Thomas Staack Zwanzig Fässer westwärts
Für meine geliebte Karen,
mit der ich einfach glücklich bin
ImpressumZwanzig Fässer westwärts Thomas Staack Copyright: © 2013 Thomas Staack published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de ISBN 978-3-8442-6549-1
Erstes Kapitel: Ostwall
Zweites Kapitel: Über Stock und Stein
Drittes Kapitel: Geräusche
Viertes Kapitel: Meinungen
Fünftes Kapitel: Im Regen
Sechstes Kapitel: Nachtmahl
Siebtes Kapitel: Schattenwald
Achtes Kapitel: Gongo
Neuntes Kapitel: Walnüsse
Zehntes Kapitel: Totentanz
Elftes Kapitel: In aller Frühe
Zwölftes Kapitel: Falkenberg
Dreizehntes Kapitel: Lieferung
Vierzehntes Kapitel: Herrscher
Fünfzehntes Kapitel: Auf Messers Schneide
Sechzehntes Kapitel: Stadt der Schatten
Siebzehntes Kapitel: Entscheidungen
Achtzehntes Kapitel: Rückkehr
Über die Entstehung von
Zwanzig Fässer westwärts
Als kleiner Junge träumte ich davon, Schriftsteller zu werden. Fieberhaft kritzelte ich Wort für Wort mit Bleistift und Füller auf Karopapier. Alle Erzählungen haben etwas gemeinsam: Sie haben einen Anfang und kein Ende. Unvollendet landeten sie in einer Plastikhülle meines Aktenordners. Und darin ruhen sie bis heute.
Als mein Freund Björn mich im Studium für Brettrollenspiele begeisterte, fing ich an, Kurzgeschichten zu schreiben, was meinen Fähigkeiten entgegenkam. Sie waren kurz, so kurz, dass selbst ich das Ende erreichen konnte. Noch einmal versuchte ich mich an einer längeren Geschichte und wiederum blieb sie ohne Ende, obwohl ich jahrelang an ihr herumtippte.
In meinem Leben habe ich oft versucht, meine kleinen und großen Träume zu verwirklichen. Manchmal ist es mir gelungen, doch zähneknirschend musste ich einsehen, dass jeder Traum irgendwann ausgeträumt ist. Ich bin weder Fußballnationalspieler noch Bundesligatrainer geworden, kein Archäologe, kein Astronaut und kein Schauspieler. Auch der Traum, einen Roman zu vollenden, ging bereits dem Ende entgegen. Dann las Karen meine Kurzgeschichten und fand sie wider Erwarten „unterhaltsam“. Es war mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte. Dankbar beschloss ich, für sie eine neue Kurzgeschichte zu schreiben, und machte mich motiviert ans Werk. Kurz war bald nichts mehr daran, und plötzlich war ich dort, wo ich immer sein wollte: am Ende.
Diese Geschichte widme ich meiner Frau. Ohne Karen wäre sie weder entstanden noch fertig geworden. Auch der Rest meines Lebens wäre ohne sie eine unvollendete Baustelle, denn sie hat mir geholfen, neue Träume zu finden, die mir sogar besser gefallen als die alten.
Viele andere Menschen haben bewusst und unbewusst zu dieser Erzählung beigetragen und dafür bin ich ihnen sehr dankbar, vor allem dem Björn für die vielen gemeinsam erlebten Abenteuer in dieser und anderen Welten und die mühevolle Rezension des Manuskripts, meinen Eltern, die mir meine Fantasie und meinen Filmkonsum erlaubt haben, außerdem Robert, Barbara, Ralf, Gerd, dem Micha samt seinen Zeichnungen, der verstorbenen Gerda Kieslinger, ihrem Kater Jimmy und meinem Sohn Tim, denn in den Nachtschichten an seinem Bett ist ein Großteil der Geschichte entstanden.
