Maxi Hill
Am Ende bleibt ein Zauber
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Inhaltsverzeichnis
Titel Maxi Hill Am Ende bleibt ein Zauber Dieses ebook wurde erstellt bei
Es geschah vor 25 Jahren
KAPITEL I - Die Sache mit Elli Wahlstedt
Koffer packen
Der erste Schritt
Der Mann im blauen Wams
Heimat ist ein Gefühl
Zwei Spielarten der Liebe
Die letzte Mission
Kapitel II - Zwei Himmel für ein Leben
Zeit der Offenbarung
Brüche und Umbrüche
Zwischen Schuld und Sühne
Strafversetzt
Elli in Bedrängnis
Eine neue Aufgabe
Kapitel III - Zu guter Letzt
Liebe Leserin, lieber Leser
Maxi Hill
Impressum neobooks
An diesem eiskalten Morgen erschrak Elvira bei Brigadier Webers Worten: »Zuerst der Kesselwagen der Freunde.«
Diese Freunde, das waren die sowjetischen Besatzer. Das Brudervolk. Der große Lehrmeister.
Sie erinnerte sich an die Gruppe sowjetischer Soldaten, die sie am ersten Tag nach ihrer Degradierung in der Nähe des Werktores gesehen hatte, durch das sie fortan zu gehen hatte.
»Er steht schon in der Halle«, sagte Weber mit einer Handbewegung, die zur Eile trieb. Nur Willi Waschke, der wie zumeist neben ihr stand, murmelte leise vor sich hin: »Das grenzt an Wahnsinn.«
In der Brigade gab es außer Elvira keinen Anfänger oder Quereinsteiger. Alle kannten die Dienstvorschriften aus dem Effeff. Ob einer dasselbe ahnte, was Willi Waschke auf dem Weg zur Halle durch den Kopf ging, blieb unergründet.
Alle gingen an ihre Plätze mit denselben gleichgültigen Gesichtern wie jeden Morgen. Elvira — seit Langem an schweigendes Dulden gewöhnt — bestieg ihren Kran, ihre Kanzel, die Geborgenheit bot und Abstand von den Unbilden der Welt. Hier oben dachte sie daran, wie sie die Jahre mit ihrem Kind gestalten würde, wenn es erst einmal so weit sein würde, dass es mitentscheiden konnte. Sie würde sich auf alle Fälle mehr Mühe geben als ihre Mutter. Und sie würde keine Sekunde länger dem untreuen Mannsbild hinterher trauern. Vorfälle, wo auch ein pflichtvergessener Vater wieder stolz auf seinen Sohn blickte, gab es genügend. In Klein-Pepes Fall war es schlicht unwahrscheinlich, aber nicht gänzlich unmöglich.
Ihre eigene Konsequenz war es, mit der sie sich aus dem Schlamassel, den Martin Breuning angerichtet hatte, befreien konnte — ohne fremde Hilfe, wenn sie Willi Waschke mal außen vor ließ.
Hier in Webers Brigade war sie längst angekommen in relativ kurzer Zeit. Ein gutes Jahr war erst vergangen. Ein Jahr vollgestopft mit Veränderungen und Erkenntnissen. Ein Jahr, um Vertrauen füreinander zu schmieden. Hier würde ihr jetzt nichts mehr passieren — nicht in dem Sinne, wie es ihr passiert war.
Solange sie auf ein Kommando von den Kollegen tief unter ihr wartete, erinnerte sich Elvira merkwürdigerweise an ein paar Worte von Willi Waschke. Sie hatte ihm ehrlich anvertraut, sie sei jetzt angekommen in der Brigade, in die sie strafversetzt worden war. Jetzt könne ihr nichts mehr passieren.
»Dir kann überall etwas passieren. Bei dieser Schlamperei warte ich täglich auf ein Unglück.«
Unter ihr begannen die Kollegen am Kesselwagen der Freunde zu hantieren. Auf der anderen Hallenseite fuhr der Kollege der Che-Guevara-Brigade den zweiten Kran und bediente den Rest der Schicht.
Gerade dachte sie darüber nach, wie die Brigaden hier in der Produktion zu ihren Namen gekommen sein mögen, als eine furchtbare Helligkeit durch die Halle schoss und ein Druck alles erzittern ließ.
Ihre Ohren wurden taub, ihre Augen geblendet. Stichflammen reichten beinahe bis zur Kanzel. In Sekundenschnelle quoll dicker Qualm in Nase und Rachen, nahm ihr die Sicht und die Luft zum Atmen. Sie versuchte, den Abstieg zu erreichen. Es wäre blanker Mord. Durch diese Hölle bis nach unten? Das konnte sie nicht riskieren, ihr vaterloses Baby wartete in der Betriebs-Kinderkrippe auf ihren Feierabend…
KAPITEL I - Die Sache mit Elli Wahlstedt
»Angesichts der Vergänglichkeit macht man keine Scherze«, sagt Erna lächelnd. Sie streicht über ihre bunte Kittelschürze, ohne die sie keiner Arbeit nachgeht. Hier auf dem Friedhof kommen die Frauen heute einer Pflicht nach, die sie dem Dorf und den Verstorbenen schuldig sind.
