»Und wo sitze ich?«, fragte seine Frau, die es in der Zwischenzeit auch ins Zimmer geschafft hatte und die Kartons bereits missbilligend ansah, so als könnten diese jeden Moment über ihr zusammenstürzen und sie unter sich begraben. Heinz schob mit seinen breiten Händen einige Sachen beiseite und bedeutete ihr, sich doch neben ihn zu pressen, was sie dann auch tat.
»Kaffee?«, fragte Richard und verschwand schon in der Küche, froh darüber, sich noch einen Moment absetzen und Karoline das Feld überlassen zu können. Er blickte aus dem Fenster und sah ein ihm nur zu bekanntes Auto am Haus vorbeischleichen. »Das war es dann mit der Ruhe«, sagte er sich selbst und ging in den Flur, um das nächste Elternpaar hereinzulassen.
»Hallo«, begrüßte er die beiden, die kurz darauf freudestrahlend über den kleinen Weg kamen, der zum Haus führte, danach wiederholte sich das Fragen-ohne-Antwort-Spiel von vorhin noch einmal, und Richard ließ es lächelnd über sich ergehen. Er komplimentierte seine Eltern ebenfalls ins Wohnzimmer, wo sich Heinz aus dem Sofa wuchtete und Richards Eltern ein schallendes »Tag Ernst, Tag Inge, wie war die Fahrt?« entgegendonnerte.
Es war so, wie sie vermutet hatten, der Besuch beider Elternpaare zur gleichen Zeit entspannte die Lage ein wenig. Ihre Kinder liefen herum, sorgten für Kaffee und konnten sich zu einem guten Teil aus den Unterhaltungen heraushalten, die sich, wie so oft, um immer die gleichen Dinge drehten. Es wurde über die Großeltern geredet, die Nachbarn zu Hause, die Laufleistung des Autos und über Krankheiten und Todesfälle. Karoline und Richard saßen später träge herum und lächelten sich zwischendurch immer wieder erschöpft an, sie würden froh sein, wenn auch dieser Tag endlich vorbei und diese Pflichtübung geschafft war. Irgendwann holte Karolines Vater den Sekt aus dem Kühlschrank und nötigte auch ihnen jeweils ein Glas auf, um auf den gelungenen Umzug und den Start in ein neues Leben anzustoßen, und sie konnten sich nicht weigern. Widerwillig tranken sie mit und machten mit dumpfem Kopf eine gute Miene zu diesem Spiel. Es war bereits Nachmittag, als Richards Mutter plötzlich aufsprang und meinte, sie habe ja das Wichtigste vergessen. Sie holte sich den Autoschlüssel und verließ das Haus. Kurze Zeit später kam sie wieder und schleppte einen Blumenkasten vor sich her, den sie schnaufend im Wohnzimmer abstellte.
»Das ist nicht dein Ernst, oder Mama?«, fragte Richard und starrte mit Abscheu auf den dunkelgrünen Plastikkasten zu seinen Füßen, der mit Geranien bepflanzt war.
»Warte, kommt noch einer«, antwortete seine Mutter, seinen Einwand völlig ignorierend, und eine Minute später stellte sie voller Stolz einen weiteren Kasten vor ihm ab, selig lächelnd, als hätte sie ihm gerade das Geschenk seines Lebens gemacht.
»Was sollen wir denn damit? Wir haben doch noch nicht mal einen Balkon.«
»Aber ihr habt Fensterbänke, vorne im Kinderzimmer, das sieht doch bestimmt toll aus, ein bisschen Farbe ans Haus.«
»Arbeitszimmer«, korrigierte Richard, wurde aber nicht erhört. Er drehte sich zu Karoline herum, die aber nur mit den Schultern zuckte, sie würde seiner Mutter nicht widersprechen. Die beiden Väter unterhielten sich gerade über die Arbeit und nahmen keinerlei Anteil an der Situation, die Richard beinahe wie ein kleines Drama empfand.
»Mama, ich will die Dinger nicht«, sagte er jetzt bestimmt, aber seine Mutter hörte einfach nicht zu.
