Die Welt lässt sich niemals in vollkommene Übereinstimmung zu unseren Erwartungen bringen. Nicht einmal annähernd. Es ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Leider merken wir das nicht in der Tretmühle des Alltags. Wenn du also auf deiner Erwartung beharrst und weiterhin versuchst, den entstandenen Konflikt durch die Änderung deiner Umwelt zu lösen, wirst du leiden und unglücklich sein. Eine bessere Alternative zeigt uns das Wasser:
Der Weg des Wassers – Wie jedes Problem gelöst werden kann
Gehen wir zurück, zum Konflikt vom Bach und dem Stein: Was ist die Ursache dieses Konflikts? Intuitiv würden wir alle antworten, dass es der Stein beziehungsweise das Hindernis ist oder sogar derjenige, der dieses Hindernis verursacht hat. Wenn nun das Wasser im Bach auch so denken würde, würde es stehen bleiben und warten, bis jemand das Hindernis aus dem Weg räumt, damit es weiterfließen kann. Wie du dir denken kannst, könnte es in diesem Falle lange warten und alle Wiesen, Wälder, Tiere und Menschen entlang des Bachlaufes hätten ein Problem mit der Wasserversorgung. Zum Glück tickt das Wasser nicht so wie wir. Es erkennt, dass es immer zwei Ansatzpunkte gibt. Verursacht wird das Problem nämlich nicht alleine durch die Tatsache, dass ein Stein ins Wasser geworfen wird. Das Problem entsteht in Wirklichkeit erst dadurch, dass das Bestreben des Baches, hier geradeaus zu fließen (Erwartung), mit dem Hindernis (Realität) konfrontiert wird.
» Das Wasser weiß, dass es auch am anderen Ende dieses Problems ansetzen kann.
Das Wasser hält nicht an seiner Erwartung fest, hier an genau dieser Stelle geradeaus fließen zu müssen. Es lässt diese Erwartung los und fließt um das Hindernis herum oder sogar nach einiger Zeit darüber hinweg. Problem gelöst. Paradoxerweise wird das Wasser den Stein sogar mit der Zeit schleifen und irgendwann wird er gar kein Hindernis mehr darstellen. Das ist eine faszinierende Fähigkeit des Wassers, oder? Aber wir Menschen sind da leider etwas anders gestrickt, wie Tolstoi schon so treffend bemerkte:
„Alle wollen die Welt verändern, aber keiner sich selbst.“
(Leo Tolstoi)
Warum ist das so?
Warum wir so gerne unserer Umwelt die Schuld geben
Dieses Beispiel mit dem Wasser ist so wunderbar simpel und klar. Wir alle können es nachvollziehen, aber dennoch wenden wir dieses Verständnis in unserem Leben meist nicht an. Wenn ein Problem in unserem Leben auftaucht, versuchen wir in der Regel, unserer Umwelt die Schuld zu geben. Warum tun wir das? Dazu haben wir verschiedene Gründe:
1. Es ist naheliegend, unserer Umwelt die Schuld zu geben
Unsere Erwartungen sind in den meisten Fällen zuerst da. Wir betrachten sie als absolute Gegebenheit, wie die Öffnungen im Deckel der Box. Solange wir die passenden Klötzchen finden beziehungsweise die Welt mit unseren Erwartungen übereinstimmt und beispielsweise unsere Beziehung super läuft, entsteht ja auch kein Konflikt. Im Gegenteil: Wir fühlen uns sogar in unseren Erwartungen bestätigt. Erst wenn sich in der Welt etwas zu Ungunsten unserer Erwartungen ändert und zum Beispiel die passenden Klötzchen ausgehen, realisieren wird das Problem. Und da diese Veränderung meist in der Welt und nicht in unserem Kopf stattfindet, geben wir auch dieser Veränderung und damit unserer Umwelt die Schuld. Wir selbst haben ja nichts anders gemacht als sonst. Da müssen schon die Klötzchen beziehungsweise deren Hersteller schuld sein.
2. Es ist einfach, unserer Umwelt die Schuld zu geben
Wenn du einmal das Konzept „Würfel passt in viereckige Öffnung“ verstanden hast, ist es einfacher, weiter Würfel in das viereckige Loch zu stecken, als ein neues Konzept zu verstehen. So ist es auch um ein Vielfaches bequemer, anderen oder deiner Umwelt die Schuld für dein Problem zu geben.
Du kannst jammern.
Du hast eine Ausrede, warum du nichts tun kannst, willst oder musst.
Du kannst dich zurücklehnen und auf die Lösung des Problems von außen warten.
