Kurz vor Ottmarsheim meldet sich Marit auf Funkkanal 10 beim Schleusenwärter. Auf der Schleusenmole sitzt eine Gruppe Kormorane mit ausgebreitetem Gefieder und wärmt sich auf. Die Vögel fühlen sich behaglich, genießen die Situation. Als die Flamingo ankommt, ist das Tor offen, die Ampel steht auf Grün – wir müssen nicht warten. Ich bekomme das Gefühl, dass das bei jeder Schleuse so ist. Marit steuert das Schiff zentimetergenau.
Wie sie das macht, weiß ich noch nicht, glaube aber, es hat viel mit Erfahrung zu tun. Wenn es genau an der Stelle ist, an der sie es haben will, springt sie schnell ins Heck und vertäut es an einem Poller. Der Schleusenwärter schließt das obere Tor und den Rest kenne ich schon. Auch hier gibt es schmale Eisenleitern mit Flacheisen als Holmen und Rundstäben als Sprossen, alles glitschig und verrostet.
Luuk möchte, dass ich zu ihm in den Bug komme. Er zeigt mir, wie man ein Tau an einem Poller befestigt. Ich will mir den Knoten einprägen, aber das reicht ihm nicht. Es sei die praktische Erfahrung, die wichtig sei, ich solle das Tau vom Poller nehmen und sofort wieder festbinden. Er ist mit dem Ergebnis nicht zufrieden und ich muss das Ganze auf Tempo wiederholen. Gerade als er anerkennend nickt und mir den Namen des Knoten verrät – es ist ein Kopfschlag –, beginnt sich das Tor vor dem Bug zu heben. Vor uns liegt auch hier eine schmale Straße, die glitzert und zum Horizont weist. Rechts und links verlaufen Schwarzwald und Vogesen parallel zum Fluss und das wird noch eine ganze Weile so bleiben.
Marits Kommando Mach los! gilt dieses Mal mir. Ich nehme das Tau vom Poller, als ob ich nie in meinem Leben etwas anderes gemacht hätte:
'Bug ist frei.'
'Sehr gut. Jetzt noch das Heck, bitte.'
Wir gehen nach achtern. Luuk steht scheinbar teilnahmslos herum und ich widme mich dem Tau. Als ich soweit bin, melde ich mit breiter Brust:
'Heck ist frei.'
Zurück im Steuerhaus, sehe ich Marit vorsichtig Gas geben. Die Maschine arbeitet ganz leise. Mir ist, als ob diese Schlucht uns resigniert wieder loslassen müsste, zu schwach wäre, um uns festhalten zu können. Wir gehören nicht in diese Schleuse, wollen nicht festgehalten werden. Wir gehören auf den Fluss, müssen uns bewegen können, wollen vorwärtskommen. Und wir sind stark genug, unsere Freiheit zu erzwingen. Nachdem wir das dicke Tor passiert haben, ist nichts mehr zu spüren von der Enge der Schleuse – wir lassen sie einfach hinter uns. Es ist ein gutes Gefühl und ich spüre, wie ich ruhig werde.
Luuk verabschiedet sich:
'Ich gehe jetzt in die Koje.'
Sie sehen mich beide fragend an. Ich nicke und Luuk verschwindet. Damit habe ich einen Job an Bord. Solange er schläft, werde ich mich um den Kaffee kümmern und in den Schleusen vielleicht auch im Bug stehen, um das Schiff zu vertäuen."
Bei Kilometer 198 kommen sie unter der zweitniedrigsten Brücke am ganzen Fluss durch, nur die Mittlere Brücke in Basel ist niedriger. Marit muss den Mast im Bug umlegen und das Steuerhaus herunterfahren. Strickmann legte sich auf eine Sitzbank und beobachtete, wie sie mit einem Rundumblick kontrolliert, ob nicht irgendwelche Gegenstände im Weg sind. Dann fährt sie den oberen Teil des Aufbaus herunter und es wird eng. Als sie an der Brücke vorbei waren und er sich wieder entspannen konnte, erinnerte sie sich an eine Geschichte von der MS Gavialis : Der Schiffsführer war einen Moment unaufmerksam und versäumte es an einer Brücke, das Steuerhaus rechtzeitig abzusenken. Es wurde regelrecht abrasiert, das Schiff musste für drei Monate in die Werft. Auch das sei ein gutes Beispiel für die Folgen eines kleinen Fehlers: drei Monate Verdienstausfall, Reparaturkosten, Verlust der Geschäftsverbindungen. Die finanziellen Schäden deckt die Versicherung, aber wenn es Personenschäden gibt …
Strickmann war erstaunt, dass die Schiffe für spezielle Anforderungen des Flusses gebaut werden und bekam gleich noch ein Beispiel zu hören: Ab der Mittleren Rheinbrücke in Basel muss man
sich rheinaufwärts schleppen lassen, es sei denn, man hat zwei Maschinen – die Strömung ist zu gefährlich. Nicht auszudenken, wenn ein einzelner Motor ausfiele und der mächtige Kahn steuerlos den Fluss hinuntertriebe … Die Partikuliere müssen also schon vor dem Kauf des Schiffes wissen, wo sie damit fahren wollen.
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