Du hast recht, wir haben ein Recht darauf, unser Leben zu leben, zu genießen und daraus Kraft zu tanken, um sich selbst und anderen gut zu tun.
Ich werde in Gedanken teilhaben an deinem Wochenende. Es ist ein seltsames Band, das uns verbindet, ohne dass wir uns kennen und deshalb werde ich auf deine SMS ungeduldig warten. Es ist ein tolles Gefühl, dass Du mich als wunderbaren Mann siehst, es ist lange her, dass ich das gehört habe. Ich möchte, dass Du weißt, dass Du eine aufregende, geheimnisvolle, sensationelle Frau bist. Tun wir uns also gut.
Liebste Grüße
Karsten
Britt lächelte. Welcher Zauberer tanzte hier mit ihnen seinen zauberhaften Tanz? Welche Macht ließ sie sich immer mehr dem anderen gegenüber öffnen und eine Vertrautheit spüren, die man vom Verstand her nicht mehr logisch erklären konnte?
Liebster Karsten,
ich habe gerade Tränen in den Augen, nicht vor Schmerz, sondern vor Freude und Glück. Es ist ein stilles Glück, welches ich in meinem Herzen trage und nur mit dir teilen werde. Es ist unser Glück, ein bescheidenes, glücklich machendes Gefühl.
Ich sage Dir etwas, ich werde es vielleicht nur einmal in diesem Leben sagen dürfen, behalte es in Deinem Herzen, denn es ist nur für Dein Herz bestimmt: Ich liebe Dich.
Verzeih mir, ich kenne Dich nicht und doch kenne ich Dich. Ich werde Dir schreiben, wann immer es geht.
Britt
Seine Antwort darauf las sie unterwegs an einer Raststätte.
Wow Britt, welch wunderbare Worte.
Ich bin überwältigt und freue mich sehr darüber. Für mich ist alles neu und ich bin noch zu involviert in meinem Leben und bin nicht wirklich frei, jetzt noch nicht. Aber ich bin sehr glücklich darüber, wie Du fühlst und freue mich, so oft es dir möglich ist, von Dir zu hören.
Karsten
Sie waren beide nicht frei. Gebunden in ihrem Alltag, gebunden in ihrem Leben und ihrer Verantwortung. Mit Steffen hatte sich Britt längst schon auf ein freundschaftliches Miteinander geeinigt, schon lange gingen sie emotional eigene Wege, auch wenn die von Britt eher trostlos gewesen waren. Sie atmete tief durch, irgendwie glücklich, aber auch irgendwie sehr, sehr traurig, dass er es nicht wagte, ihre Gefühle offen zu erwidern.
Britt bemühte sich verzweifelt zu akzeptieren, dass sein Leben es nicht zulassen würde, weiter zu gehen, als sie bereits mit ihren Eingeständnissen gegangen waren. Sie grübelte und grübelte. Sie sprach mit mir, als sie mich anrief, von Liebe, die keine Erfüllung finden würde, dann wieder von einer Freundschaft, die sie nicht verlieren wollte.
Was hätte ich ihr raten sollen? Würde sie denn auf mich hören, wenn ich sie warnte, wenn ich ihr riet, die Zügel anzuziehen und einen Schritt zur Seite zu machen, damit sie erkennen konnte, wie gefühlsschwanger ihre Mails wurden – von Mail zu Mail und SMS zu SMS mehr -, und wie sich Karsten zwar freute, aber immer auch ein wenig versuchte, nüchtern zu bleiben und einen Abstand zu retten, der ihm für sein eigenes Leben unverzichtbar erschien?
Offensichtlich kannte ich meine Freundin nicht so gut wie ich dachte, denn sie kam ganz von selbst zu dem Entschluss, dass sie sich zurücknehmen müsse. Ihr Kopf hämmerte, sie hatte Angst vor den ungewohnt tiefen Gefühlen, die von ihr Besitz ergriffen hatten und die alles zu verschlingen drohten: sie, Karsten, ihre noch so junge Beziehung. Wenn sie nicht die Bremse zog, dann würden sie in einem Feuerball der Leidenschaft über die Klippe in die Tiefe stürzen –sie tiefer als er, das schien sie irgendwie zu spüren.
Karsten
Du hältst Dich zurück, um Deine Familie nicht zu riskieren, damit sind wir nicht mehr auf Augenhöhe und das immer wieder zwischen den Zeilen zu spüren, würde mir wehtun. Ich werde nun konsequent sein, darum werden keine Worte der Leidenschaft mehr kommen. Vielleicht wollte ich sie auch nur hören, so wie Du. Vergeblich auf ein Echo zu warten, schmerzt mehr als alles, was ich erwartet hatte. Ich werde jetzt wieder ganz vernünftig sein, das bin ich mir schuldig. Ich denke, es ist typisch Frau, die meist mehr interpretiert, als ein Mann. Ich danke Dir für Deine ehrlichen Worte. Genießen wir einfach die Aufmerksamkeit des anderen und das Glück dieses wunderbaren Kennenlernens, das kein Zufall war.
