»Nur teilweise, aber die Firma, für die ich arbeite, auf jeden Fall. Ich kann dir ja mal meine Karte geben, beim nächsten Mal, ich war jetzt gerade nicht auf Geschäftskontakte gefasst.«
Sebastian nickte, blickte noch einmal in die Runde und verabschiedete sich dann. »Hör mal, es tut mir leid, aber mir wird das zu spät hier, okay?«
»Ja, klar, kein Problem, schön, dass du trotzdem da warst«, beeilte sich Richard zu sagen und fand dann seine Antwort etwas überschwänglich, konnte sie aber jetzt nicht mehr zurücknehmen. Doch Sebastian war nichts aufgefallen, er streckte Richard die Hand hin, schüttelte sie und drehte sich ohne ein weiteres Wort um. Richard suchte nach Karoline und fand sie nach einer Weile in eine Unterhaltung mit zwei Nachbarinnen verwickelt, deren Namen er schon wieder vergessen hatte. Er wollte nicht stören, also schlenderte er zu den Biervorräten und nahm sich eine weitere Flasche. Aus der Ferne beobachtete er seine Frau und erinnerte sich an ihre Regung, die Rührung, die sie angesichts Harrys Wortspiel gezeigt hatte. Ein Scherz, meinte Richard, den er selbst gar nicht so gelungen fand, aber er ermahnte sich zu weniger Strenge. Harry hatte es nett gemeint, er war sehr freundlich gewesen, hatte seine Rede persönlich gestaltet und was das Wichtigste war: Er hatte Karoline erreicht.
Nach und nach verabschiedeten sich die Familien, die mit Kindern auf die Feier gekommen waren, und dankten ihnen für die gelungene Veranstaltung. Richard wusste damit nicht viel anzufangen, schließlich hatten die Nachbarn die Feier bezahlt und, wenn alle so freigiebig gewesen waren wie Harry, sogar noch um ein Vielfaches darüber hinaus. Er wusste mit diesem Umstand nicht umzugehen, fand es aber auch seltsam, sich für die Spende zu bedanken, also sagte er nur, dass er sich freue, dass sie gekommen waren und bis bald und ähnliche Dinge. Es war schon spät in der Nacht, als ein paar tapfere Gestalten der Kälte weiterhin trotzten. Harry war noch da und grillte unermüdlich weitere Würstchen, die weiß Gott wer alle essen sollte. Nicole war nach kurzer Abwesenheit, in der sie die Kinder ins Bett gebracht hatte, ebenfalls wieder da und trank erstaunliche Mengen von Bier, wie Karoline leise bemerkte. Eva stand mit Max und Herrn Fassbender herum und lachte lautstark über deren Erzählungen, von denen sie aus der Entfernung nichts mitbekamen. Dann gab es noch zwei, drei weitere Personen, dessen Namen Richard entfallen waren, und die Nachbarin mit dem müden Gesicht, die auf einer Parkbank eingeschlafen war, einen Pappteller mit einem Haufen Kartoffelsalat auf ihrem Schoß. Als die letzten Gespräche langsam versiegten und selbst Harry ruhiger wurde, räumten sie das Buffet ab und warfen Pappteller, Plastikbestecke und zerbrochene Flaschen in riesige blaue Müllsäcke.
»Lassen wir die Schüsseln einfach hier stehen«, meinte Harry, »die werden morgen schon abgeholt, schlecht wird bei der Kälte ja nichts.«
»Sollen wir die Sachen nicht besser mit zu uns nehmen?«, fragte Nicole und schielte dabei ein bisschen, vielleicht wäre es besser, sie keine schweren Dinge mehr tragen zu lassen, dachte Richard, wollte sich aber aus der Planung lieber heraushalten.
»Und dann?«, fragte Harry.
»Nur so, dann kommt kein Ungeziefer dran.«
»Ungeziefer? Bei Bodenfrost? Außerdem haben die Schüsseln fast alle einen Deckel.«
Nicole zuckte mit den Schultern und entfernte sich ohne ein weiteres Wort in Richtung ihres Hauses.
»So, ich bin dann auch weg«, sagte Harry, der ihr nachblickte. »Bei uns ist die Nacht um sechs Uhr zu Ende, ob wir wollen oder nicht. Wir haben da so zwei Wecker zu Hause, die lassen sich nicht abstellen und gehen ständig vor. Haha.«
Richard brauchte einen Moment, bis er verstanden hatte, und auch Karoline guckte etwas ratlos aus der Wäsche, aber da niemand mehr antwortete, war das wohl auch in Ordnung.
Erst als sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, merkten sie, wie müde sie eigentlich waren. Und wie betrunken. Sie gingen in die Küche und teilten sich eine Flasche Wasser, gerne hätten sie sich noch etwas auf ihr Sofa gesetzt, aber das war immer noch unmöglich. Richard holte einen Zettel heraus, schrieb »Sofa aufräumen« darauf, dazu eine Unmenge an Ausrufezeichen und klebte ihn an den Kühlschrank. Als er sich wieder herumdrehte, liefen seiner Frau Tränen über das Gesicht.
