Volker W Degener
SAGA Egmont
Einfach nur so leben
Copyright © 1978, 2018 Volker W. Degener und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788726032352
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 3.0
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Noch nicht richtig wach, fuhr Blacky sofort los. Er wird wohl nie ganz wach. Aber er fährt. Und wie. Wie er mir täglich in aller Frühe erzählte, hockte er ständig auf seiner Maschine, auf einer noch viel größeren als bisher, und sauste davon, in alle Winde. Er war nicht mehr zu halten.
Zu Anfang schmunzelte ich nur. Mitleidig lachte ich vor mich hin. Und in den ersten Tagen drehte ich mich mühsam herum, soweit mein bandagiertes Bein es zuließ, grinste in seine Richtung. Sein Bett stand hinter meinem Bett. Wenn dann eine der wirklich netten Krankenschwestern ins Zimmer kam und uns nach unserem Befinden fragte, war ich meistens sehr wütend auf Blacky, der dann nämlich regungslos auf den Kissen lag und kein Gespräch anfing, vielmehr völlig unbeteiligt tat.
Nach einer Woche versuchte ich, andeutungsweise auf Blackys wilde Fahrten hinzuweisen. Beim Krankenhauspersonal erreichte ich gar nichts. Ungläubige, durchdringende Blicke trafen mich, aber ich wünschte, ganz normal angesehen zu werden. Denn mein Kopf war in Ordnung. Der Arme sagt doch kein Wort, sagte man, er ist so schön ruhig.
Ein feiner, anständiger Kerl.
Nur so verkrampft liegt er da, sagte man.
Ich schwieg dazu. Zum Glück mußte Blackys Maschine hin und wieder zur Reparatur. Kein Wunder bei der Raserei. Blacky legte gewissenhaft fest, wann die Reparaturzeit einsetzte. Meistens war das nachmittags gegen fünf, wenn er etwas mehr Zeit als sonst hatte.
Dann war es ganz ruhig in unserem Zweibettzimmer. Ich bin ein zurückhaltender Mensch. Die Ruhe genoß ich. In den ersten Tagen meines Aufenthalts im Krankenhaus hatte ich mir von der Bücherschwester sogar einige abgegriffene Wälzer bringen lassen. Aber ich habe sie dann doch nicht gelesen.
Als Dachdecker arbeite ich in luftiger Höhe — bis ich mir bei meinem Sechseinhalbmetersturz Beine und Hüfte anknackte. Die kurze Ruhezeit während der Reparaturen mußte ich auskosten, immer in dem Bewußtsein, daß Blacky sich wieder auf sein Gefährt werfen und knatternd losziehen könnte, und sei es nur zu einer Probefahrt.
Komm her, steig auf, sagte Blacky schon mal, wenn wir allein im Zimmer waren, kannst mit mir eine Runde drehen, ich nehme dich mit.
Wie denn, fragte ich, wie soll ich das denn mit diesen Beinen fertigbringen?
Feigling, sagte er.
Dein Bett steht doch hinter meinem Bett, sagte ich, ich bin vorne, du bist hinten.
Sei nicht so kleinlich.
Nein, sagte ich, es geht nicht.
Halt dich gut fest an mir, dann geht’s.
Gib nicht so an, sagte ich.
Spielverderber.
Na gut, ich machte mit, aus Langeweile und Mitleid. Unsere Betten standen hintereinander an der Längsseite des Zimmers. Blacky lag also hinter mir. Aber in unserer Vorstellung saß er auf einer Donnerkiste und ich war sein Sozius. Beide Auspuffrohre lärmten mit unseren Stimmen. Ab ging’s über weite, tadellose Straßen. Blacky ist ein äußerst sicherer Fahrer.
Was ihm da vor Wochen passiert war, konnte ich allmählich mit geschickten Fragen aus ihm herausholen, obwohl der Fahrtwind eine Verständigung erschwerte. Blacky war erst siebzehn, demnach immerhin zweiunddreißig Jahre jünger als ich. Alles, was sich schnell und laut bewegte, hatte immer schon seine Aufmerksamkeit erregt. Die Erregung ließ ihn nun nicht mehr los.
Ich konnte mir sein Schicksal dann ganz gut zusammenreimen: Auf seinem flottgemachten Moped hatte er den Kopf tief übers Lenkrad gesenkt, weil es regnete, und an einer Kreuzung übersah er die Straßenbahn. Sein Sturzhelm bewahrte ihn vor dem Schlimmsten, nicht aber vor den Kopfverletzungen.
Niemand darf etwas erfahren, sagte Blacky, wir trainieren heimlich weiter für den neuen Geschwindigkeitsrekord. Verrate uns bloß nicht.
