1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 »Und, was meinst du?«, fragte ihn jetzt Adam, »Wie viele Quadratmeter habt ihr hier eigentlich? Pawel meint, das sei alles zu klein hier.«
»Klein, aber fein«, meinte Richard ausweichend und setzte sich auf. »Wir haben ein Schlafzimmer, ein Arbeitszimmer, Küche, Wohnzimmer, einen Keller mit zwei Räumen und einen Dachboden für den ganzen Müll, der sich so ansammelt, was brauchen wir mehr?«
»Und wo kommt das Kind hin?«, rief Wiebke von der anderen Seite des Raumes herüber, was einen allgemeinen Heiterkeitsausbruch und einige affenähnliche Grunzlaute zur Folge hatte.
»Ins Arbeitszimmer, und der Schreibtisch dann in unser Schlafzimmer, da ist Platz genug, wenn wir etwas umstellen. Oder in den Keller, das würde auch gehen«, erklärte Karoline.
»Und das zweite Kind?«
»Das werden wir dann sehen. In das Arbeits-Kinderzimmer passen auch zwei Betten.«
»Genau, das ist eh viel besser, wenn Kinder zusammen in einem Zimmer schlafen, Sozialverhalten und so, weißt du?«, wusste Pawel plötzlich zu bemerken.
»Du warst doch derjenige, der meinte, dass es hier zu klein ist«, tadelte jetzt Karoline scherzhaft und stieß Pawel in die Seite.
»Aua. Hör mir doch einfach nicht zu!«
Es wurde noch viel mehr geredet, gelacht und später vereinzelt auch noch gesungen, da sich einige Gäste darüber beschwerten, dass noch keine Gelegenheit geschaffen worden war, Musik abzuspielen. Irgendwann verabschiedeten sich Karoline und Richard allerdings innerlich von der Gesellschaft, sie saßen still herum, nahmen nur noch einsilbig an den Unterhaltungen teil und schickten sich quer durch das Zimmer müde, aber sehr verliebte Blicke zu. Das ging so lange, bis auch die Gäste müde wurde und sich nach und nach verabschiedeten, nur Adam weigerte sich hartnäckig, sein letzter Zug war schon lange weg, und niemand der anderen wohnte in seiner Nähe. Nur Wiebke erkannte die Situation und zerrte ihn aus dem Haus. »Lass die beiden mal«, sagte sie, »ich setze dich in der Stadt ab, von da kannst du ein Taxi nehmen.« Sie zwinkerte den Gastgebern zu, die sich mit Gesten für ihre Fürsorge bedankten. Trotzdem schlossen sie die Tür nicht sofort, als alle verschwunden waren, sie standen noch eine Weile auf ihrer Türschwelle, betrachteten den Platz in der Mitte der Siedlung und den Himmel über ihnen.
»Wahnsinn, so etwas sieht man in der Stadt nicht«, meinte Richard. Karoline nickte nur stumm. In der Ferne war ein leicht dunstiger Schimmer zu sehen, der ständig über der Stadt lag und den Blick auf die Sterne verwehrte, all ihr Licht wurde dort einfach geschluckt, selbst mitten in der Nacht.
»Das ist mir nie so aufgefallen«, flüsterte Karoline irgendwann.
»Wie auch? Wenn etwas nie da ist, wie kann man es dann vermissen?«
»Doch schon. Zum Beispiel im Urlaub, da haben wir schon mal einen ähnlich tollen Sternenhimmel gesehen.«
»Vielleicht ist man im Alltag einfach zu beschäftigt, um sich den Himmel anzusehen«, meinte Richard nachdenklich. Das würde allerdings bedeuten, dass sie, sobald sie der Alltag hier wieder eingeholt hatte, auch diesen Himmel nicht mehr betrachten würden. Aber zumindest wäre er da und stünde zur Verfügung, dachte er, wusste aber nicht, was ihm das bedeuten sollte.
»Gehen wir rein?«, fragte Karoline irgendwann zitternd und drehte sich um, ohne eine Antwort abzuwarten. »Wissen wir eigentlich, wo die Heizung angeht?«, rief sie aus dem Flur nach draußen und holte Richard damit endgültig aus seinen Träumereien zurück.
