Während Lydie entgeistert das Gesicht verzog, schaltete sich Wolle ein. „Meinst du wirklich, wir alle, die Helga, die Lydie, der Volker, und ich, sollten zum Islam übertreten?“
„Ja sicher“, antwortete Ali mit nunmehr gefestigter Stimme. „Der Islam ist die Religion des Friedens.“
„Ich finde, an dem, was Ali sagt, ist was dran“, meinte Helga. „Ich habe schon öfter gehört, dass der Islam die Religion des Friedens ist. Wenn wir alle Muslime werden und die Muslime alle Muslime bleiben, sind wir alle Muslime und wir könnten einträchtig miteinander leben. Wir vier, alle Menschen in Deutschland und weltweit.“
Lydie macht eine abwertende Handbewegung. „Ach, das ist doch nur Propaganda!
Gerade die islamische Welt ist voller Gewalt.“
„Aber Lydie, du weißt doch selbst, die Menschen dort werden durch den Westen, vor allem durch die USA und Israel unterdrückt, aufgehetzt und gegeneinander ausgespielt.“
Lydie warf Helga einen kritischen Blick zu. „Moslems führen aber auch Kriege, wenn sie weder unterdrückt noch von Andersgläubigen aufgehetzt oder gegeneinander ausgespielt werden. Schau doch in den Sudan, nach Nigeria oder nach Pakistan. Da sieht man, wie kriegerisch sie sein können. Und das kommt nicht von ungefähr: Mohammed selbst hat viele Kriege, auch Angriffskriege, geführt und sogar massenhaft Gefangene töten lassen!“
Helga verzog missmutig das Gesicht. „Woher willst du das wissen?“
„Das weiß ich aus wissenschaftlichen Büchern über Mohammed und den Islam. Ich habe sogar eine Mohammed-Biografie zu Hause. Wenn du willst, leihe ich sie dir aus.“
„Nein, danke, kein Bedarf“, murmelte Helga. „Wer weiß, ob das alles stimmt.“
´Wie respektlos diese Lydie über meinen Glauben und den Propheten – Friede sei mit ihm – spricht´ dachte Ali. ´Allah wird sie dafür strafen.`
„Jesus hat keinen einzigen Krieg geführt“, schaltete sich Wolle wieder ein. „Müsste man da nicht sagen, das Christentum ist die Religion des Friedens?“
„Quatsch Wolle!“, widersprach Lydie. „Dafür haben die Kirchen unzählbare Kriege gesegnet und viele Kriege sogar angezettelt. Es existieren keine Friedensreligionen. Jede Religion stellt ein unermessliches Gewaltpotential dar.“
„Eben!“, betonte Volker und setzte den Blinker zum Überholen. „Und jetzt lasst den Blödsinn mit den Religionen! Wir holen die Burka, damit hat sich´s!“
Mit einer Plastiktüte in der Hand stieg Volker wieder in den Bus ein. Sogleich nahm Helga ihm die Tüte ab, zog einen blauen Umhang heraus und faltete diesen auseinander. Gebannt starrten die Insassen auf das zum Vorschein kommende Gesichtsgitter.
“Jou, das ist eine richtige Burka“, sagte Volker mit lauter Stimme.
Lydies Miene verdüsterte sich. „Wie krank muss eine Gesellschaft sein, Frauen in so einen Stoffkäfig zu stecken, obwohl es die Männer sind, die sich nicht kontrollieren können oder wollen! Der Westen begeht viele Schweinereien, aber so etwas schlägt dem Fass den Boden aus. Das meinst du doch auch Helga, oder?“
Helga wandte ihren Blick ab und schwieg. Stattdessen antwortete Ali: „Wenn Frauen in meiner Heimat wegen ihrer Burka fast nichts sehen können, werden sie von ihren Kindern an der Hand geführt. So eine Fürsorge lasst ihr im Westen euren Frauen nicht zukommen!“
„Ihr nehmt den Frauen ihre Sehfähigkeit, führt sie wie Blinde durch die Gegend und bezeichnet das Ganze dann noch als Fürsorglichkeit, bei euch tickt´s doch nicht richtig!“ Lydie war außer sich.
„Wir islamische Männer besitzen wenigstens eine Ehre“, entgegnete Ali ungerührt. „Eine Ehre, die wichtiger ist, als die freie Sicht der Frauen.“
Hastig steckte Helga die Burka wieder in die Stofftüte zurück. „Komm Lydie, bleib cool, wir bringen den Ali weg und dann vergessen wir alles. Außerdem muss er die Burka selbst tragen!“
„Hoffentlich lernt er dann wenigstens dazu“, entgegnete Lydie mit gepresster Stimme.
