Michael Stilson
Einfach nur Fußball spielen
Aus dem Norwegischen von Karoline Hippe
Am Anfang gab es nur mich und den Ball. Ein Paar Fußballschuhe.
Und den Bolzplatz.
Das war alles.
Doch als die Dinge erst einmal ins Rollen kamen, ging es plötzlich richtig schnell. Irre schnell.
Auf einmal drehte sich alles um Sportchefs und Berater, Verträge und Geld.
Geld.
Geld.
Geld.
Dabei wollte ich doch einfach nur Fußball spielen.
Manche Spiele sind einfach nur Spiele. Fußballspiele halt. Wir reden nicht groß drüber, weder davor noch danach. Die werden einfach nur gespielt, hier und jetzt, und dann sind sie für immer vergessen.
Aber nicht dieses Spiel. Dieses Spiel war keineswegs bedeutungslos, dachte ich und schaute auf die zwanzigtausend leeren Sitze, die über mir in den Himmel ragten. Die Flutlichter waren bereits angeschaltet, durch sie erstrahlte der Rasen knallgrün, obwohl es Mitte November war und schon der erste Schnee lag. Er schmückte den Rand des Spielfeldes wie eine weiße Kette, eine ständige Erinnerung daran, dass die Saison sich dem Ende näherte.
Mein Herz pochte, als ich die Hand in die Tasche steckte und nach dem dicken Briefumschlag tastete. Ich fühlte den Stapel Tausendkronenscheine, der leicht gegen meinen Oberschenkel drückte und mich daran erinnerte, worum es hier ging. Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass dies mein erstes und letztes Spiel für Rosenborg im Lerkendal-Stadion sein könnte.
Dabei musste ich einfach nur alles wie immer machen. Wenn ich wie ein Berserker den rechten Flügel beackerte, so wie immer, dann würde ich es bis zum Profi schaffen.
Ich atmete die eiskalte Luft tief ein, spürte, wie die Härchen und der Schnodder in meiner Nase fast gefroren, und stieß eine Frostwolke aus. Ich kehrte dem Rasen den Rücken zu und schlug den Weg zur Kabine ein, während ich versuchte zu verdrängen, dass dieses Spiel mein Leben verändern würde.
Ich lief den langen Gang zur Umkleide entlang, als sich plötzlich ein Arm um meine Schultern legte und Eriks Stimme jene Gedanken durchschnitt, die in meinem Kopf kreisten.
»Fredrik, Alter! Ich habe gerade mal ein bisschen rumgerechnet«, sagte er.
»Okay«, sagte ich ziemlich desinteressiert und ging weiter, den Blick auf die Kabinentür gerichtet.
Er stellte sich vor mich und blockierte meinen Weg.
»Hör mir mal zu. Als Sechzehnjähriger hat Martin Ødegaard bei Real Madrid zwanzig Millionen Kronen im Jahr bekommen, oder?«
»Kann sein. Weiß nicht«, sagte ich und versuchte, an ihm vorbeizukommen.
Warum erzählte er mir das jetzt? Er baute sich vor mir auf, legte beide Hände auf meine Schultern und sah mir direkt in die Augen.
»Fredrik, hör mir zu! Alle sagen, dass Mathias fast so gut ist wie Ødegaard, ja? Oder nehmen wir mal an, Mathias ist nur halb so gut wie Ødegaard, obwohl er eigentlich fast an ihn rankommt. Das würde bedeuten, Mathias könnte für zehn Millionen Kronen pro Jahr bei irgendeinem großen Verein unterschreiben, stimmt’s? Und das bedeutet, dass wir beide, die wir wiederum halb so gut sind wie Mathias, auch ziemlich fett Kohle machen könnten. Vielleicht sogar hier bei Rosenborg. Definitiv, wenn wir heute das Finale gewinnen. Oder? Also, ich rede jetzt nicht von fünf Millionen, aber von ’nem echt guten Vertrag«, sagte er und schüttelte mich, um mir zu verstehen zu geben, dass er recht hatte.
Ich lachte nur.
»Ich glaube nicht, dass die Rechnung so einfach ist, Erik«, sagte ich und versuchte erneut, an ihm vorbeizukommen.
Dieses Mal gelang es mir und ich ging weiter Richtung Kabine. Es leuchtete mir nicht ein, warum Erik immer noch der Meinung war, er und ich seien auf demselben Niveau. Es ist schon eine Weile her, dass Erik als Einziger in der Kabine Haare am Sack hatte, um es mal so auszudrücken.
