„Deswegen ist ein Frauenhaus das sicherste Versteck für unseren Freund hier“, fügte Volker hinzu. „Ein Haus, in dem kein Mann Zutritt hat, bleibt völlig unverdächtig - aber nehmen die ihn auch auf?“
Helga nickte. „Im Frauenhaus Süd arbeitet die Irmi als stellvertretende Leitung; die wird das schon managen. Die Irmi steht absolut auf Multikulti, ich kenn die, ich hab mit ihr studiert.“ „Auf geht´s, fahren wir gleich hin!“
„Moment mal!“, wandte Lydie ein. „Wir sollten erst basisdemokratisch ausdiskutieren, ob sich die Unterbringung eines männlichen Flüchtlings in ein Frauenhaus mit unserem revolutionären Bewusststein und unseren frauenemanzipatorischen Ansprüchen implementieren lässt!“
„Mach jetzt halblang, Lydie!“, erwiderte Helga. „Diskutieren sollten wir lieber über andere Themen. Dies hier verlangt Handeln. Probieren wir´s doch einfach mit dem Frauenhaus.“
„Ja, Helga, du hast doppelt recht“, meinte Wolle. „Fahren wir gleich hin und knüpfen lieber an unseren Diskurs von gestern an. Volker, ich glaube du hast gesagt, unserer fundamentalen Strategie der Revolutionierung jugendlicher Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz im östlichen Niederbayern fehlt noch der neomarxistische Überbau in Anlehnung an die ältere Frankfurter Schule. Da wollte ich sowieso noch fragen ...“
„Du Wolle, halt bloß das Thema hier raus“, entgegnete Lydie gereizt. „Mir liegen die neuneinhalb Stunden diskursive Disputation von gestern noch im Magen.“
„Aufhören zu streiten!“, brummte Volker und wechselte die Fahrspur nach links. „Wir machen jetzt den Abflug ins Frauenhaus Süd.“
Helga nickte. „Gut so! Eine bessere Lösung gibt es nicht.“
Gebannt hatte Ali die Geschichte aus der WG mit angehört und die Ungläubigen verflucht, die seine Glaubensbrüder so schlecht behandelt hatten. Als er vernahm, dass er in einem Haus untergebracht werden sollte, in dem nur Frauen lebten, verwandelte sich seine Wut in pure Freude. Da in diesem Haus Männer keinen Zutritt hatten, war es mit Sicherheit von lauter Jungfrauen bewohnt.
„So weit ich weiß, befindet sich das Frauenhaus Süd in der Wurzelseppstraße“, sagte Volker und bremste vor einer Ampel ab, um den Bus über die Linksabbiegerspur zu wenden.“
Lydie verzog das Gesicht. „Woher weißt du denn das? Als Mann solltest du die Adresse überhaupt nicht kennen.“
„Tja, man hat halt so seine Connections“, murmelte Volker grinsend.
Während sich der Bus durch die große Stadt quälte, blickte Ali aufmerksam nach draußen. Verwundert nahm er wahr, wie sehr sich die Fußgänger von den umherfahrenden Autos an den Rand drängen ließen. Vor allem aber erstaunte ihn, dass viele Frauen, darunter ausgesprochen schöne, ohne männliche Begleitung und ohne den Schutz des Schleiers unterwegs waren. Nicht nur in den Fahrzeugen, auch auf der Straße hielten sie sich alleine auf. Was hatten diese Frauen in der Öffentlichkeit zu suchen? Indessen kam der Kleinbus an einer Querstraße zum Stehen, die vor Fußgängern nur so wimmelte. ´Nanu`, dachte Ali. ´Auf einmal sind hier Massen von Menschen unterwegs. Unzählige Frauen gehen unverhüllt die Straße entlang, manche sind sogar halb nackt. Mann oh Mann, da bleibt kein Körperteil korrekt verhüllt! Mir wird ganz flau, wenn ich das sehe. Oh, das hätte ich nicht gedacht, auch einige islamisch gekleidete Frauen sind auf der Straße, fast alle in Begleitung mehrerer Kinder. Aber die unverschleierten Frauen sind viel schöner anzusehen. Warum lassen deren Väter und Brüder zu, dass sie sich so schamlos auf der Straße zeigen?` Schon setzte sich das Fahrzeug wieder in Bewegung. Ali drehte seinen Kopf ins Innere des Busses und fragte: „Ähm, hier sind ganz viele Frauen alleine unterwegs und zeigen völlig schamlos ihre Reize. Weshalb dürfen die das tun?“
„Wie bitte?“, sagte Lydie irritiert. „Ich verstehe nicht, was du meinst.“
Aufgeregt fuhr Ali fort: „Die aufreizenden Frauen dort draußen behalten ihre Jungfräulichkeit sicher nicht lange. Dadurch beschmutzen sie sich selbst und zerstören die Ehre ihrer Familien. Das können sich deren Väter und Brüder doch nicht so einfach bieten lassen!“
„Was hat der Kerl denn bloß mit seinen Jungfrauen?“ fragte Helga verwundert.
