Maxi Hill
GIFT geschädigt
Umweltgift in deutschen Schulen - und niemand unternimmt etwas. Ein realer Skandal.
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Inhaltsverzeichnis
Titel Maxi Hill GIFT geschädigt Umweltgift in deutschen Schulen - und niemand unternimmt etwas. Ein realer Skandal. Dieses ebook wurde erstellt bei
Der Schüler
Schrimp
Ambrosia
Aaron B.
Schulalltag und eine nicht alltägliche Nachricht
Parallelen
Die Begegnung
Auge in Auge mit dem Elend
Der Außenseiter
Der Direktor
Simone
Die Zusammenkunft
Freundschaft
Der Amtsschimmel
Ohne Zuversicht
Hinter den Kulissen der Macht
Urlaub mit Aha-Effekt
Die Schulkonferenz
Symbiosen
Ein Element des Teufels
Die Kraft der Vielen
Kampf an mehreren Fronten
Ein Unheil kommt selten allein
Niemand ist unfehlbar
Die Abrechnung
Sieg und Niederlage
Nachwort
Maxi Hill
Impressum neobooks
Carstens Wunder-Bar hält nicht, was sie verspricht. Nicht einmal gemütlich ist es hier. Sören Proske schaut durch das Fenster auf den belebten Platz, einen Grund zur Freude hat er nicht.
Er kann sich vorstellen, für die Firma seines Vaters durchs Feuer zu gehen. Aber das jetzt, das hätte er sich nicht vorstellen können. Wenn stimmt, was er jetzt weiß, kann es nur aus Sternbergs Hirn geflossen sein.
Sören mag Sternberg nicht. Der Vizechef der väterlichen Firma ist ein zu harter Hund, der sich bestens darauf versteht, seinen Willen durchzusetzen. Vater schätzt den Vorteil, den einer aus der Politik mitbringt, wenn er in die Wirtschaft wechselt. Aber was hat einer wie Sternberg gegen Schrimp ?
Sören Proske streicht mehrmals über den feinen Stoff seiner Hose. Es will ihm nicht einfallen, warum man seinen früheren Lehrer Ole Fedder Schrimp nannte. Fedder kam von der Küste. War es das?
Zurückgelehnt und mit ausgestreckten Beinen, umhüllt von bestem Wollstoff mit exakter Bügelfalte, bestellt der junge Mann einen Drink. Seine Erinnerung ist besser als sein Gefühl. Er mochte Schrimp, und er mochte ihn auch wieder nicht. Bio-Lehrer war er und nannte sich selbst einen unbeleckten Bären. Dabei war er ebenso athletisch gebaut wie geschmeidig in jeder Bewegung. Die Mädchen schwärmten von seiner dauergebräunten Haut und vom Blick aus hellen, strahlenden Augen. Die Jungen liebten seine trockenen Witze, die er nie vergaß, gerade dann, wenn der Lehrstoff trocken war.
Wie lange ist das her? Fünf, nein sechs Jahre?
Der Geruch des Nordens kroch Schrimp aus allen Poren. Besonders sein Dialekt mit den plattdeutschen Einlagen und das zuweilen stoppelige Kinn machten den Seebären perfekt. Aber eines fehlte ihm: der Hang nach Geltung, den einer haben sollte, der an einer Eliteschule unterrichtet.
Sören stiert vor sich hin, nimmt versonnen einen Schluck, und jetzt erinnert er sich daran, wie Schrimp in einer Biologiestunde von den kleinen Krustentieren erzählte, die er Schrimps nannte und die er als Junge in seiner Heimat zu puhlen hatte.
Die Schüler hier im Binnenland fanden seine ungeschliffene Art besonders witzig. Und witzig konnte Schrimp sein. Die Unterrichtsstunden waren nie langweilig, wenn auch die Biologie an dieser Schule keine Priorität hatte. Sie war abwählbar im demokratischen System der Prüfungsordnung.
Der Drink gibt Sören einen Geschmack auf der Zunge; süß und bitter zugleich. Es wundert ihn nicht. Es war Schrimp, der das Leben genau so beschrieben hatte: süß und bitter. Er wollte es damals nicht hören. Gebetsmühlenartig wiederholte Schrimp, vom Zensurenhaschen nichts zu halten. Man lerne nicht für Zensuren, man lerne für das eigene Leben.
Und dann hatte er sich freimütig dazu bekannt, keinen Doktortitel zu besitzen, nur den Titel eines Studienrates, den er negiere, den er niemals haben wollte, den er verliehen bekommen habe vom sozialistischen System, weshalb er zuweilen als Protegierter des Systems gegolten habe. Man könne es nehmen wie man wolle. Protegiert wurde er nie, promoviert habe er nie, aber protestiert leider auch nicht.