Ich hörte, wie er mir nachlief und erneut auf mich einredete.
»Fredrik, ernsthaft jetzt. Es gibt doch einen Grund, warum Rosenborg mit uns beiden noch nicht über einen Vertrag gesprochen hat. Die wollen sehen, wie wir uns in den großen Spielen machen. Du solltest dir mal überlegen, wie viel du wert bist, denn nach dem Finale wird alles ganz schnell gehen«, sagte er.
Ich atmete tief ein und hatte Bock, ihm zu erzählen, was letzte Woche alles passiert war. Dass ich bereits mit dem Verein gesprochen hatte. Ihn in alles einzuweihen, wovon er noch nichts wusste. Zum Beispiel, dass heute Vereinschefs ganz anderer Klubs auf der Tribüne saßen, um mich spielen zu sehen. Aber ich hielt die Klappe und öffnete die Tür zur Kabine.
Erik war mein bester Freund und das hier war nicht der richtige Augenblick, seinen Traum zerplatzen zu lassen.
Normalerweise trafen wir uns immer anderthalb Stunden vor Beginn eines Spiels, aber vor dem heutigen Finale waren die meisten schon früher da, um möglichst viel von der Stimmung aufzusaugen. Denn die war anders als sonst. Vielleicht waren die Jungs nervös oder fokussiert oder hatten Schiss, auf jeden Fall hielten alle die Klappe. Normalerweise war es laut in der Kabine, eigentlich lief immer Musik, jemand brüllte herum und irgendwer prügelte sich zum Spaß, doch jetzt saßen die Jungs mit Kopfhörern da und tippten auf ihren Handys rum, sie waren damit beschäftigt, zu snappen und auf Instagram zu posten. Vielleicht wirkten sie so konzentriert, weil alles schon vorbereitet war, was sonst vor unseren Spielen nie der Fall war. Auf den Bänken lag unsere Spielerkleidung, säuberlich zusammengefaltet. Ein Stapel pro Spieler. Stutzen, kurze Hose, Langarmtrikot, Trainingsjacke, lange Hose. Die Dinge lagen bereit, zusammen mit einem Handtuch und einem Kulturbeutel mit Hygieneartikeln. Ich ging hinüber zum ersten Stapel, über dem das Torwarttrikot mit der Nummer Eins hing. Ich nahm den Beutel in die Hand und sah, dass etwas in den Stoff eingestickt war:
Rosenborg Trondheim – Brann Bergen
Norwegische Meisterschaft U16
Lerkendal-Stadion
Ich strich mit der Hand über den Text, betrachtete ihn gründlich und fühlte in mir einen kleinen Stich von Stolz, ein Gefühl, das in der ganzen Kabine zu spüren war. Alle saßen hier, versunken in ihrer eigenen Welt, und dachten, dass sie jetzt Stars waren, die bedrucktes Zeug bekamen, als würden wir heute das Champions-League-Finale spielen. Ich erstickte das aufkommende Gefühl im Keim. Ich war nicht wie sie. Für die allermeisten in der Kabine war dieses Finale das Größte, was sie jemals auf dem Fußballplatz erleben würden, nicht aber für mich. Für mich war es nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zu etwas Größerem. Etwas viel Größerem. Ich legte den Beutel zurück und sah mich nach meinem Platz um.
Über jedem Kleiderstapel hingen die Trikots, mit der Rückennummer nach vorne. Ich sah die Nummern Eins bis Elf. Das waren die Spieler, die in der Startelf stehen würden. So lief es bei den Juniorenteams von Rosenborg immer ab. Der Rechtsverteidiger trug die Nummer Zwei, die Innenverteidiger die Drei und Vier und der Linksverteidiger die Fünf. Das Trio im Mittelfeld hatte die Nummern Sechs, Sieben und Acht. Und dann gab es noch die drei Stürmer mit den Nummern Neun, Zehn und Elf. Ich lief an den Trikots entlang auf die Nummer Neun zu. Meine Nummer. Ich spielte Rechtsaußen. Deshalb war ich auch verwirrt, als ich Solomon auf meinem Platz sitzen sah und er bereits die Hose mit der Nummer Neun anhatte. Ich ging auf ihn zu.
»Was geht hier ab, Solomon?«, fragte ich.
Er war gerade dabei, sich den rechten Stutzen hochzuziehen, hielt dann aber inne, zog sich die Kopfhörer aus den Ohren und sah mich an.
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