» Jeder, der etwas besitzt, neigt dazu, alleine durch diesen Fakt des Besitzens den Wert einer Sache höher einzuschätzen, als er tatsächlich ist.
Messies sind die Könige dieser Disziplin des Hochschätzens: „Sie können doch nicht die ganzen Kartons einfach wegwerfen, da kann man doch noch Sachen reintun! Die haben auch mal Geld gekostet!“
Vielleicht grinst du jetzt ein wenig. Das ist gut, denn Humor ist wichtig, wie wir später noch sehen werden. Jedoch muss sich in dieser Angelegenheit jeder auch an die eigene Nase fassen. Forscher haben eine Studie zu diesem Phänomen der unterschiedlichen Wertvorstellungen durchgeführt.[Fußnote 11] Sie teilten die Versuchspersonen in zwei Gruppen: Die Mitglieder der einen Gruppe bekamen je eine Kaffeetasse geschenkt. Die Mitglieder der anderen bekamen nichts. Dann wurden die Mitglieder der ersten Gruppe gefragt, für wie viel Geld sie ihre Tasse verkaufen würden. Die durchschnittliche Antwort lag bei 5,25 $. Nun wurden die Mitglieder der zweiten Gruppe gefragt, wie viel Geld sie für eben jene besagte Tasse bezahlen würden. Die Antwort lag im Schnitt bei 2,75 $. Knapp die Hälfte also. Dieser Eigentumseffekt betrifft uns alle. Und je mehr wir selbst investieren mussten, um eine Sache zu erwerben oder sie zu behalten, desto unrealistischer wird auch der Wert, den wir ihr beimessen. Siehe das Beispiel der Concorde, vom alten Schrottauto oder von Omas Teeservice, das seit 100 Jahren im Familienbesitz ist. Ein ganz einfacher Trick, um diese überhöhten Wertvorstellungen auszuschalten, ist deshalb, sich zu fragen: „Was würde ich dafür bezahlen, wenn es mir nicht gehören würde?“. Sich also bewusst in die Rolle des Gegenübers zu versetzen, ohne emotional an etwas gebunden zu sein. Aber noch ein weiterer Effekt spielt hier eine wichtige Rolle: der Status-quo-Effekt.
3) Der Status-quo-Effekt – warum alles bleiben soll, wie es ist
„Das war eben schon immer so!“
Wer kennt nicht diesen Satz. Viel zu oft gewöhnen wir uns einfach an eine Tatsache und hören irgendwann auf, sie zu hinterfragen. In seinem Buch „Der Zahir“ beschreibt Paulo Coelho das an einer Stelle sehr anschaulich mit der Metapher der Eisenbahnschienen: Der Protagonist stellt dabei fest, dass die Schienen der Eisenbahn genau 143,5 Zentimeter von einander entfernt liegen. Bei der Recherche nach dem Grund dafür stößt er darauf, dass dieses Maß noch von den alten Römern stammt. Die bauten nämlich ihre Kutschen und Straßen nach diesem Maß, weil es genau der Abstand war, den zwei Pferde einnahmen, wenn man sie nebeneinander vor eine Kutsche spannte. Schließlich schlussfolgert er, dass sogar der Bau des Spaceshuttles von diesem Maß beeinflusst wurde, weil die Baugröße von Zulieferungsteilen durch die Breite der Schienen beschränkt wurde.[Fußnote 12] Und das alles nur, weil es eben immer schon so wahr und es auch niemand in der Zwischenzeit hinterfragt hat. Dazu möchte ich dir noch eine kurze Geschichte erzählen …
Eine Frau war gerade dabei, den Sonntagsbraten zuzubereiten, als ihre Tochter wissen wollte, warum sie bei dem Braten immer die beiden Enden abschneiden würde. Die Frau wusste darauf keine Antwort. So habe sie es von ihrer Mutter gelernt, antwortete sie. Es sei eben Tradition. Weil sie nun selbst gerne die Antwort auf diese Frage gewusst hätte, ging sie zu ihrer Mutter. Sie fragte ihre Mutter dieselbe Frage und bekam dieselbe Antwort: Das habe sie von ihrer Mutter gelernt und das sei schon immer so gewesen. Da die Großmutter glücklicherweise noch lebte, gingen nun die Frau, ihre Tochter und ihre Mutter zur Großmutter und fragten sie, warum sie ihnen beigebracht habe, die Enden des Bratens abzuschneiden. Und sie bekamen die folgende verblüffende Antwort: „Es ist ganz einfach. Die Pfanne, die ich früher für den Braten benutzt habe, war zu klein. Deshalb musste ich die Enden abschneiden, damit der Braten hinein passte.“
Tolle Geschichte, oder? Ich sehe dich vor meinem inneren Auge grinsen. Das tue ich auch gerade. Aber was sagt uns diese Geschichte?
