Hannah setzte sich und schaute raus. Der Ausritt vorhin war wirklich schön gewesen und sie erinnerte sich an die Zeiten zurück, als sie noch nicht in einem Netz aus Dressurtraining, Nachwuchspferden, Erfolgsdruck und Turnierstress gefangen war. Sie wusste, dass es an ihr lag, sich dort herauszuwinden, aber mit einem Partner wie Konstantin konnte man das nicht ignorieren, schließlich war genau das sein Leben. Viel mehr seins als ihres. Sie liebte Pferde. Sie ritt, seit sie klein war und hatte mit ihrem eigenen Pferd auch oft an Turnieren teilgenommen und dabei Erfolge erzielt, aber sie mochte auch das ungezwungene Zusammensein mit dem Pferd und eben auch mal einen frischen Galopp im Gelände. Immer nur Runde um Runde in der Halle zu drehen, unter sich ein aufgedrehtes Jungpferd, das kaum zu halten war, weil es gar nicht wusste, wo es mit seiner Energie und Kraft hinsollte – das war nicht ihre Welt. Sie hatte bereits oft mit Konstantin darüber gesprochen und auch mehrfach Bedenken angemeldet, die er und ihr Umfeld aber jedes Mal im Keim erstickt hatten. Hannah erkannte erst jetzt hier mit einem gewissen Abstand, dass sich ihr reiterliches Leben in den letzten Jahren sehr fremdgesteuert entwickelt hatte.
„Oh, hallo, da bist du ja, alles klar?“ Colin stand frisch geduscht in Pulli, Jeans und Hausschuhen in der Tür und wurde von Arrow mit einem sachten Schwanzwedeln bedacht.
„Ja, alles klar. Sag mal, was für eine Rasse ist er eigentlich?“ fragte Hannah und wies auf Arrow.
Colin grinste. „Kurzhaarcollie.“
„Ach, die gibt’s auch mit kurzem Fell? Ich kenn nur Lassie, aber die jeden Tag zu kämmen wär nicht meins.“
„Genau deshalb haben wir so einen.“ Colin streichelte Arrow über den Kopf.
„Soll ich was in der Küche helfen?“ fragte Hannah.
„Ja, gerne.“
„Deine Mutter lässt nicht gerne Fremde hier rein, oder?“ fragte Hannah vorsichtig, als sie Colin in die Küche folgte. Arrow trottete hinter den beiden her und legte sich unter den Tisch in der linken Raumecke, der vor einer altmodischen Eckbank stand.
„Ja, Mom ist da speziell. Gäste haben in ihren Augen in der Küche nichts verloren.“
Die Küche war im modernen Landhausstil eingerichtet und strahlte eine große Gemütlichkeit aus. Durch mehrere, große Sprossenfenster war sie schön hell und in dem kleinen gewächshausartigen, verglasten Anbau hinter der Spüle standen diverse Töpfe mit Küchenkräutern.
„Das ist echt toll hier.“
Colin räumte einige Kartoffeln auf die Arbeitsplatte. „Ja, die Küche hat Mom selbst geplant, hier ist alles genauso, wie sie es haben wollte. Sie backt und kocht sehr viel“, sagte er und zog eine Schublade auf. „Und sehr gut“, fügte er hinzu und überreichte Hannah einen Gemüseschäler und ein Schneidbrett. „Du kannst die Kartoffeln schälen, wenn du magst. Du magst doch hoffentlich Steak?“
„Ja, klar.“
„Gut.“ Colin lächelte. „Wir haben gerade echt tolles Fleisch da, aus unserem Nachbarort. Wie war denn der Kurs heute? Besser als gestern?“ Colin wandte sich zum Kühlschrank um und suchte etwas darin. Während Hannah die Kartoffeln schälte, berichtete sie Colin von ihrem Tag und ließ auch ihre Enttäuschung über Nora sowie die Beschreibungen der Unterkunft und des Aufenthaltsraums nicht aus.
„Ja, das haben wir schon oft gehört, wir hatten schon viele Gäste hier, die dort Kurse gemacht haben. Der Stall hat in der Umgebung, was das Sportliche betrifft, traditionsbedingt einen sehr guten Ruf, und es kommen ja auch aus ganz Europa Reitgäste dorthin. Wobei, momentan würden sie es wahrscheinlich noch nicht mal schaffen, ihre Zulassung zu verlängern. Das Hotel ist innen wirklich schön gemacht und ist genau wie das Restaurant vor allem eins: Teuer. Zum dortigen Essen will ich jetzt nichts sagen, nur, dass ich dort nichts essen würde.“
„Oh, warum?“ fragte Hannah und beförderte die geschälten Kartoffeln in einen Topf mit Wasser, den Colin schon bereitgestellt hatte.