„Vielleicht war er zu recht in der Psychiatrie und er hat wirklich einen Dachschaden“, flüsterte Lydie Volker zu.
Dieser zuckte mit den Achseln und meinte: „Ja, vielleicht?“
„Ich ruf mal unseren Mittelsmann aus der Ausländerbehörde an, und frag ihn, ob er was Näheres weiß“, schlug Helga vor.
„Psscht“, machte Lydie, „nicht so laut!“
„Entschuldigung, ich habe soeben eine Frage gestellt“, warf Ali höflich ein. Darauf hätte ich gerne eine Antwort.“
Volker verzog das Gesicht und sagte gereizt: „Auf diese blöde Frage antworten wir nicht!“
Während Ali schmollend sein Gesicht an das Busfenster drückte, zog Helga ein Handy aus ihrer Jackentasche, tippte daran herum und hielt das Gerät ans Ohr. Leise fragte sie, was es mit dem von Abschiebung bedrohten Moslem auf sich hätte, der in der Psychiatrie gelandet wäre. „Ach so“, meinte sie, „das hättest du uns sagen müssen. Das ändert vieles. Tschau!“
Neugierig fragte Wolle: „Was ist?“
„Das kann ich jetzt nicht sagen“, flüsterte Helga zurück. Dann stupste sie Volker an und sagte mit lauter Stimme: „Halt mal an, ich muss auf die Toilette - ihr anderen doch sicher auch!“ Dabei zwinkerte sie Lydie und Wolle heimlich zu.
„Hier gib´s aber keine Toiletten“, gab Wolle zu bedenken, als der Kleinbus in einer Parkbucht anhielt.
„Mensch halt die Klappe du Idiot!“, zischte Helga. „Natürlich sind hier Toiletten, direkt hinter diesem Häuserblock. Ich denke, wir gehen alle Mal, auch du Wolle! Nur unser Schützling muss im Bus bleiben.“
„Unbedingt“, bestätigte Volker. „Ali, du bleibst sitzen, wir kommen gleich wieder! Die Gefahr ist zu groß, dass du auf der Straße überprüft und abgeschoben wirst.“
„Ja, mach ich“, antwortete dieser und fragte sich, weshalb seine Begleiter so seltsam reagierten.
Schon stiegen die vier Heilsfrontler aus dem Fahrzeug und eilten hinter das nächstliegende Gebäude. „Na, was ist, was hat unser Mittelsmann gesagt?“, wollte Volker sofort wissen.
„Unser Flüchtling tickt wirklich nicht richtig“, sagte Helga und schüttelte den Kopf. „Er lebt in der Wahnvorstellung, einen Anspruch auf zweiundsiebzig Jungfrauen zu besitzen. In einem Bierzelt ist er sogar handgreiflich geworden und hat eine Frau begrapscht. Deswegen wurde er in die Psychiatrie eingewiesen.
„Und wie sieht es mit seinem revolutionären Bewusstsein aus?“
„Davon ist überhaupt nichts bekannt!“
„Mensch Meier, das war aber ein Griff ins Klo! Mit so einem können wir nichts anfangen. Wie stehen wir denn in der Szene da, wenn wir einen Typen in unsere Gruppe aufnehmen, der ständig von Jungfrauen faselt?“
„Mit dem können wir uns auch nicht im Frauenhaus blicken lassen“, sagte Lydie.
Helga blickte nachdenklich in die Runde. „Aber was machen wir dann mit ihm?“
„Setzen wir ihn aus und fahren davon?“
„Du spinnst wohl, Wolle!“, schimpfte Volker. „Wenn die den schnappen, haben wir gleich die Bullen am Hals.“
„Also, verstecken müssen wir ihn irgendwo“, gab Helga zu bedenken.
„Nur wo?“, fragte Volker. „Das Frauenhaus wäre an sich ideal. Dort würde niemand nach ihm suchen.“
„Verkleiden wir ihn halt als Frau“, schlug Wolle vor.
Helga rollte mit den Augen. „Du glaubst wohl, die Frauen dort sind doof und merken das nicht?“
Lydie schnalzte mit den Fingern. „Mensch Helga, der Vorschlag ist gut! Dieser Ali kommt doch aus einem islamischen Land. Wenn wir ihn voll verschleiern, erkennt niemand, dass er ein Mann ist.“
Читать дальше