Maxi Hill
EINFACH. ÜBER. LEBEN.
Neufassund von: Maxi Hill * AFRIKA - IM Auftrag der Geier
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Inhaltsverzeichnis
Titel Maxi Hill EINFACH. ÜBER. LEBEN. Neufassund von: Maxi Hill * AFRIKA - IM Auftrag der Geier Dieses ebook wurde erstellt bei
DER UNBEKANNTE KONTINENT
DAS ANDERE LEBEN - November 1986
KINDER IM STAUB DER STRASSE
DER MUT EINER UNWISSENDEN
EIN ZAGHAFTER VERSUCH
DAS UNBEKANNTE LAND
WEIHNACHTLICHES DÉJÀ-VU-ERLEBNIS
DER JUNGE
ZWISCHEN EUROPA UND AFRIKA
ZURÜCK IN LUBANGO
EINE ANDERE FENDA
PRÄGENDE TRADITION
EIN HALBES JAHR AUS-ZEIT
RÜCKFLUG MIT WERNER
ROM SEHEN UND STERBEN?
YVONNE
ACEVEDOs LETZTE STUNDE
TEUFELSZEUG IN ROTER ERDE
EIN ARTIKEL IN DER SUPERILLU
ALPHABETISCHE WORTERKLÄRUNG
Impressum neobooks
Angola 1986
Schwüler Dunst stieg aus der heißen Erde und umhüllte die Hütten der Hoffnungslosen. So rasch wie der Regen eingesetzt hatte, rissen die Wolken wieder auf und die Bedauernswerten krochen aus ihren armseligen Behausungen. Tausendfach wölbten sich Wellblechdächer über Lehmhütten vom Stadtrand her, krochen die Tafelberge hinauf oder bissen wie Krebsgeschwüre in jedes Stück erbärmlichen Boden. Die kleine Regenzeit hatte eingesetzt. Kurze, heftige Schauer erquickten das dürstende Land, doch dazwischen beherrschte die unbarmherzige Sonne den azurblauen Himmel, hier im dunkelsten Winkel der Welt.
Ich blickte von der Loggia im vierten Stock des Laureano hinüber zum Eukalyptushain. In meiner Hand vibrierte ein Brief. Ich sah nicht die Pracht dieser tropischen Landschaft, genoss nicht die betörenden Düfte der trunkenen Natur. Selbst das Elend, das mir ringsum entgegen schrie, das Leid der Menschen in ihrem jammervollen Dasein, rührte mich in dieser Stunde nicht. Die eigene Seele litt. Bereits mit der ersten Post aus der Heimat verfluchte ich meine Zusage, hierher zu reisen.
Auch später galten meine Tränen noch lange nicht dem Leid der Menschen, das der Bürgerkrieg über sie schüttete. Barbarisch. Beispiellos. Ich weinte um meine Tochter, die Tausende Kilometer entfernt im Internat lebte und schrieb, wie sehr sie uns vermisste, mich und ihren Vater.
Unten auf der Straße schritten sonderbare Gestalten im Gänsemarsch auf das Haus zu. Die Mumuilas, eine ethnische Gruppe der Nyanekas aus dem Südwesten Angolas. Sie kamen den unendlich weiten Weg aus ihrem kimbo im Hochland zu Fuß in die Stadt, um Gemüse, Früchte und Eier zum Tausch anzubieten. Zum Glück. Ohne diese Möglichkeit müssten wir an diesem Ort beinahe ohne jede Frischware auskommen.
Die kleine Gruppe kam heute ungewöhnlich spät. Ich rechnete nicht damit, dass ihr Vorrat noch bis zu mir im vierten Stock reichte.
Der Regen wird sie aufgehalten haben. Meine Lippen bewegten sich, aber ich sprach nicht, hatte es gelernt, still zu sein, wenn mein Mann vor lauter Arbeit nicht ansprechbar war. Ich fühlte mich nicht nur in diesen Momenten wie ein Kind, das in seiner Bedeutungslosigkeit nicht zu Wort kommt. Ich fühlte mich als mitreisende Ehefrau ohne berufliche Herausforderung bedeutungslos, obwohl ich längst begriff, wie unendlich mühsam es hier war, das ganz profane Leben abzusichern.
Auf dem staubigen Vorplatz knirschten wie allabendlich zur selben Stunde die Reifen des Lada Niva von Don Acevedo. Acevedo war ein schlanker, eleganter Angolaner um die vierzig Jahre. Er wohnte mit seinen Kindern, die von wechselnden Zugehfrauen betreut wurden, hier im Haus der Entwicklungshelfer, dem predido do Laureano . Die sachliche Architektur des Gebäudes ähnelte den uns vertrauten Plattenbauten, war weder besser ausgeführt, noch solider ausgestattet. So schmucklos dieser Klotz auch war, so begehrt war sein bescheidener innerer Standard bei den meisten Menschen dieser Stadt, zugleich unerreichbar für jene da unter mir in ihren Hütten. Nicht für Don Acevedo. Der herrschte über die staatlichen Wohnungen und litt auch sonst keine Not. Wie ich inzwischen wusste, krümmte er selbst keinen Finger. Das Volk hatte sich vor elf Jahren von ihren portugiesischen Herren befreit, aber es gab längst wieder die Schicht der Besseren, die den Status des Herrenmenschen erstrebenswert hielten.