» Oft halten wir am Status quo fest, einfach nur, weil es schon immer so wahr.
Wir wissen nicht warum es schon immer so war und machen uns im Gegensatz zu der Tochter in der Geschichte auch meist nicht die Mühe, es herauszufinden. Es war schon immer so und so wird es auch weiterhin gemacht. Ende. Und außerdem funktioniert es ja. Der Braten schmeckt ja immer köstlich! Das ist übrigens ein weiterer Effekt, der unsere Verlustangst stärkt: die Selbstbestätigung.
» Solange wir der Meinung sind, ein gewünschtes Ergebnis durch einen bestimmten Umstand zu erhalten, heiligen wir ihn damit.
Man könnte dieses Phänomen der Selbstbestätigung auch als Aberglaube bezeichnen. Diese Mini-Geschichte von Paul Watzlawick veranschaulicht das:
„Ein Mann klatscht alle zehn Sekunden in die Hände. Nach dem Grund für dieses merkwürdige Verhalten befragt, erklärt er: »Um die Elefanten zu verscheuchen.« Auf den Hinweis, es gebe hier doch gar keine Elefanten, antwortet der Mann: »Na, also! Sehen Sie?«“
Diese scheinbare Bestätigung ist dann ein weiterer Faktor, der uns am Status quo festhalten lässt. Dabei ändern sich die Umstände ständig. Da grenzt es doch schon an Irrsinn, so stur auf dem Status quo zu beharren. Das gab uns sogar schon einer der schlausten Köpfe auf dieser Erde mit auf den Weg:
„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
(Albert Einstein)
Aber dennoch bleiben wir stur. Falls du jetzt denkst, dass es dicker nicht mehr kommen kann, muss ich dich leider enttäuschen. Denn so tragisch diese Erkenntnis über unser Denken und Handeln auch ist, es geht noch eine Nummer schlimmer. Denn genau dieses Phänomen, dass wir uns an die Umstände gewöhnen und nicht loslassen können oder wollen, begrenzt sich nicht bloß auf den Sonntagsbraten, Alltagstätigkeiten oder Dinge, die uns vermeintlich Freude bringen sollten. Nein, der Status-quo-Effekt gilt sogar für negative Umstände!
Der negative Status-quo-Effekt – warum wir sogar das Schlechte festhalten
» Wir gewöhnen uns an das Negative und halten freiwillig daran fest, nur weil es schon immer so war.
Kaum zu glauben, aber wahr. Dazu gibt es ein spannendes Tierexperiment, das dieses Verhalten genauer untersucht und nachgewiesen hat.
Die Schockkonditionierung – warum wir an Negativem festhalten
Man nehme einen Schäferhund und ein Geschirr, das dem Hund einen leichten elektrischen Schock versetzt. Für das Experiment wurden nun verschiedene Hunde mit diesem Geschirr ausgestattet und in drei Gruppen aufgeteilt:
Die Hunde der ersten Gruppe hatten einen Schalter, den sie betätigen und damit den Schock stoppen konnten.
Die Hunde der zweiten Gruppe konnten ebenfalls einen Schalter betätigen, dieser stoppte aber nicht den Schock, sondern blieb wirkungslos.
Die Hunde der dritten Gruppe hatten einfach nur das Geschirr an, ohne einen Schock zu bekommen.
Danach wurde jeder Hund einzeln in einer Box platziert. Der Boden war in zwei Bereiche aufgeteilt: Die eine Hälfte produzierte einen elektrischen Schock, so wie das Geschirr, die andere Hälfte nicht. Nun kommt der spannende Teil. Die Hunde, die im ersten Teil in der Lage waren, den Schock zu stoppen und die, die überhaupt nicht geschockt wurden, lernten schnell, dass sie einfach nur auf die andere Seite der Box gehen mussten, um vom Schock verschont zu bleiben. Diejenigen aber, die im ersten Teil des Experiments hilflos waren, blieben einfach stehen. Sie versuchten nicht einmal, dem elektrischen Schlag zu entgehen. Sie haben sich mit dem Schmerz und der Hilflosigkeit abgefunden. Sie haben sich an ihr Leid gewöhnt. Die Begründer des Experiments gaben diesem Verhalten den Namen „erlernte Hilflosigkeit“.[Fußnote 13]
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