Ich sag’ doch nichts, sagte ich.
Kein Sterbenswort, sagte Blacky, auch nicht zu der Rennleitung.
Rennleitung?
Das sind die Leute in den weißen Kitteln, die morgens immer unsere Körper und Maschinen besichtigen, sagte Blacky sofort.
Schweigend gab ich ihm recht. Das war wohl mein entscheidender Fehler. Inzwischen ist es zu spät, um noch auf das Bremspedal zu treten. Hatte ich mich erst mal auf seine Sicht eingelassen, gab es keinen Rückblick mehr. Tagelang legten wir lange Strecken auf unseren Straßen zurück. Blacky war eigentlich gar nicht so verkehrt, der gute Junge.
Hast du denn keine Angst, fragte ich ihn.
Angst?
Ein bißchen wenigstens.
Nie, sagte Blacky ziemlich laut.
Du lebst verdammt gefährlich, sagte ich, das weißt du doch wohl.
Wir beide.
Natürlich.
Das Leben ist verdammt lebensgefährlich, sagte er, aber ich fürchte keinen Tod.
Nur noch selten störten uns die lautlosen Leute in den vornehmen Kitteln. Alles Theoretiker. Es war herrlich mit Blacky. Ihm fiel immer was Neues ein. Er kannte Wege, die ich noch nie befahren hatte. Unsere Reisen ließen uns angenehme Stunden zusammen erleben. Seine Begeisterung konnte ich nun verstehen. Ich fühlte mich durchaus nicht mehr krank. Meine kaputten Beine und die unstabilen Hüftknochen beunruhigten mich nicht mehr. Was bedeuteten schon unsere Körper.
Keine drei Wochen später begann das Personal, noch freundlicher auf Blacky einzureden. Man erwähnte sogar, daß er nun bald am großen Ziel sei. Mehrfach sprach man von einem Wunder. Blackys Eltern stimmten dem sofort zu. Unser Junge hat’s geschafft, sagte sein Vater.
Die Ärzte, sagte seine Mutter, die Ärzte haben ein richtiges Wunder vollbracht.
Was mit der Medizin allein nicht zu schaffen war, sagte dann Blackys Tante.
Wir werden ihn noch ganz gesund bekommen, sagte die Mutter mit Tränen in den zwinkernden Augen.
Er soll mal Mediziner werden, sagte der Vater, Sportarzt vielleicht, über den zweiten Bildungsweg.
Dann kann er an den Rennpisten arbeiten, sagte ich, da gibt es immer was zu tun.
Wie bitte, fragte die Mutter.
Wir sehen uns dort wieder, sagte ich, wenn ich den neuen Rekord aufstelle.
Sie sahen gar nicht mehr zu mir herüber. Und obwohl die Leute von der Rennleitung morgens mit ernsten Gesichtern als erstes vor meiner Lagerstatt standen, unterhielten sie sich immer intensiver mit Blacky. Allmählich hatte er zu reden begonnen, zu erzählen. Er hatte uns alle getäuscht.
Tatsächlich bekam er an einem Samstag seine Lederkluft ausgehändigt, es fehlte nur der Helm. Seine Eltern hatten ihm einen neuen versprochen. Ein rassiges Modell. Blacky putzte lange an seiner Lederjacke herum, spuckte drauf, wischte wie verrückt über die Kratzer, bis das Ding wieder glänzte. Er sah toll aus. Die schwarze Ledermontur mit den roten Streifen stand ihm prima.
Richtiggehend wütend wurde ich, als ich merkte, daß er wirklich mit allen Ehren entlassen wurde. Er war am Ziel. Er sah neue Aufgaben vor sich. Blacky ließ mich hier einfach zurück. Der zuständige Rennarzt verfügte mich in die geschlossene Abteilung des Trainingszentrums. Verfluchter Kerl, der Blacky. Ließ mich ganz allein losfahren mit der schweren Maschine.
Unser Trainingsprogramm für den neuen Rekord hatten wir noch gar nicht ganz abgeschlossen. Vielleicht wollte er ohne mich weitermachen. Hinter meinem Rücken sozusagen. Er sah in mir, weil ich so gut fuhr, einen gefährlichen Konkurrenten. Zum Schluß hatte er mir nicht einmal mehr die Hand geschüttelt, als er hinausging auf die Piste. Feiner Sportsmann. Aber immerhin war ein Funke dieser Begeisterung von ihm zu mir übergesprungen. Und die meisten Routen kannte ich inzwischen genau, sogar besser als er. Wir werden schon sehen.
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