Gewöhnlich hütete ich mich vor Vorurteilen gegen Menschen, die nicht schuld an meinem Trübsinn waren, aber dieser Mann passte nicht in mein Bild von einer unterdrückten Rasse, und er passte noch weniger in die schwarze Brüderlichkeit. Er lebte als Siegertyp, smart, doch mit eiserner Faust. Drei Ehefrauen waren vor seinen Schlägen schon auf und davon. Sie hatten diesem Tyrannen vier süße Kinder hinterlassen, an deren dunklen, spitzbübischen Kulleraugen ich mich nicht sattsehen konnte. Beim ersten Blick schon waren meine Schuldgefühle aufgelebt. Mein halbwüchsiges Kind von fünfzehn Jahren musste in die Obhut fremder Menschen, damit es hier im dunkelsten Winkel der Welt vorwärts geht…
Ohne eine bestimmte Hoffnung lief ich zur Hinterseite des Hauses und trat auf die Balustrade. Von hier aus konnte ich hören, auf welcher Etage die Mumuilas gerade ihre Waren anboten. Mein Blick erfasste die Weite der Landschaft, die südlich-östlich bis zum Horizont reichte. Auch von dieser Seite umzingelten endlose Elendsviertel die stabilen Häuser entlang der Straße.
Ein Luftzug trug den Geruch nach gärender Milch, nach Zwiebeln und Schweiß durch das Treppenhaus. Die letzten Sonnenstrahlen kündeten schon von der raschen Dämmerung, als sie barfüßig, beinahe lautlos, den regennassen Betonboden betraten.
Wie viele Menschenalter war ihre Zeit stehengeblieben? Noch traute ich mich kaum, meinen Blick genauer auf die halbnackten Körper zu richten. Auch wagte ich nicht, in den gelbstichigen Augen des einzigen Mannes das Misstrauen zu deuten, das bei jedem Besuch zu spüren war.
Auf diesem einen Planeten, wo die andere Welt nach fernen Sternen griff und sich anschickte, in unseren Genen die Handschrift der Schöpfung zu entziffern, leben diese Menschen einfach, nur um zu überleben.
Wie sehr ich irrte, wurde mir erst später klar. Ihr Leben war einfach, ja, aber sie lebten in Würde und hatten ihre Ideale, wie wir die unseren hatten.
Die Haartracht der Frauen, mit einem Gemisch aus Kuhdung und roter Erde angereichert, thronte kunstvoll geformt über der kahlgeschorenen Stirn. Die bloßen Oberkörper der jungen Mädchen schimmerten wie Hämatit. Kreuzweise gelegte Perlenketten, bunte Schnüre und bestickte Bänder umspielten knospengleiche Brüste, deren Fleisch fest und deren rosige Warzen prall und spitz waren. Nur bei den älteren hing die Haut aschfahl und trocken um die ausgemergelten, schlaffen Brüste. Man sagte mir, der monströse Halsschmuck — mit Perlen besetzte Bastwülste — lasse die soziale Stellung der Frauen erkennen. Ich vermochte es nicht. Noch nicht.
Zu dieser Zeit wusste ich nicht viel über das Land und seine Kultur. Bücher über Afrika waren rar in der DDR und Angola war wohl der weißeste Flecken auf den Landkarten der Welt. Die Bücher, in denen der Staat sein Land beschrieb, waren in Moskau gemacht und strotzten vor Patriotismus. Über die Menschen und deren Geschichte wusste ich rein gar nichts. Wie sollte man so in die Seelen blicken können? Woran sollte man erkennen, ob sie zufrieden sind und ob die altväterliche Kultur ihr wahres Heiligtum ist?
Mais velho , das Oberhaupt der Gruppe, trug abgelederte Sandalen aus alten Autoreifen und einen dicken, zerlumpten Wollmantel, schien aber immer noch zu frieren. Mit herrischer Miene wies er auf eine der Frauen, die er Ngula nannte und die ihr Baby in einem Tuch auf dem Rücken gebunden mit sich trug. Diese Frau öffnete die Bündel aus grobem Sackstoff, in dem ihre Waren verstaut waren. Nur noch drei Eier, etwas Maniok und Süßkartoffeln kullerten durcheinander. Ihr Misstrauen blieb, und mein Misstrauen wuchs, dabei wünschten wir beide den raschen Austausch. Ich begann zu feilschen, aber weder meine Strickjacke noch die Kernseife aus der hiesigen loga gefielen dem Alten, wenngleich die Blicke der Frauen heller wurden und ihre Hände sich danach streckten.
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