»Karo, was ist denn?«, fragte Richard erschrocken. Sie starrte ihn an und sagte nichts, aber sie lächelte dabei, daher entspannte sich Richard wieder ein bisschen.
»Was ist denn los?«
Karoline ruderte mit den Armen, verzog das Gesicht und antwortete nicht. Sie griff nach einer Box mit Taschentüchern, aber die war leer, also wischte sie sich Augen und Nase an ihrem Ärmel ab. Richard stand geduldig vor ihr und wartete.
»Wir sind zu Hause«, schluchzte sie, und die Tränen liefen erneut. Richard nahm sie in den Arm, und so standen sie noch lange, jeder in seine Gedanken versunken, aber glücklich.
Kapitel Vier – Familie
Am nächsten Tag wurden sie durch ausdauerndes Klingeln an ihrer Haustür geweckt. Zunächst meinten sie, jemand müsse sich vertan haben, oder die Kinder würden sich einen Streich erlauben, aber es hörte einfach nicht auf, deswegen schlich Richard mit schwerem Kopf ins Erdgeschoss und öffnete. Vor der Tür stand der Typ mit dem kleinen Mund – wie hieß der doch gleich? – er trug einen Jogginganzug und einen Fußball unter dem Arm. Richard war von der Sonne geblendet, blinzelte an ihm vorbei und sah noch eine Handvoll ähnlich gekleideter Nachbarn auf dem Spielplatz warten.
»Was ist los? Kater?«, lachte der Kerl. »Das Beste dagegen ist ein bisschen Sport, wie sieht es aus?«
»Heute? Jetzt?« Richard konnte sich nicht vorstellen, sich in den nächsten Stunden überhaupt übermäßig zu bewegen, geschweige denn, Sport zu treiben.
»Ja klar. Wir spielen jeden Sonntag hinten auf dem Bolzplatz neben der Schule Fußball. Sei dabei!«
»Ist das euer Ernst?«
»Glaubst du, ich laufe zum Spaß so rum und führe den Ball hier Gassi?«
Richard schüttelte sich und sah seinem Gegenüber jetzt zum ersten Mal längere Zeit gerade ins Gesicht, so gerade, wie er es in seinem Zustand vermochte. Natürlich, er meinte es ernst. Er blickte die Straße entlang, so als könnte dort die Rettung auftauchen, die ihn aus dieser Situation befreien würde, aber nichts weiter passierte, es war eiskalt, die Sonne schien hell, zu hell, vermochte aber nicht, etwas Wärme zu verbreiten, schon fing Richard an zu zittern. Die Luft roch frisch, aber ihm war jetzt nicht danach, die Natur zu genießen, er wollte zurück in sein Bett, solange es noch warm war. Auf dem Platz sah er die anderen sich geduldig aufwärmen, Chris saß schon wieder auf ihrer Bank, von Petra war noch nichts zu sehen, vielleicht hatte auch sie sich gestern etwas übernommen, Richard konnte sich kaum daran erinnern, ob sie überhaupt auf der Feier gewesen war. Ihm war jetzt richtig kalt, und der Mann, an dessen Namen er sich nicht erinnern konnte, wartete dringend auf eine Antwort, die Richard partout nicht einfallen wollte.
»Hör mal …«, fing er an, »heute nicht, okay? Beim nächsten Mal. Ich bin einfach noch nicht fit, um jetzt herumzurennen, ich glaube, ich würde nach zwei Metern zusammenbrechen.«
Er befürchtete, sich noch weiter rechtfertigen zu müssen, aber die Situation löste sich so schnell auf, wie sie gekommen war. Überrascht blieb Richard zurück, hielt sich am Türrahmen fest und wartete noch einige Sekunden ungläubig, bevor er wieder ins Haus ging.
»Okay, alles klar, kein Problem. Nächste Woche dann, wir haben den Platz immer von zehn bis elf.«
Und schon war er verschwunden.
Auf dem Weg zurück zum Schlafzimmer ärgerte sich Richard jetzt über seine Zusage. Er wollte überhaupt nicht Fußball spielen, diese Woche nicht, nächste nicht, überhaupt nicht. Er fuhr ganz gerne mal ein paar Kilometer mit dem Rad, aber für eine andere Sportart hatte er nicht viel übrig, noch nicht einmal passiv auf dem Sofa. Warum hatte er diesem … er musste unbedingt herausfinden, wie der Kerl hieß! Warum hatte er ihm nicht gesagt, dass er generell kein Interesse hatte? Er hatte für die nächste Woche zugesagt und brauchte dann wieder eine gute Entschuldigung oder musste zwangsläufig mitmachen. »So ein Mist!«, sagte er laut, als er zurück ins Bett kroch. Karoline setzte sich erstaunt auf.
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