Britt
Das war Britts Abschiedsmail an Karsten, wenigstens auf der völlig außer Kontrolle geratenen Gefühlsebene. Sie versuchte nicht mehr an ihn zu denken, was ihr natürlich nicht gelang. Zu sehr hatte sie sich mit all ihrer aufgestauten, jahrzehntelang verschütteten Sehnsucht auf ihn gestürzt wie eine Ertrinkende. Ja, das Beispiel gefiel mir gut. Sie ertrank in einem Meer an Emotionen, die sie Liebe nannte.
Ich wagte nicht zu beurteilen, ob sie nicht ein wenig vorschnell mit diesem so gewichtigen Wort war, aber wer war ich denn schon, das zu beurteilen? Eine Frau wie Britt, die auf die Fünfzig zuging und sich früh zwang, die Liebe für ein Gerücht zu halten, musste eines Tages einfach die Kontrolle über sich verlieren. Dass es dazu einer einzigen, belanglosen SMS bedurfte, hätte ich mir nicht einmal im Traum vorstellen können.
Gedankenverloren blätterten meine Finger in dem ordentlich abgehefteten Stapel an Korrespondenz, den ich von den beiden aussortiert und mit auf die hastige Reise genommen hatte. Die Originale zu lesen war schon fast schmerzhaft für mich, vor allem die gefühlsdichten Beteuerungen, die von einer Frau produziert wurden, die ich seit Jahrzehnten nur als wortkarg kannte. Britt hatte nie mit Worten gespielt, sondern sich sachlich und beinahe schmerzhaft nüchtern stets schnörkellos ausgedrückt. Mehr als alles andere zeigte mir ihre Wortwahl in den Mails an Karsten, wie sehr sie aus den Fugen geraten war.
Ich sah aus dem kleinen Fenster des Flugzeugs. Das Wetter war wunderbar. Egal, was die Turbulenzen verursacht hatte, die uns eben noch um unser Leben hatten fürchten lassen, es war am Himmel nicht ein Wölkchen zu entdecken und entsprechend sanft gestaltete sich inzwischen mein Flug nach Stockholm. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Ich war die Strecke schon so oft geflogen, doch nie war sie mir so unendlich lang vorgekommen wie jetzt.
Zeit, dachte ich plötzlich. Wie relativ sie doch war. Dreißig Jahre, die wenig bis nichts bedeuteten, musste man nicht wortreich erklären. Und für die Gefühlsstürme von wenigen Tagen, die für Britt die Welt bedeuteten, schien es einfach nicht genug Worte zu geben.
Wie sehr musste sich die vergleichsweise kühle Sachlichkeit dieses Flo in Britts verwundete Seele gebrannt haben, als sie seine Antwort auf ihre Rückzugsmail las. Als ich die Abschrift dieser SMS las, zog sich mein Magen stellvertretend für Britts zusammen, auch wenn ich Verständnis für ihn hatte. Mir fiel auf Anhieb kein Mann ein, dem es nicht geschmeichelt hätte, sich von einer hübschen Frau wie Britt beflirten zu lassen. Aber mir fiel auch keiner ein, der nicht nach ihren Liebesschwüren Angst bekommen hätte, in eine Gefühlsfalle zu tappen, aus der es kein Entkommen gab.
Hey Britt,
ich verstehe Dich, aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Mich hat die Situation umgehauen, sie ist neu für mich. Ich habe so etwas wie mit Dir noch nicht erlebt. Ich verstehe, dass Du hören und spüren möchtest, dass Du geliebt wirst. Aber ich kann Dir das zurzeit nicht schreiben. Ich weiß es nicht, da bin ich ehrlich, und ich kann nichts erzwingen. Ich weiß, Du bist zutiefst enttäuscht von mir. Das tut mir sehr leid. Schlaf bitte gut und träum etwas Schönes. Muss jetzt nachdenken. Ich werde mich erst einmal zurückziehen.
LG
Karsten
Für Britt fiel mit dieser Antwort ihr Traum in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Auf keinen Fall würde sie ihm noch einmal etwas von Liebe oder tiefen Gefühlen schreiben. Zu sehr weckte seine Abwehr einen Schmerz in ihr, den sie kaum benennen, geschweige denn in den Griff bekommen konnte.
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