Doch zunächst musste sie diese Supergrippe überstehen, ihren Kopf frei bekommen. Sie musste Flo besser kennenlernen und sie musste nachdenken. Das würde sie an den Feiertagen in stillen Stunden bei Kerzenschein und schöner leiser Musik, einem Tee und etwas Gebäck machen.
Eines war Britt klar, sie fing an sich zu verändern, sie begann abzunehmen, alleine schon durch die Erkrankung litt sie an Appetitlosigkeit, der Anfang war also gemacht. Der Anreiz war groß, denn sie plante, sich mit Flo zu treffen.
Als würde er ahnen, dass sein Glück mit Britts Genesung zusammenhing, kümmerte sich Karsten aufopfernd und zärtlich um sie:
Guten Morgen Britt,
hoffe wirklich, dass du zwischendurch einmal etwas Ruhe findest. Sitze im Zug und lese deine beiden letzten Mails von gestern und deiner so frühen von heute mit dem schönen Morgengruß. Ich bin letzte Nacht gleich eingeschlafen und habe von dir geträumt. Werde bitte schnell wieder gesund. Ich bin heute Abend auf dem Geburtstag eines Freundes und Kollegen und morgen Abend ist die Weihnachtsfeier mit der Bürobelegschaft. Ich bin daher leider beide Abende nur begrenzt erreichbar. Aber wir werden Zeit für SMS finden. Ich liebe dich. Dein Flo
Britt war glücklich und antwortete:
Hey du mein Flo,
Du hast von mir geträumt? Ich hoffe, es war wunderschön! Wie sahst Du mich in deinem Traum? Ich hatte ja viel Zeit heute Nacht und habe mir immer wieder Dein Foto angeschaut. Du bist mir so nahe. Nach dem Inhalieren eben schlummerte ich ein. Alleine das Ausruhen ist schon sehr erholsam. Ich bin so glücklich, dass wir uns gefunden haben Flo. Ich liebe Dich so sehr und ich freue mich über jede SMS und jedes Wort von Dir.
Deine Britt
Irgendwann schlief sie dann wieder ein und versuchte, schnell über ihre Grippe hinwegzukommen. So ging es in einer Tour weiter. Unzählige Mails füllten meinen Account. Britt schrieb mir, dass sie nächtelang seine Fotos anstarrte und Karsten studierte ebenso alle ihre Bilder immer und immer wieder. So legtensie einen Termin fest, wann sie sich endlich treffen würden.
Es sollte der 8. Januar 2012 am frühen Abend sein.
Endlich hatten sie die Gewissheit, dass sie sich sehen würden. Der Ort des Treffens, den sie vereinbarten, war genau der Richtige, wo sie ganz alleine waren, zwar inmitten des pulsierenden Lebens, doch trotzdem konnten sie die Türe hinter sich schließen und nur für sich sein. Das war ihnen ganz wichtig und es sollte etwas ganz Besonderes werden, etwas, was sie niemals vergessen würden. Kerzenlicht, Musik und nur sie, Britt und Karsten. Für die Verpflegung würde gesorgt sein, denn auf diesem Zimmer würde alles bereitstehen. Eigentlich mussten sie für nichts den Raum verlassen, es sei denn, sie wollten spazieren gehen.
Sie hatten bestimmte Vorstellungen, wie ihre ersten Minuten verlaufen sollten und das grenzte schon an eine Inszenierung - geplant bis ins kleinste Detail.
Britt würde schon nachmittags in dieses tolle Hotel fahren, sich auf die kommenden Stunden mit Karsten seelisch vorbereiten, sich aus ihrem Alltag mental ausklinken, während er sich auf dem Wege zu ihr machen würde. Sie würde ein schwarzes, glattes, hochgeschlossenes Kleid tragen. Darauf einen schlichten, breiteren schwarzen Wildledergürtel und diesen leger um die Taille fallen lassen. Oder würde sie doch eine schwarze weite Stoffhose mit einem todschicken enganliegenden Oberteil darauf tragen? Britt war sich da noch nicht so sicher und wollte es in dem Moment entscheiden, wenn es soweit war.
Karsten würde eine schwarze Hose mit einem weißen Hemd, offen und locker über diese fallend, mit einem weißen T-Shirt darunter tragen.
Britts Haut würde nach Vanille duften. Und seine? Er würde den Duft tragen, den sie schon durch die Parfümprobe, die sie sich besorgt hatte, kannte. Sie würde ihm die Zimmernummer ihres Raumes im Hotel simsen, mehr nicht. Und wenn er ankam, würde er ihr per SMS Bescheid geben, dass er das Hotel betreten hatte. Erst dann würde sie die Türe weit öffnen, die Musik leise andrehen, das Licht löschen, die Kerzen anzünden und sie würde sich ans Fenster stellen und hinausschauen in den dunklen Abend.
