Maxi Hill
Marie, Putin und das fünfte Gebot
über Liebe, Triebe und andere Banalitäten des Lebens
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Inhaltsverzeichnis
Titel Maxi Hill Marie, Putin und das fünfte Gebot über Liebe, Triebe und andere Banalitäten des Lebens Dieses ebook wurde erstellt bei
Marie, Putin und das fünfte Gebot Marie, Putin und das fünfte Gebot
Der Mann
Marie * Nachbarschaft
Feindschaft
Freundschaft
Liebschaft
Machenschaft
Gesellschaft
Leidenschaft
Errungenschaft
Mittäterschaft
Bereitschaft
Sippschaft
Herrschaft
Gefechtsbereitschaft
Rechenschaft
Maxi Hill
Impressum neobooks
Marie, Putin und das fünfte Gebot
… über Liebe, Triebe und andere Banalitäten des Lebens - ein Appetithäppchen mit Süchtigkeitspotential
Das Bistro »Eule« ist nicht sein Lokal, etwas trieb ihn dahin. Er hat sich später gefragt, warum er dort war. Es war der Besuch von Petra. Sie kommt gewöhnlich, ohne ihn vorher anzurufen.
Das Bistro war gut besucht: Männer mit sich und den Karten, Frauen außer sich und mit vielen Worten.
Er kannte an jenem Abend nicht eine von den Frauen, die der Grund seiner späteren Besuche wurden. Da war die kleine blonde, zart und blass – zu klein für ihn und zu kindlich, obwohl sie nicht jünger schien als der aufgedonnerte Pudel mit dem bunten Haar und dem hochrot geschminkten Mund. Eine dritte trug einen Ehering, und sie war nur einmal dabei. Aber dazwischen wie immer: Marie …
Marie. Ihren Namen kannte er freilich noch nicht. Nur die grünen Augen, das braune Haar und der traurige Mund schienen ihm seltsam vertraut.
Vielleicht galt sie für den Rest der Männer als unscheinbar, aber von allen hatte er sie zuerst wahrgenommen, damals, als er aus Not hereingekommen war.
Fängt sie vielleicht seinen Blick am besten ein? Strahlt sie das Licht der Bar in seine Richtung? Oder fluoresziert ihre Haut wie diese giftigen Leuchten, die keiner mehr mag, seit man sich gruselige Geschichten über die Krebs erzeugende Strahlung erzählt? (Diese Leuchten mag keiner, wer aber in ihrer Nähe ist, muss sie anschauen, muss die Magie einsaugen, die sie verströmen.)
An der Bar sitzend, den Rücken zum Gastraum gewandt, beobachtete er im Spiegel der Vitrine die kleine Runde; offenbar Freundinnen. Marie hat seine Anwesenheit nie bemerkt. Nur einmal, als er nicht allein kam, änderte sich das. Einen so vernichtenden Blick vergisst man nicht so leicht. Zu ergründen war er nicht, so sehr er die Frau auch belauerte.
Wenn die Zeit ihres Aufbruchs kam erhob sich Marie stets als letzte der Gruppe. Sie schaffte es dennoch, zusammen mit den anderen das Bistro zu verlassen. Solange sie noch sitzen blieb und die abgestandene Neige aus ihrem Glas hinunterstürtzte, erhielt sie die Aufmerksamkeit, die ihr sonst womöglich versagt blieb. Er hörte einmal, wie die Männer am Nebentisch wetteten, sie habe vielleicht eine feuchte Wohnung, sie habe vermutlich einen schlagenden Mann, oder sie fliehe vor einer garstigen Schwiegermutter.
Das war alles nicht korrekt. Er hatte eine andere Erklärung. Marie verwandte nicht viel Zeit mit ihrer Garderobe und stand nicht so lange sinnlos vor dem Spiegel wie die anderen. Sie sah adrett aus. Zugegeben, sie war nicht die lauteste der Frauen. Sie war auch nicht die trinkfeste. Aber eines konnte sie: zuhören, wie der aufgebrezelte Pudel seine ordinären Stellungsberichte zelebrierte.
Der Mann entdeckte in der Frau eine merkwürdige Nachdenklichkeit, sofern er sie einen Moment lang nicht mit hintergründigen Mannesaugen betrachtete. Er betrachtete sie in dem Moment durch die Augen eines gelangweilten Gastes, und er sah, dass sie nicht wirklich trank. Sie hob ihr Glas. Das schon. Aber es leerte sich kaum. Sie hob es wohl, um zu den anderen zu passen. Sie lächelte dabei verlegen und zupfte an ihrem dunklen Haar, wie es viele Frauen tun. Sie war angenehm groß (oder sollte er von jetzt an sagen: sie ist?), nicht so dürr wie die Blonde und nicht so aufreizend wie der gescheckte Pudel mit dem bombastischen Wonderbra unter tiefem Dekollete.
