Freudig hatte Karsten von den strahlenden Kinderaugen seines Sohnes erzählt. Mit drei Jahren erlebte man solch ein Fest noch mit großen Kulleraugen, und ein stolzer Vater ging richtig auf, wenn er davon berichten konnte. Britt sah ihn vor sich, wie glücklich er war und ihr Herz floss über.
Rasend schnell vergingen die Tage zwischen den Jahren und der Silvestertag war hereingebrochen.
Wir wollten gemeinsam bei Britt ein wenig feiern und ich konnte mir rege vorstellen, was sich in ihren Gedanken abspielte, besonders wo der Jahreswechsel bevorstand. Ich war in keiner guten Feierlaune, denn ich spürte, dass dieser Abend eine Leidensgeschichte werden würde. Ich wünschte so sehr, ich würde mich irren.
Die Stimmung im Hause der Hansens war sehr entspannt. Britt hatte sich unglaublich viel Mühe gemacht, ein tolles Essen zu zaubern und ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr bei den Vorbereitungen nicht geholfen hatte. Doch sie beruhigte mich und meinte, dass ich ja wohl zurzeit genug mit dem Skript zu tun hätte, dass sie das gar nicht mehr gutmachen könnte, die Stunden, die ich damit verbringen würde. Ich ließ es mir also beruhigt schmecken.
Gegen 23 Uhr war Steffen plötzlich verschwunden und irgendwie fiel es niemandem auf, außer mir. Britts Töchter hatten noch einige Freunde eingeladen, die Musik lief ziemlich laut und es war ein lustiges und turbulentes Durcheinander. Ich dachte an meine Kinder und vermisste sie sehr, denn auch sie brachten immer Leben in unser Zuhause. Irgendwann ging ich dann in die Diele, um meine Stiefel zurechtzustellen, damit es um Mitternacht nach draußen gehen konnte, um das Feuerwerk anzuschauen.
Ich hatte schon einen kleinen Schwips, denn ich trank selten Alkohol, aber trotzdem war mein Aufnahmevermögen noch geordnet. Ich hörte eine Stimme in der oberen Etage und da ich auch das WC aufsuchen wollte, unten aber das Gäste-WC belegt war, entschloss ich mich, nach oben ins Bad zu gehen. Es war für mich nichts Ungewöhnliches, war ich doch seit vielen Jahren hier in diesem Hause auch heimisch, so wie die Hansens bei mir.
Je höher ich stieg, desto deutlicher hörte ich diese Stimme. Es war Steffen, der dort sprach und er wirkte nervös und gereizt und versuchte händeringend Erklärungen zu finden. Es schien fast so, als wenn er telefonierte. So wurde ich ungewollt Mithörerin eines Gespräches. Ich wollte schnell ins Bad huschen, aber ich hatte kaum eine Chance, das Gespräch nicht mit anzuhören: „Mein Schatz, alles wird gut, ich werde mit ihr sprechen. Ich denke sogar, die Zeit ist reif, denn sie hat sich in den letzten Wochen verändert. Sie ist entspannt, mit ihren Gedanken oft woanders und sie sieht so glücklich aus. Aber das hat nichts mit mir zu tun, denn wir haben kaum Zeit füreinander und unsere Beziehung ist geklärt. Unsere Töchter sind erwachsen, sie werden es verstehen und unser Baby, deines und meines, wird in geordneten Familienverhältnissen geboren werden. Ich freue mich so auf unser neues Leben. Britt wird es verstehen, wir sind Freunde geworden und mehr nicht.“
Mich traf der Schlag, Steffen wurde Vater, bekam ein Kind mit einer anderen Frau. Jedem hätte ich so etwas zugetraut, nur Steffen nicht. Er liebte eine andere Frau, heimlich, und niemand hatte es bemerkt. Wenn nun ein Baby unterwegs war, dann musste diese Beziehung auch schon länger gehen.
Ehe ich es schaffte, mich ins Bad zurückzuziehen, wurde die angelehnte Türe des Schlafzimmers von ihm geöffnet und er trat heraus.
Kreidebleich starrte er mich an und stammelte: „Wie lange stehst du schon hier, Hanna?“
Ich schaute ihn entsetzt an, einige Sekunden vergingen, ehe ich antworten konnte. „Lange genug Steffen. Lass uns bitte hier aus diesem Treppenhaus verschwinden und kurz reden, bitte.“ Ich schob ihn sanft zurück ins Schlafzimmer und er ließ es still geschehen.
