Sektionen werden euch eure Aufgaben zuteilen. Die Hoch-Worte der Siedler, der Wissenden, der Heiler und der Stecher werden sich nun sofort mit mir beraten. Nochmals willkommen, neue Siedler, und möge das Schicksal uns gewogen sein.“
Während Tenador auf das Eintreffen der Befehlshaber der verschiedenen Bereiche wartete, wandte er sich nochmals an den Norsun, der für die Ortung verantwortlich war. „Hand der Seher, steht die Verbindung zu den Fernaugen?“
Vor dem Landemanöver hatte man fünf Satelliten ausgesetzt, die sich mit Hilfe ihrer Triebwerke in geostationäre Positionen manövrierten. Von dort konnte die gesamte Oberfläche mit Optiken, Scannern und Sensoren beobachtet werden. Zudem tasteten die Scanner in den Weltraum hinaus und dienten der Kommunikationsübertragung.
„Alle fünf Augen stehen in Position. Kopplung der Systeme wird gerade abgeschlossen. Erste Daten werden übertragen. Keine verdächtigen Objekte im näheren Weltraum feststellbar. Keine verdächtigen Objekte am Boden feststellbar. Ein Sturm wird angemessen, der in großer Entfernung an uns vorüberzieht.“
Tenador blickte das einstige Hoch-Wort des Schiffes an. „Du bist nun das Wort der Siedler von Kell´Nar. Als Hoch-Meister spreche ich nun das Wort: Du wirst dafür sorgen, dass die einstige Zentrale immer besetzt ist. Von nun an ist sie das Kontrollzentrum unserer Siedlung.“
„Meine Hand folgt deinem Willen, Hoch-Meister.“
Die anderen Worte trafen ein. Tenador-Sentos hätte sie in einem der bequemeren Beratungsräume versammeln können, doch es war spät, es gab viel zu bereden und der Hoch-Meister fand es nicht angemessen, der Bequemlichkeit nachzugeben.
Im Grunde kannten die Verantwortlichen der verschiedenen Bereiche ihre Aufgaben. Sie waren sorgfältig ausgebildet und hypnotisch geschult worden. Die Ergebnisse der ersten Forscher, Daten und holografische Aufnahmen lagen vor. Tenador war jedoch der Überzeugung, dass eine letzte Unterweisung die Sinne und das Verantwortungsbewusstsein seiner Untergebenen schärfen würde. Die Versammlung dauerte lange Stunden, während deren sich die übrigen Siedler ihren eigenen Gedanken hingaben. Nur wenige fanden in dieser Nacht den erforderlichen Schlaf. Die Aufregung, was sie in ihrer neuen Welt wohl erleben würden, war bei den meisten einfach zu groß.
Pünktlich mit dem ersten Licht des neuen Tages öffneten sich die großen Schleusen der drei Hanteln. Scharen von Norsun verließen sie, bepackt mit Werkzeugen und Instrumenten und dem festen Willen, sich und ihren Nachkommen ein Heim zu erschaffen. Begleitet wurden sie von einer Hundertschaft von Bions, die für ihren Schutz verantwortlich waren. Fast Zwanzigtausend neue Siedler verließen die metallenen Hüllen und es gab kaum zwei Dutzend schwerer Maschinen oder Fahrzeuge, die sie benutzen konnten.
Das den Neusiedlern so wenig Technik verfügbar war, hatte gleich mehrere Gründe. Was die Siedler mit ihrer Hände Kraft und Geschicklichkeit bewerkstelligen konnten benötigte keine Maschinen und sparte Laderaum für andere wichtige Ausrüstung. Alle Siedler waren auf irgendeine Weise in die Arbeiten eingebunden und wenn alle arbeiteten, so förderte dies, nach den Regeln der Großen Mutter, das Gemeinschaftsgefühl. Zudem würden die Norsun Stolz über das empfinden, was sie selbst erschufen.
Zwei große Gruppen widmeten sich dem eigentlichen Siedlungsplatz und einem der großen Kakteenwälder, eine kleinere wandte sich dem Ufer des Sees zu. Dort beabsichtigte man ein kleines, aber effektives Wasserkraftwerk an einem der Zuläufe zu errichten. Dieses sollte den Strombedarf decken bis der erste Sonnenreaktor durch eigene Mittel der Kolonie errichtet werden konnte. Man würde auch Fische fangen, deren Population untersuchen und darauf achten, das günstig gelegene Gewässer nicht zu überfischen. Es bildete immerhin die erste Nahrungsquelle der neuen Welt. Die Norsun am Ufer arbeiteten angestrengt und ihre Körper sonderten entsprechende Pheromone ab. Innerhalb kurzer Zeit wurden sie von Schwärmen kleiner Insekten umschwirrt. Der für den Bau des Kraftwerkes verantwortliche Leiter nahm sich vor, von den Händen des Wissens eine Möglichkeit erforschen zu lassen, die Plagegeister auf Abstand zu halten.
Die Gruppe auf dem Siedlungsplatz, immerhin fast zwölftausend Norsun, begannen mit der „Grundsteinlegung“ der Siedlung. Der Boden zwischen den drei Hanteln sowie einem kreisrunden Areal um diese herum, welches fast fünf Kilometer maß, wurde sorgfältig geebnet. Gräben wurden ausgehoben, welche Leitungen für Versorgung und Entsorgung aufnehmen sollten. Alles geschah nach jenem Plan, in dem Tenador-Sentos jedes Bauwerk und dessen Bedeutung festgelegt hatte. Vier der Fahrzeuge würden die Gräben auskleiden, Rohre und Leitungen verlegen und alles mit einer dauerhaften Schicht von Beton versiegeln. Vier weitere gossen die ersten Fundamente.
Die Norsun dieser beiden Gruppen litten unter der körperlichen Anstrengung, doch dies war nichts im Vergleich zu jenen Siedlern, die dem Wald zu Leibe rückten.
Die Kakteenbäume besaßen Stämme die im Durchschnitt dreißig Meter aufragten und eine glatte Rinde hatten. Im oberen Drittel begannen die weit verzweigten Ausläufer, die dicht mit langen Stacheln besetzt waren. Einige von diesen maßen zwei bis drei Meter.
Die Norsun lernten auf die schmerzliche Art, wie gefährlich diese Pflanzen sein konnten.
Während alle Stacheln eine einheitliche kräftige braune Farbe aufwiesen, zeigten die unterschiedlich hohen Stämme auch verschiedene Farben, die zwischen einem blassen Grün und einem kräftigen Gelb lagen. Erstere waren junge Kakteenbäume, die in mattem Gelb hingegen die älteren Exemplare.
Die Fällgruppen der Norsun benutzten Äxte, Spaltkeile und Sägen, die im Prinzip menschlichen Werkzeugen entsprachen. Man suchte sich keine speziellen Stämme aus, sondern beabsichtigte sich vom Waldrand allmählich ins Innere voranzuarbeiten. Weitere Gruppen standen bereit um die gefällten Stämme von ihren Auslegern und diese wiederum von ihren Stacheln zu befreien. Dann sollten die Rinden geschält und der Stamm zu soliden Brettern verarbeitet werden. Für letzteren Arbeitsgang standen zwei Maschinenfahrzeuge zur Verfügung.
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