»Lass uns die doch mal auf die Fensterbänke stellen, nur mal so zum Gucken.«
»Mama, ich will keine Geranien, da muss ich auch nicht erst gucken!«
Richard wurde allmählich wütend und konnte sich nur schwer unter Kontrolle halten. Es war nicht so sehr der Umstand, dass seine Mutter Geranien mitgebracht hatte, sondern die Tatsache, dass sie seine Einwände völlig ignorierte. Er kam sich vor wie als kleines Kind beim Einkauf mit seiner Mutter, die ihn dazu nötigte, eine Hose nach der nächsten anzuprobieren, obwohl er lautstark protestierte, dass er die und die Farbe nicht ausstehen könne, das Anprobieren also völlig überflüssig sei, jedoch wurden seine Anstrengungen nur mit einem angedeuteten Lächeln abgetan. Und dieses Lächeln sah er auch jetzt, und obwohl er mittlerweile deutlich älter war, bedeutete es immer noch, dass er eben nur ein kleiner Junge blieb, der von seiner Mutter zu seinem Glück gezwungen werden musste. Schon packte diese sich jetzt einen Kasten und verließ das Wohnzimmer in Richtung des Treppenhauses, um ihre Dekorationspläne in die Tat umzusetzen.
»Mama, hör auf damit, nimm die Kästen wieder mit, ich will die Teile nicht haben!«, rief Richard ihr hinterher, erhielt aber natürlich keine Antwort. Karoline war zu Richard herübergegangen und legte ihm jetzt die Hand auf den Arm.
»Lass doch«, flüsterte sie, »wir können die Dinger immer noch wieder abbauen. Keinen Streit heute, okay?«
Richard sah sie an und vermutete, dass sie wahrscheinlich recht hatte, wenn es ihm auch äußerst schwerfiel, sich in dieser Situation zu beruhigen. Am liebsten hätte er seiner Mutter die Kästen aus der Hand gerissen und einfach vor die Tür geschleudert – und sie am besten direkt hinterher. Uralte Verletzungen heilen nie.
Schon kam seine Mutter wieder nach unten, sie atmete schwer, blieb vor ihm stehen und keuchte: »Hilf mir doch mal.« Richard wollte gerade aus der Haut fahren, aber Karoline hielt ihn zurück, nahm den zweiten Kasten auf und ging nach oben. Im Arbeitszimmer standen die Fenster offen, vor dem einen war bereits der erste Kasten auf der Fensterbank angebracht, an die zweite kamen sie erst heran, nachdem sie ein paar Kartons verschoben hatten, aber schließlich war auch dieser Kasten platziert und Inge entzückt.
»Das sieht doch gleich ganz anders aus, was meinst du?« Sie sah Karoline strahlend an. »Lass uns doch mal von unten gucken.« Und schon war sie verschwunden, Karoline fröstelte und schloss die Fenster, damit es nicht noch kälter wurde, dann folgte sie ihrer Schwiegermutter nach unten, die bereits vor dem Haus stand und vor Entzücken in die Hände klatschte.
»Jetzt noch ein paar Dinge im Vorgarten. Hier ein paar Blumen hin, winterfeste, da hast du dann auch keine Arbeit mit, das sieht viel freundlicher aus.« Dann neigte sie sich vertraulich zu Karoline herüber und sagte deutlich leiser, obwohl niemand in der Nähe war, der es hätte hören können, dass Richard sich schon wieder beruhigen werde, sie kenne ihn schließlich, er sei schon als Kind so bockig gewesen. Karoline dachte an die vielen kleinen Geschichten, die ihr Mann ihr über genau diese Situationen bereits erzählt hatte, und zog es vor, zu schweigen. Sie betrachtete die Fassade und musste zugeben, dass die Fenster mit den Blumen tatsächlich freundlicher aussahen als zuvor. Sie drehte sich herum und entdeckte an einigen der anderen Häuser ebenfalls Blumenkästen. Vielleicht hatte Richards Mutter recht, und er würde sich tatsächlich daran gewöhnen, dachte sie kurz, wusste aber im selben Moment, dass das nicht stimmte, dafür kannte sie Richard zu gut, er war einfach viel zu stur, um jetzt noch nachzugeben. Wenn er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, dass er die Blumen nicht wollte, würde er davon nicht mehr abrücken und die Kästen entfernen, sobald seine Eltern wieder abgereist waren.
Die Kälte machte auch Inges Begeisterung irgendwann ein Ende, sodass sie nach ein paar Minuten wieder ins Haus gingen. Richard funkelte seine Mutter böse an, was diese übersah, Karoline lächelte ihm aufmunternd zu, aber auch das konnte seine Laune jetzt nicht mehr heben. Nun war es jedoch an Karoline, bittere Medizin zu schlucken, denn ihre Mutter hatte bereits das dritte Glas Sekt in der Hand, offenbar waren Heinz Pläne, dass sie zurückfahren sollte, nicht aufgegangen.
»Was ist denn jetzt mit dem Kinderzimmer?«, fragte sie Karoline, der sofort ihre roten Wangen auffielen, was sie direkt richtig als Warnsignal deutete, sie kannte ihre Mutter.
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