„Sie nehmen es mit der Hygiene nicht so genau, mehr will ich dazu nicht sagen, sonst vergeht mir der Hunger.“ Er lächelte abschließend.
„Ok.“ Hannah lächelte ebenfalls und stellte den Topf auf den Herd.
„Und reiterlich ... nun ja ... das merkst du ja selbst.“ Colin bereitete weiter die Steaks vor und schnitt einen Berg an Zwiebeln klein. „Momentan läuft es da nicht rund. Früher war das anders.“
Hannahs Handy klingelte. Colin sah kurz hoch, weil er das Geräusch nicht zuordnen konnte, schnitt dann aber weiter die Zwiebeln in Ringe. Hannah schaute auf das Display, es war Nora. Hannah musste sich fünf Minuten lang anhören, dass Konstantin sauer auf sie, Hannah, sei und wie sie sich es denn erlauben könne, ihm seine Bitte bezüglich der Pferdevideos und -bilder abzuschlagen, immerhin würde er vielleicht sogar ein oder zwei Pferde dort kaufen wollen und er hätte sie ja auch schon so lieb beraten. Sie hatte sich nämlich heute schon mal die Verkaufspferde angeschaut.
„Nora, ich hab jetzt keinen Nerv auf sowas. Wenn ihr beide da so Feuer und Flamme seid, dann schick du ihm doch Bilder und beratet euch gegenseitig. Aber lass mich da raus. Ich werde jetzt nicht in den Stall laufen, Videos machen und dann wieder zurücklaufen. Mach du ihm doch die Bilder, du musst nur schräg über den Hof! Ich bin nicht eure Sekretärin!“ sagte sie etwas zu laut und legte auf. Sie brummte kurz wütend und stellte ihr Handy auf lautlos. Arrow stand neben ihr und sah sie an und auch Colin schaute zu ihr rüber, mit roten Augen vom Zwiebelschneiden, aber auch besorgt. Eine Haarsträhne hing ihm über die Augen. Und warum zur Hölle war der Kerl plötzlich so gutaussehend? War das ein anderer als gestern? Der Bart, erinnerte Hannah sich selbst, es war der Bart. „Was?“ fragte sie.
„Ist alles ok? Ist etwas passiert?“ fragte Colin und pustete sich die Haare aus den Augen.
„Ach ... Nora und mein seltsamer Freund meinen jetzt, unbedingt die Verkaufspferde anschauen zu müssen und ich soll ihm Videos machen und Bilder schicken. Das kann Nora erledigen, die ist sie doch viel näher dran als ich! Ich lauf doch jetzt nicht da rüber! Was denken die sich?“
Colin hob fragend eine Augenbraue. „Wahrscheinlich nichts. Dein Freund ist auch hier? Wo wohnt der denn? Drüben im Hotel?“
„Nein, er ist nicht hier. Aber er ist auch Noras Springtrainer und jetzt sind beide besessen davon, hier Pferde zu kaufen.“
„Er ist Springreiter in Deutschland?“
„Ja. Mittlerweile ganz erfolgreich sogar.“
„Wie heißt er?“
Hannah nannte den vollständigen Namen, aber Colin kannte ihn nicht.
„Ja. Und er trainiert auch. Pferde und Reiter.“
„Und das ist dir alles zu viel? Haben die was miteinander?“ Colin hatte, ohne es zu wissen, Hannahs momentane Gefühlslage präzise zusammengefasst.
„Das hab ich mich auch schon gefragt. Und ja, mir ist alles zu viel.“
„Du musst deine eigenen Entscheidungen treffen“, sagte Colin und legte die Steaks in die Pfanne. Das laute Zischen machte vorerst jede weitere Unterhaltung unmöglich, außerdem war Colin derart konzentriert bei der Sache, dass Hannah ihn nicht unterbrechen wollte. Immerhin stand ein wohlschmeckendes Essen gerade weit oben in ihrer Prioritätenliste.
„So, dann lass es dir mal schmecken, ich hoffe das passt so für dich“, sagte Colin und stellte Hannah einen Teller voller Zwiebeln und Bratkartoffeln hin. Zumindest sah man das Steak unter all den anderen Sachen kaum. „Hier ist noch Kräuterbutter“, sagte er und stellte einen kleinen Teller in die Mitte des Tisches.
„Danke, es riecht schon mal sehr lecker.“
Colin lächelte und holte noch eine große Flasche Cola und zwei dicke Scheiben Brot zum Tisch. Sie aßen an dem Tisch bei der Eckbank, Colin fand es hier um Längen gemütlicher als drüben im offiziellen Esszimmer. „Da essen wir immer nur, wenn Gäste da sind“, sagte er und schnitt sein Steak an. Hannah nickte und wünschte einen guten Appetit. Wie alles, was sie bisher hier zu essen bekommen hatte, war auch das Steak vorzüglich.
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