»Keine Ahnung, mal im Keller nachsehen. Aber heute nicht mehr, oder?«
»Ne, einfach nur so, es wird ja irgendwann noch kälter.«
»Bestimmt.«
Damit schloss sich die Tür hinter Richard, aber zur Ruhe kam er nicht. Die Gespräche der Freunde drehten sich noch lange in seinem Kopf. Einige seiner eigenen Einwände waren angesprochen worden und hatten diesen wieder etwas Relevanz verliehen. Seine Gedanken wirbelten durcheinander und trübten sich immer mehr, wie ein ruhiger Bach durch starke Regenfälle plötzlich alle möglichen Dinge mitreißt, nachdem er zuvor ganz klar dahinfloss. Aber sie hatten doch alles besprochen oder bedacht? Selbst wenn sie zwei Kinder bekommen sollten, bestand noch immer die Möglichkeit, den Dachboden auszubauen, das hatte ihm sein Onkel Leo, seines Zeichens Schreinermeister, mehr als einmal versichert.
»So was mache ich den ganzen Tag, kein Problem, zwischen die Balken kommt eine Dämmung, dann wird das ganze zugemacht, unter die Schrägen können wir Schränke ziehen, was glaubst du, was du da alles reinkriegst? Und dann hier in die Mitte ein großes Bett, das reicht doch für euch. Guck mal hier, unter dem Giebel kannst du locker stehen, das Dach ist hoch genug, das machen wir schon, wenn es so weit ist.«
Damit sollte das Thema eigentlich erledigt sein, trotzdem konnte Richard lange nicht schlafen, und er wusste noch nicht einmal, warum eigentlich. Es gab noch etwas anderes, was einer der Gäste gesagt hatte und das ihm jetzt Probleme bereitete, aber er konnte sich nicht mehr erinnern, was es war. Das lag zum einen an der späten Stunde, an den Anstrengungen, die sie den ganzen Tag über durchgestanden hatten, an den vielen ungewohnten Eindrücken, die sie durch ihre neuen Nachbarn gewonnen hatten, und nicht zuletzt an der wahrscheinlich nicht unbeträchtlichen Menge Wein, mit der der erfolgreich abgeschlossene Umzug begossen worden war. Viel später fiel er in einen unruhigen Schlaf, und am nächsten Morgen zeugten nur seine übervolle Blase und ein leichter Kater von diesen leichten Verstimmungen am Vorabend.
Beim Frühstück redeten die beiden fast gar nicht. Sie saßen sich stumm gegenüber, lächelten von Zeit zu Zeit wissend und kauten schweigend ihre Brote. Der Tag versprach schön zu werden, draußen schien bereits die Sonne, und es war einiges los auf dem Platz, Kinder spielten und schrien, einige Mütter saßen auf den Bänken und unterhielten sich. Irgendwann kam Max vorbeigelaufen und winkte kurz durch ihr Küchenfenster, aber sie waren zu träge, um zurückzuwinken, und da war er auch schon wieder verschwunden.
»Kinderlärm ist irgendwie gar kein Krach, oder?«, fragte Karoline nach einiger Zeit unvermittelt.
»Wie meinst du das?«, fragte Richard und saugte an seiner Tasse, die er beidhändig festhielt.
»Ich weiß nicht, wenn der Lärm draußen jetzt von einem Rasenmäher käme oder vom Verkehr auf der Straße, dann würde einem das viel nerviger vorkommen, oder?«
»Keine Ahnung, ich höre jetzt noch nicht mal viel.«
»Siehst du?«, lachte sie und sah wieder aus dem Fenster. Richard folgte ihrem Blick und überlegte sich, wie viel Zeit er hier im Haus verbringen würde, wenn er erst einmal wieder anfing, richtig zu arbeiten. Dabei fiel ihm ein, dass er Mirko, seinem Chef, versprochen hatte, spätestens am Ende des Tages noch einige Übersetzungen zu liefern, was ihm einen leichten Stich in die Magengegend versetzte.
»Ich werde schon sehen, ob mich das stört, ich sitze ja die meiste Zeit am Fenster zum Platz. Beim Schlafen hinten raus hört man ja nichts«, sagte er. »Dabei fällt mir ein, dass ich Mirko Sachen schicken muss. Bis heute Abend.«
Karoline sah ihn an, als hätte er ihr verkündet, dass er den Umzug bis zum Mittagessen wieder rückgängig gemacht haben wollte.
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Doch, habe ich doch gestern gesagt, der wartet auf den Kram.«
»Du hast Urlaub!«, protestierte Karoline, aber ihr Einwand verpuffte ohne eine Wirkung, Richard stand auf und begann, das Geschirr zusammenzuräumen und zur Spüle zu tragen, was seine Frau mit einem gackernden Lachen begleitete.
»Was ist?«, fragte er und drehte sich verärgert um, konnte aber seine zumindest zum Teil gespielte Wut angesichts ihrer Heiterkeit nicht aufrechterhalten und fing ebenfalls an zu grinsen. »Was ist denn?«
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