„Hanna, ich flehe dich an, denke nicht schlecht über mich. Ich liebe diese andere Frau schon sehr lange und sie leidet unter dieser Situation. Du kennst meine Ehe mit Britt, du weißt, dass wir nie wirklich glücklich geworden sind. Ich möchte endlich eine gute Lösung finden, ohne zu verletzen, doch es geht mir an die Nerven. Und bald kommt das Baby.“
Zitternd stand er vor mir und irgendwie tat er mir leid. „Beruhige dich Steffen, alles wird gut. Wenn du es wünschst, werde ich vermitteln und helfen. Sie wird es verstehen. Natürlich wird es nicht leicht, ihr seid aneinander gewöhnt, doch ihr wusstet insgeheim immer, dass sich eines Tages eure Wege trennen würden.“
Ich nahm seine Hand und er dankte mir. Trotzdem hatte er Angst vor dem Gespräch mit Britt.
In diesem Moment ging die Tür auf und Britt trat ein, lächelnd. Stumm starrten wir sie an, denn sie ging schweigend auf Steffen zu und nahm seine Hand. „Sie sollen euch Glück bringen, sie brachten unseren beiden Töchtern Glück und nun werden sie dem dritten Baby auch diese Chance geben und das Recht auf ein glückliches Dasein schenken.“ Vorsichtig wickelte sie eben noch das Papier ab, dann legte sie die ersten Babyschühchen von Yvonne, ihrer Ältesten, in seine Hand. „Es wird wieder eine Tochter, Steffen, du kannst dich einfach als Mann nicht durchsetzen. Und wir werden alle zur Taufe kommen, schau einmal, wer alles kommen wird.“
Ich wich sprachlos wie noch nie zurück, denn die Tür ging erneut auf und herein traten Britts und Steffens Töchter, aber noch jemand betrat den Raum. Es war eine hübsche zierliche Frau mit einem kleinen Babybauch.
Steffen prallte zurück gegen den Kleiderschrank und seine Töchter fassten ihn schnell unter die Arme, damit er nicht umkippte, weil er so perplex war. Er konnte das nicht glauben und dann sah ich, wie Britt der fremden Dame aufmunternd zunickte. Diese lächelte und scheu ging sie auf Steffen zu, nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. „Steffen, wir werden eine richtige Großfamilie und deine Tochter, die bald zur Welt kommen wird, hat zwei wunderbare Schwestern und eine Patentante, die mehr als nur verstehend ist.“ Bei diesen Worten schaute sie Britt lächelnd an.
„Woher wisst ihr alle … also ich meine, seit wann wisst ihr … und warum ließ man mich im Unklaren … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll!“ Steffen stammelte nur herum und ich beobachtete Britt genauestens, wie es ihr dabei ging.
„Steffen!“, nun sprach Britt wieder. „Ich habe Melanie in der Arztpraxis kennengelernt. Es war vor ungefähr acht Wochen, Anfang November. Sie stand vor mir und gab Daten an, Blutgruppen wurden besprochen von den Eltern des Kindes und sie gab auch den Kindsvater namentlich an. Ich habe zunächst nicht richtig hingehört, doch nach einigen Sekunden registrierte ich, welchen Namen sie ausgesprochen hatte. Im ersten Moment dachte ich, es wäre nur eine zufällige Namensgleichheit, bis sie dann eine äußerst seltene Blutgruppe nannte, B Rhesus negativ. Da dachte ich, dass es schon seltsam sei, denn genau diese hast du auch. Da konnte es sich nicht nur um eine Namensgleichheit handeln.
Als sie die Praxis verließ, folgte ich ihr, ließ einfach meine Untersuchung sausen. Ich sprach sie draußen auf der Straße an. Das Gespräch war zunächst ziemlich kritisch, nicht von meiner Seite aus, sondern sie hatte Angst, verständlicherweise. Ich versuchte sie zu beruhigen, auch wenn es die reinste Absurdität war, dass ich der Geliebten meines Mannes gut zureden musste. Doch schnell fasste sie Vertrauen und ich lud sie zu einem Kaffee hier in unser Haus ein. Wir sprachen uns aus. Auch für mich war es sehr überraschend.“
Britt lächelte. Steffen lauschte ihr sprachlos. „Ich habe das auch nicht so einfach weggesteckt, aber mir stand es nicht zu, darüber zu urteilen, ich kenne ja nun unsere Situation hier seit Jahren und auch ich bin ja nicht glücklich damit. Mir wurde klar, dass du und ich uns nicht wirklich vernünftig ausgesprochen hatten, wie wir weiter zusammenleben wollten. So wäre es auf die Dauer ja nicht weitergegangen. Ich fand mich schnell damit ab, dass das Leben entschieden hatte. Melanie war sehr ehrlich zu mir und wir überlegten, wie wir es dir irgendwie schonend beibringen konnten. Ich sprach auch, und bitte verzeihe mir, mit unseren Töchtern darüber. Wir beschlossen zunächst das Weihnachtsfest vorübergehen zu lassen, dann aber in Rücksichtnahme auf sie und das ungeborene Kind schnellstmöglich eine Klärung herbeizuführen. Wir wünschen uns, dass das neue Jahr glücklich für alle beginnt.“
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