Marie verbog sich nicht, wenn sie lachte. Sie saß sehr gerade und schlug auch kein Bein über das andere, wie die Dauerschwatzende in den hautengen Jeans und den hochhackigen Schuhen. Marie trug einen schlichten Rock, der ihre sehr langen, geraden Beine nicht verhüllte, und sie trug leichte Ballerinas. Einmal hat er sie essen sehen. Es ging bedächtig zu und es blieb viel auf dem Teller zurück, zu viel …
Irgendwann standen zwei der Frauen auf und gingen hinaus (Frauen gehen immer zu zweit auf Toilette!). In nachtwandlerischem Gang rauschte Marie an ihm vorbei, ihre Blicke kreuzten sich zufällig, leider ohne Nachwirkung.
Er konnte die Gedanken nicht lösen von diesem Gesicht mit den schläfrigen Augen und dem traurigen Mund. Noch rechtzeitig lief er ihr eines Nachts nach, musste ergründen, was die Männer der »Eule« zu unken wussten: ein schlagender Mann, eine schlechte Schwiegermutter? Er macht in solchen Momenten, wenn ihn der Wissensdurst packt, kein langes Federlesen.
Die Luft vor der Tür roch nach Frühling und frischem Grün. Sie hob ihren Kopf und ließ ihn erhoben. Zögerlich, als wollte sie von irgendwem aufgehalten werden, ging sie nach Südwest. Sie lief den ganzen Weg allein, bog in jene Straße ein, an deren Ende sie wohnte, exakt dort, wo er bisweilen seinen Touareg wendet, wenn er Ben abholt. Mit einem Klick öffnete sie die Haustür und schlüpfte hindurch. Das Türschloss klickte zweimal, eine Tugend, die man selten findet.
Sie wohnt in also in dieser ruhigen Straße, die ins Nichts führt. Sackgasse nennt man den Typ. Zu dieser Zeit waren die Fenster im Parterre und auch oben noch schwach erleuchtet. Nur in der Zwischenetage war alles dunkel. Er stand und wartete und wusste nicht worauf. Links ging das Licht hinter einem der Fenster an. Rechts blieb es duster. Er trat näher und schaute auf das Klingelschild, auf dessen Logik er vertrauen konnte. Die zweite Reihe von unten zeigte den Namen M. Neumeyer. Heute weiß er, das M steht für Marie. Daneben ein Klingelschild ohne Namen.
Ist die Wohnung neben ihr unbewohnt? Schließt sie die Haustür ab, weil sie sich unsicher fühlt so allein auf der Etage? Dann sollte sie Nachbarschaft bekommen …
Eigentlich müsste sie raus. Nicht nur raus, weg müsste sie. Am besten weit weg. Das kann sie nicht, wegen Putin. Sie hat ihm das Leben gerettet und jetzt soll sie ihn verlassen, einfach so, nur weil dieser Barack ständig Terror macht?
Wahrscheinlich ist sie der einzige Mensch auf der Welt, der Putin liebt. Sie liebt ihn nur zwangsläufig, hat ihn ja gar nicht haben wollen. Und ein Mitspracherecht, ihn zu nehmen oder nicht, hatte sie nicht. Das hätte auch kein anderer Mensch bekommen. Keiner.
Nein, sie hat Mitleid mit jedem Wesen, das fremdbestimmt ist und dem alle Welt ans Leben will. Sie will es nicht. Sie kann es nicht. Sie hat das Abschlachten miterlebt und mit eigenen Kinderaugen gesehen, wie die Opfer breitbeinig und kopfüber am eiligst zusammengezimmerten Galgen hingen, wie das Blut aus Mund und Augen troff, wie ihnen das Fell über die Ohren gezogen wurde. Und das ist nicht bildhaft gemeint. Es ist die wahre, niederträchtige, bestialische Realität, die noch heute den bitteren Würgereiz in ihrer Kehle erzeugt, wenn sie nur daran denkt. Jede Erinnerung an das Niederträchtigste überhaupt, was Marie Neumeyer in ihrem ganzen Leben auf dem Hof des Großvaters miterleben musste, kräuselt ihre Haut, stellt die Scheitelhaare senkrecht und drückt einen Felsblock in ihre Magengegend. Vor allem nachts, wenn es keine Bilder gibt, die sich zur Ablenkung eignen, wenn die Geräusche aus der Nachbarwohnung, wenn das Scharren und Knurren, das Trappeln und Raunen, ihre Ohnmacht ins Unermessliche verstärken. Dann kommen die Bilder der Kindheit zurück: Der Großvater schlurft mit dem blanken Messer in der Hand über den Hof und verrichtet schon bald sein blutiges Werk.
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