Mit besten Wünschen
Lucas Weinberger erwachte am frühen Morgen. Er rieb sich die Augen und gähnte, dann drehte er sich auf die Seite, stütze sich auf den Ellenbogen und betrachtete fasziniert die junge Frau, die neben ihm im Bett lag. Ein wundervoller Abend lag hinter ihm und eine leidenschaftliche Nacht. Er bewunderte ihren entkleideten Körper, hob die Decke mit den Fingerspitzen an und spähte auf die eben noch dadurch verborgenen Körperteile. Er fragte sich, was er an Juliana am meisten mochte. Waren es Äußerlichkeiten wie die lockigen braunen Haare, die großen braunen Augen oder die schlanke Figur? Oder war es ihr Verhalten, die Art, wie sie lachte, schmunzelte, zwinkerte oder sich bewegte? Oder war es die Tatsache, dass sie sich gut verstanden, sich nächtelang unterhalten konnten über Wünsche, Pläne und Lebensträume? Er wusste es nicht, er wusste nicht, was von alldem ihn am meisten begeisterte - er mochte einfach alles an ihr. Wieder einmal fragte er sich, ob das Liebe war, und zog die Stirn in Falten. Viele Mädchen kannte er in Ostwall, der größten Stadt im Herzogtum Eberbach, und hatte mit manchen eine schöne Nacht verbracht, aber keine hatte sein Herz so berührt wie Juliana. Schon beim ersten Lächeln war er ihr verfallen. Leider galt es nicht ihm, sondern dem Gemischtwarenhändler Engelhart, den sie vor ein paar Monaten gebeten hatte, ihr einen guten Preis für ihre Einkäufe zu machen. Und wenn Engelhart in Ostwall für eines bekannt war, dann für seine nicht so guten Preise. Lucas hatte sie damals durch ein Loch in Engelharts Dachboden beobachtet, in den er durch eine Luke eingestiegen war. Der Händler verwahrte einige wertvolle Schätze in Truhen auf seinem Dachboden, um die ihn Lucas mit gewissen Schwierigkeiten erleichtert hatte. Es war einer seiner erfolgreichsten und einträglichsten Einbrüche gewesen, zumal ihm dabei Juliana begegnet war. Kennengelernt hatte er sie in den Wochen danach, nachdem er sie überall gesucht und schließlich beim Einkaufen auf dem Markt gefunden hatte. Mit ihr ins Gespräch zu kommen, war leichter gewesen als erwartet. Überraschenderweise fand sie ihn nicht weniger interessant als er sie.
Er streichelte ihr Haar. Sie brummte missbilligend und rekelte sich unter der Decke. Tief sog er die Luft ein, spürte ein Glücksgefühl in seiner Brust und musste grinsen. Julianas Zuneigung hatte ihn sogar dazu bewegt, über eine gemeinsame Zukunft mit ihr nachzudenken, obwohl ihm ein nahezu unüberwindliches Hindernis im Weg stand.
Krachend wurde im Hausflur eine Tür ins Schloss geworfen, und eine grollende Stimme rief: „Weib! Ich bin zu Hause!“
Eine Gänsehaut lief quer über Lucas' Rücken, und er setzte sich im Bett auf. Von unten waren Schritte zu hören und die Stimme schrie erneut: „Weib! Wo bist du? Willst du deinen Mann nicht begrüßen?“
„Süße“, flüsterte Lucas in Julianas Ohr und strich ihr zärtlich über den Nacken. „Ich glaube, dein Mann ist gerade nach Hause gekommen.“
Juliana riss die Augen weit auf und sprang wie ein Pfeil aus dem Bett. „Himmel und Hölle!“, rief sie. „Was macht der denn hier?“
„Ich denke, er wohnt hier“, meinte Lucas und schmunzelte. „Vermutlich will er zwischen den vielen Geschäften zu Hause nachsehen, ob alles in Ordnung ist und es seiner Frau gut geht.“
Amüsiert beobachtete er, wie Juliana sich hektisch das Unterkleid überwarf und auf der Suche nach weiteren Kleidungsstücken von einer Ecke des Schlafzimmers in die andere huschte.
„Wo ist es?“, schrie sie hysterisch. „Wo hast du mein Kleid hingeworfen, als du mich gestern Abend ausgezogen hast?“
„Ich weiß nicht, ich bin mir nicht sicher.“
Lucas strich sich seinen roten Haarschopf zurecht und kontrollierte das Ergebnis mit einem kleinen Spiegel, den er vom Boden aufgehoben hatte. Rasch schien er zufrieden zu sein, obwohl der mit dem Messer schlecht geschnittene Wildwuchs auf seinem Kopf nicht viel anders aussah als zuvor. Verärgert riss ihm Juliana den Spiegel aus der Hand und funkelte ihn an. Dann begann sie, ihre Locken sorgsam mit einem Kamm zu ordnen, was wesentlich länger dauerte.
„Bist du oben, Weib? Was machst du denn da?“, dröhnte es von unten.
Lucas verschränkte die Arme vor der Brust. „Treib nicht so viel Aufwand. Wir können deinem Mann auch in Unterkleidern gegenübertreten. Das macht wohl keinen Unterschied.“
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