Easy, oder? Nur leider kannst du da lange warten … Die Klötzchen in deinem Spiel werden sich deswegen nicht alle in Würfel verwandeln.
Kennst du auch diese spezielle Art von Menschen? Wenn diesen Menschen etwas Gutes widerfährt, weil sie zum Beispiel an der Börse spekuliert und viel Geld gewonnen haben, dann war es immer allein ihr Verdienst, ihr Können und ihr Wissen. Wenn ihnen allerdings etwas Schlechtes widerfährt, weil sie zum Beispiel an der Börse spekuliert und viel Geld verloren haben, dann ist es immer die Schuld der anderen, des Marktes und der Konzerne. Siehst du, wie leicht das ist? Und dieses Verhalten beschränkt sich nicht bloß auf Spekulanten an der Börse. Diese spezielle Art von Menschen sind wir alle …
Du vertrittst eine Kollegin auf der Arbeit und hast einen Unfall auf dem Weg dorthin. Wenn du die Kollegin hättest nicht vertreten müssen, wäre es nicht soweit gekommen, oder? Mit deiner Unachtsamkeit und dem Handy, das du während der Fahrt am Ohr hattest, hat das rein gar nichts zu tun.
Du verlierst deinen Job und ein junger Mensch mit Migrationshintergrund bekommt deine Stelle. Wenn diese Ausländer nicht wären, hättest du jetzt noch deine Arbeit, oder? Damit, dass du 7 von 8 Stunden auf der Arbeit mit Mohrhuhn-Spielen verbracht hast, hat das bestimmt nichts zu tun.
Du bekommst eine schwere Krankheit und landest im Krankenhaus. Wenn „der da oben“ es nicht immer so schlecht mit mir meinen würde, wäre das sicher nicht passiert, oder? Dass du seit 40 Jahren Kette rauchst, 10 Bier pro Tag trinkst und seit du zu Hause ausgezogen bist, kein Gemüse mehr auf dem Teller hattest, spielt dabei überhaupt gar keine Rolle.
3. Es wird uns beigebracht, unserer Umwelt die Schuld zu geben
Deine Mitmenschen leben es dir so vor. Fast jeder lebt und handelt nach diesem Muster.
Wenn das Klötzchen nicht passt, dann wird es halt passend gemacht.
Wenn ein Problem in der Welt auftritt, dann muss es auch in der Welt gelöst werden. Punkt.
Alle Geschichten, Filme und Serien handeln davon, dass irgendein Problem entsteht und der Held dieses im Laufe der Handlung lösen muss. Sei es durch das Erschlagen eines Drachen, die Umstimmung seiner großen Liebe oder das Retten der Menschheit durch den beherzten Sprung in ein schwarzes Loch. Doch wer genauer hinschaut, erkennt leicht, wie unzureichend diese Methode ist. Mit jedem Lösungsversuch im Außen wird gleichzeitig ein neues und größeres Problem geschaffen und so schaukelt sich das ganze Drama ins Unermessliche hoch. Achte einmal drauf, das ist bei fast allen guten Film- und Serienreihen so. Und leider ist das auch oft der Grund, warum diese Reihen mit der Zeit immer schlechter werden. Weil die Handlung immer unglaubwürdiger wird und die Macher sich hanebüchene Erklärungen einfallen lassen müssen, damit am Ende alles irgendwie Sinn ergibt. Etwa, dass ein Hund alles nur geträumt hat. Leider kann man im echten Leben aber nicht einfach alles mit einer weithergeholten Erklärung beenden, denn hier bleiben die Konsequenzen und Probleme bestehen, die wir durch unsere Lösungsversuche im Außen erzeugen.
4. Es ist anerkannt, unserer Umwelt die Schuld zu geben
Wie bereits beschrieben: Jeder tut es auf diese Weise. Du musst dich nicht rechtfertigen oder entschuldigen. Wir neigen dazu, Dinge einfach als gegeben anzunehmen, wenn sie von unserem Umfeld ebenfalls anerkannt werden. Das kann funktionieren, aber es ist teilweise auch sehr absurd: „Oh, du hast auch immer diese vermalledeiten Dreiecke übrig? Ich kenne das. Die wollen einfach nicht durch die Öffnung passen …“
Gehen wir zurück zu der Erwartung, dass deine Kollegen immer möglichst freundlich und nett zu dir sein sollten. Wenn einer deiner Kollegen nun nicht mit diesem Ideal einverstanden ist, kannst du erwarten so viel du willst … Das Problem Erwartung gegen Realität wird sich nicht lösen und vermutlich sogar noch schlimmer werden.
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