Warum protestiert er jetzt? Wofür rebelliert einer wie Schrimp?
Skandale offenbaren die Unvollkommenheit der Gesellschaft und die Lernfähigkeit der Demokratie. Nur in Diktaturen herrscht Lautlosigkeit.
Sörens Erinnerung trügt nicht. Genauso sagte es Schrimp damals.
Und jetzt ahnt der junge Mann, warum einer wie Schrimp bei einem wie Sternberg anecken muss …
Vierzehn Monaten zuvor: Das Konrad-Zuse-Gymnasium in Cottbus sah aus wie jedes Jahr im August, wenn die Ferien vorbei waren. Noch bevor er die Schule betrat waren seine Gedanken beim neuen Lehrplan, dem er nichts abgewinnen konnte, außer einem lässigen Heben seiner Schultern. Manchmal gab er Aaron Recht wenn der sagte, er sei ein Pommer und deshalb stur. Selbst dieser idiotische Lehrplan brachte ihm keinen inneren Aufruhr. Diese Pottschieter da oben im Ministerium waren seit Jahren unfähig, die Bildung in den Griff zu bekommen. Ein erfahrener Pauker wie er entschied seit Langem selbst, was den Schülern nutzte und was er getrost beiseitelassen konnte. Es gab kein Zentralabitur mehr, er schrieb die Abituraufgaben selbst und reichte sie zur Bestätigung ein. Erfahrung ist des Skippers bester Kompass und Erfahrung hatte er.
Zum ersten Mal in diesem Sommer hingen die Wolken tief, als stünde Nebel in der Luft. Inka, seine Frau, zählte gewöhnlich die Tage vom ersten Nebel bis zum ersten Schnee. Einhundert. Also müsste es Mitte November schneien? Schrimp grinste in sich hinein. Sonderbare Regeln stellte Inka manchmal auf. Erst kürzlich hatte sie das Schlafzimmer auf den Kopf gestellt, ihre Nase in alle Fächer und Schubladen gesteckt, die Flächen mit feuchten Tüchern bearbeitet, um Resten von Formaldehyd auf die Spur zu kommen. Es sei gefährlich, die Nacht mit dem giftigen Zeug zu verbringen. Formaldehyd sei gefährlich. Als ob er das nicht selber wüsste, er, der Biologe.
Sie hatte kein Formaldehyd geschnüffelt, also zwang sie ihn, die Betten im Neunzig-Grad-Winkel zu drehen, weg mit den Kopfenden von elektrischen Leitungen. Elektrosmog könnte Schuld an ihrer Migräne sein und an ihrer Schlafstörung. Die Hightech-Gesellschaft fordere ihren Tribut. Keiner kenne sein Lebensrisiko. Tausende synthetische Stoffe griffen in die biologischen Lebenssysteme ein. Sogar Mikrowellen brächten die biochemischen Stoffwechselprozesse in gefährlicher Weise durcheinander, hatte Inka gemeint und eine solche Anschaffung strikt abgelehnt. Es war nicht zu bezweifeln: Technische Errungenschaften steigerten den Konsum. Das Paradoxe am Fortschritt war der partielle Rückschritt.
Schrimp fiel es auf einmal schwer zu verstehen, warum er sie sauertöpfisch genannt hatte. Schließlich ging es vielen Menschen ähnlich. Jahrzehnte lang rußten die nahen Kohlekraftwerke ihren braungelben Rauch aus maroden Schloten über das Land, schwärzten die prächtigen Hausfassaden aus vielen Epochen und brachten sie zum Bröckeln. Die Schlote haben ausgehaucht und auch die schweflige Luft vom Gaskombinat Schwarze Pumpe hatte sich verflüchtigt, aber die Menschen der Lausitz klagten über allerlei Gebrechen, junge wie alte.
Der Zehntklässler Sebastian klagte sehr oft über Kopfschmerzen und Übelkeit. Im letzten Schuljahr verging kein Tag, wo der Junge nicht seinen Kopf in den Nacken legte, um das Blut zu stoppen, das ihm zuweilen aus den Nasenlöchern quoll. Schrimp meinte eine Zeitlang, Sebastian sei zu ehrgeizig und habe zu viel um die Ohren. Mehrmals in der Woche marschierte er zur Musikschule, zweimal zum Karate-Training und dann noch die Auftritte mit seiner Band, deren Name ihm mal wieder nicht einfiel. Irgendetwas wie Eichenlaub.
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