Erneut setzte sich der Bus in Bewegung. Über unzählige Straßen ging es quer durch die Stadt. Auch diesmal konnte Ali sich nicht sattsehen an den vielen schönen Frauen, die unterwegs waren. Etliche sahen so betörend schön aus, wie die Paradiesjungfrauen in seiner Fantasie. Gefangen von den schönen Anblicken, dachte er immer weniger daran, dass solche Straßenfrauen die Gesetze des Islam missachteten.
Auf einmal brachte Volker das Fahrzeug vor einem Bekleidungsladen zum Stehen. „Wie groß bist du eigentlich?“, fragte Helga und sah Ali an.
„Äh, das weiß ich nicht.“
„Was, du weißt nicht mal, wie groß du bist?!“
„Na, ja in El Aoutsch war ich einen Meter sechsundsiebzig groß, aber auf dem Weg nach Deutschland bin ich etwas geschrumpft. Halt, jetzt fällt es mir wieder ein, ich messe fast genau eins siebzig.“
„Und welche Schuhgröße hast du?“
„Öh, wieso wollt ihr das wissen?“
„Wir müssen dir doch Frauenbekleidung beschaffen, vor allem Unterwäsche und Schuhe. Du kannst nicht mit Herrenschuhen und Herrenslips ins Frauenhaus.“
„Was?“, fuhr Ali hoch. „Ich soll im Frauenhaus mit Frauenkleidern herumlaufen? Das kommt überhaupt nicht in Frage! Wenn ich eine Burka trage, kann sowieso niemand erkennen, dass ich ein Mann bin.“
Helga warf Volker einen fragenden Blick zu und sagte dann: „Na ja, wir könnten ihm Schuhe besorgen, die geschlechtsneutral aussehen. Aber Damenslips und Damenunterhemden muss er schon tragen. Wenn er Herrenunterwäsche in die Wäsche gibt, werden die sicher misstrauisch.“
„Aber ich könnte doch meine Unterwäsche einfach immer anlassen“, fügte Ali hastig an.
„Wie bitte? Willst du etwa mit einer einzigen Unterhose wochenlang im Frauenhaus herumlaufen? Schon nach einer Woche stinkst du wie ein totes Wildschwein!“ Helga blickte angeekelt auf Ali.
„Hygiene unter aller Sau! Typisch Mann!“, fügte Lydie hinzu.
„Ja ja, ich weiß, wir Männer sind Schweine“, bemerkte Wolle.
„Wenigstens erkennt ihr das mittlerweile selbst, auch wenn es ein paar Jahrtausende gedauert hat“, kommentierte Helga:
„Moment mal“, unterbrach Ali die Diskussion. „Ich bin Muslim und möchte nicht als Schwein bezeichnet werden. Das beleidigt mich zutiefst. Für uns Muslime ist das Schwein ein unreines Tier, das wir nicht einmal berühren.“
Lydie grinste Ali provozierend an. „Wir meinen ja nicht, dass du ein Schwein bist und grunzt, weil du der Ali und ein Moslem bist, sondern stellen nur fest, dass Menschen der Kategorie Mann im metaphorischen Sinn sich wie Schweine verhalten – auch moslemische Männer!“
„Nehmt das mit dem Schwein sofort zurück, sonst werde ich richtig böse!“, brüllte Ali, am ganzen Leib zitternd.
Die unerwartet heftige Reaktion verschlug den Heilsfrontlern die Sprache. Nach einem längeren Augenblick betretenen Schweigens meinte Lydie: „Okay, wir nehmen die moslemischen Männer davon aus.“
„Wir sagen fortan nur noch fügte Helga an. Das geht doch in Ordnung so, da fühlst du dich doch nicht mehr beleidigt, oder?“
Alis Gesichtsausdruck entspannte sich wieder. „Ungläubige Männer könnt ihr Schweine nennen, das stört mich nicht!“
„Oh nein, das Ganze wird hier immer bekloppter,“ stöhnte Volker. Wir sollten endlich diesen Ali als Frau präparieren und im Frauenhaus abgeben, sonst dreh ich noch durch.“
„Wir könnten ihm doch einen Satz Herrenunterwäsche und Waschpaste kaufen“, schlug Wolle vor. „Da kann er seine Unterwäsche im Waschbecken waschen und im Zimmer aufhängen. Niemand wird an der Wäsche merken, dass Ali ein Mann ist.“
„Mensch Wolle, das ist aber ...“
„Ich kann keine Wäsche waschen und ich werde keine Wäsche waschen!“, fuhr Ali erregt dazwischen. „So etwas ist Frauenarbeit. Die Frauen im Frauenhaus haben mir alle Bedürfnisse zu erfüllen und meine Wünsche von den Augen abzulesen!“
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