»Das ist kein Scherz!«, erwidert Vera Kulka. Sie ist die jüngste der drei Frauen, die sich gar nicht so zufällig treffen, wie man meinen mag. Elfriede Strunz ist mit ihrem Mann hier, der die Hecke verschneidet. Aber Vera hatte sie zu sich gewinkt. Vera ist die einzige von den drei Frauen, die noch mit beiden Beinen im Leben steht, wie man sagt, wenn jemand einer geregelten Arbeit nachgeht.
»Ich hab΄s von Bernd Lux.« Nicht nur in diesem Dorf kennt man den agilen Vorsitzenden der Stadtverordneten. Sein Name steht für Wahrheit und Mut.
Bernd Lux kam vom Bündnis΄90 und hat sich in der Stadt einen Namen gemacht. Er kann klar sagen was er meint, ohne Sperenzchen. Zumeist folgen die Abgeordneten seinen Argumenten.
Vielleicht wäre es klüger, den Mund zu halten. Das kann Vera nicht. Es gibt das etwas geradezurücken im Dorf, und das will sie hier besprechen, möglichst auch mit Kurt Strunz.
»Bernd Lux weiß es von Elli selbst. Dann wird es wohl stimmen.«
»Diese Elli Wahlstedt?«, entfährt es Elfriede Strunz. Im Dorf wissen die Leute vom Kriegsbeil, das Elfriede gegen Elli Wahlstedt nicht begraben kann. Und das ist ihr gutes Recht.
Unschlüssig gehen ihre Augen zu Kurt, der seine Arbeit an der Hecke nicht unterbrechen will. Auf Kurt ist Verlass. Elfriede hatte sich am Grab ihrer Eltern zu schaffen gemacht, bis Vera kam, und mit ihr die Erna.
Vera holt tief Luft. Mit so wenigen Worten will sie die Sache noch nicht auf sich beruhen lassen. »Man hätte bei der Elli Wahlstedt an so vieles denken müssen, aber daran? Wer hätte das gedacht.«
Erna zwängt ihre Fäuste in die Taschen der Kittelschürze und richtet ihren Rücken gerade. »Die Elli … irgendwie hätte man es ahnen können. Die Wahlstedts sind anders gestrickt als unsereiner. Oder?« Die Frauen rücken näher zusammen. Die alte Vertrautheit macht Erna zufrieden. Sie mag es, mit den beiden zu reden. Vera und Elfriede sehen in ihr nicht die Alte, deren Kraft nachlässt und die schon abseits steht im Dorf.
»Und…? Was ist mit dem Jungen? Weiß er es?«, lässt Elfriede Strunz nicht locker. Vera zieht den Kopf dichter zu Elfriede und flüstert beinahe, als ob es außer ihnen niemand hören darf.
»Ich weiß es nicht. Noch nicht. Aber dein Kurt könnte doch mal… Ich meine, der ist doch mit der Elli ganz gut…« Vera streckt ihren Kopf wieder gerade. Sie legt großen Wert darauf, nicht als neugierig zu gelten.
Zumeist, wenn Frauen etwas ausbaldowern, bleiben die Männer abseits, bis zu einem bestimmten Punkt. Elfriede ist ratlos. Ob auch Kurt wissen sollte, was sie jetzt weiß? Gerade weil Kurt so oft bei Elli aushilft, ist Elli seit Jahren der Stachel in Elfriedes Fleisch. Wenn Kurt jetzt erfährt, was es mit der Elli auf sich hat, was könnte daraus werden? Bis jetzt glaubt man im Dorf ihren Sorgen. Sie liegen an Ellis Anziehung auf Kurt. Elfriede Strunz hat den Mund nicht nur am rechten Fleck, auch der Zuspruch der Leute zu ihrem Verhalten gefällt ihr.
Wie die drei Frauen so stehen, schwirren Schwalben aufgeregt um sie herum. Sie schimpfen und fordern ihr Recht. In der Nacht hatte es geregnet. Ausgerechnet nahe dem Eingang zum Friedhof, da, wo die Frauen jetzt plaudern, hatte der Regen den Boden aufgeweicht. Ein besonderer Boden. Das wissen alle, deren Höfe und Stallungen den glückbringenden Seglern als Gastgeber dienen. An diesem frühen Tag schimpfen die Vögel auf drei Menschen, die ihre Nöte des Nestbaues ignorieren. Wie Pfeile stürzen sie herab, füllen rasch ihre Schnäbel mit Schlamm und schießen zurück in die Höhe. Unterwegs mischen sie die schlammige Beute mit ihrem Speichel und tragen das Baumaterial zu ihren Nestern in den Nischen der Wände auf den Höfen. Auch bei Elfriede und Kurt Strunz nisten sie seit Jahren. Nicht die Rauchschwalben mit ihren majestätischen Schwänzen. Die kleinen Mehlschwalben finden unter dem Dach ihrer Scheune genügend Platz.
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