Er würde sehr leise das Zimmer betreten, sie am Fenster stehen sehen, nur ihre Rückenansicht, nicht ihr Gesicht und er würde langsam auf sie zugehen, sie von hinten umarmen und ihren Hals zärtlich küssen und sein Gesicht an ihr Haar legen und sie einatmen.
Sie würde seinen Duft ebenfalls aufsaugen und endlich seine Stimme in der Realität hören.
Britt hatte ihm gesagt, dass sie dann seine rechte Hand nehmen und diese auf ihr Herz legen würde, damit er ihr Herz, das nur für ihn schlägt, fühlen würde. Er war bei diesen Worten fast abgehoben und zunehmend nervöser geworden.
Flüsternd würde sie ihm sagen: „Flo, ich liebe dich, ich habe dich noch nie gesehen, werde mich dir gleich zuwenden und in deine Augen schauen und doch sage ich dir vorher, ehe das geschieht, dass ich dich liebe, von ganzem Herzen liebe!“
Auch er würde ihr auch etwas ins Ohr flüstern, was ihr eine Gänsehaut und ein tiefes Wohlgefühl schenken würde. Aufgeregt würde Britt sich ihm zuwenden, ganz langsam und ihm in die Augen schauen, im Kerzenlicht und unter den wunderschönen Klängen der Musik.
Dies würde der Moment sein, den sie niemals vergessen würden, ehe sie abhoben in eine andere Sphäre dieses Seins. Britt wusste, dass Tränen ihre Augen füllen würden und dann, ja dann würden sie sich küssen, erst ganz behutsam und zärtlich und dann ineinander verschmelzen und sich nicht mehr loslassen.
Ja, so erträumten sie beide ihre ersten Minuten, und so würden sie ihn leben, ihren ersten Moment.
Flo … Momente des Lebens.
Momente, die sie bis dato schon gelebt hatten, Momente, die Flo gewidmet waren, Momente, in denen er nur Britt gehörte, Momente, in denen sie sich ihm anvertraute und für die er die Verantwortung in seinen Händen hielt, Momente tiefer Glückseligkeit. Irgendwo in Deutschland … irgendwann in Deutschland … ganz alleine in Deutschland. Flo und Britt, zwei Menschen, die sich über einen ungewöhnlichen Weg kennengelernt hatten.
Hinter mir hustete einer meiner Mitreisenden.
Ich schrak auf, wie aus einem leichten und unruhigen Schlaf. Kaum hatte ich mich orientiert und begriffen, dass ich noch immer im Flugzeug nach Schweden saß, um Britt zu Hilfe zu eilen, leuchtete das Signal, man solle sich anschnallen, endlich auf. Meine Güte. War dieser Flug wirklich doppelt so lang gewesen wie die davor? Oder war es meine Unruhe, die jede Minute dehnte, als wolle sie alleine schon nicht enden, geschweige denn eine Stunde oder ein ganzer Flug?
Ohne, dass wirklich Eile vonnöten gewesen wäre, richtete ich meinen Sitz auf, schnallte mich an und starrte aus dem Fenster. Unter uns breitete sich eine dichte Wolkendecke aus. Na klasse.
Ich war sehr erstaunt gewesen damals, als ich erfuhr, wie Britt und Karsten ihr erstes Treffen geplant hatten. Da war ja wirklich alles bis auf das i-Tüpfelchen durchdacht. Ich erinnerte mich, dass ich mich gefragt habe, ob die Enttäuschung nicht groß sein würde, wenn die Inszenierung aus irgendeinem Grund nicht so perfekt verlief, wie sie sich das offensichtlich vorstellten? Was, wenn das Zimmer nicht fertig war, wenn sie ankamen? Was, wenn eine Glühbirne durchknallte? Oder wenn Karsten in einen endlosen Stau geriet? Wie viel Romantik würde übrigbleiben, wenn Britt auf dem Bett einschlief, weil er einfach nicht im Hotel ankam?
Die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest und die Arbeit der beiden in ihren Jobs hielt sie voll auf Trab. Nachts flossen ellenlange tief erotische Sehnsuchtsmails, tagsüber waren sie geschlaucht von dem Mailmarathon in der Nacht und ihrer täglichen Arbeit. Die Feiertage verflogen wie im Flug. Das war für beide wohl mit eines der schönsten Weihnachtsgeschenke, sich an solch einem Tag zu hören.
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