„Du denkst zu kurz“, widersprach Helga. „Im antifaschistisch-sozialistischen Kampf kannst du nicht sagen, du hörst auf zu kämpfen, nur weil es an einer Stelle wehtut. Wenn weltweit die ungleiche Klassenlage aufgehoben ist und die neue materielle Basis den sozialistischen Überbau geformt hat, erledigt sich die Frage, was wir stärker verurteilen, einen angeblichen orientalischen Sexismus oder den real existierenden kulturellen Rassismus des Westens. Solange die Klassenfrage nicht gelöst ist, haben wir kein Recht, fremde Kulturen zu bewerten.“
„Wir Muslime haben keine Scheu vor Bewertungen“, mischte sich Ali ein. „Wir wissen, jede Kultur, die zum Haus des Islam gehört, ist allen anderen Kulturen überlegen. Und die Umma, die Gemeinschaft aller Gläubigen, ist die beste Gemeinschaft, die die Erde je hervorgebracht hat.“
„Siehst du, die Anderen bewerten, wie es ihnen passt, die kennen keine Skrupel“, sagte Lydie.
„Einer muss doch den Anfang machen und Vorleistungen bringen“, meinte Helga. „Dann werden die Anderen auch nachziehen und nicht mehr werten.“
„Das denkst du, aber ...“
„Ich hab´ eine Lösung, ohne Burka und ohne Frauenhaus“, unterbrach Wolle aufgeregt. „Wir könnten den Ali doch in einer Moschee abgeben. Wenn sie erfahren, dass es sich um einen Moslem handelt, werden sich bestimmt Leute finden, die ihn verstecken!“
„Endlich mal eine gute Idee von dir“, kommentierte Lydie. „Ali würde sich dann sicher sehr wohl fühlen, in der besten aller Gemeinschaften.“
„Nein, nein!“, rief dieser aus, nachdem er eine Schrecksekunde überwunden hatte. „In eine Moschee zu meinen Glaubensbrüdern will ich nicht! Ich habe keine Arbeit, kein Vermögen und meine Familie ist nicht hier, da wird mir keine muslimische Familie auch nur eine ihrer jungfräulichen Töchter zur Frau geben.“
„Der nervt langsam mit seinen Jungfrauen“, stöhnte Lydie. „Auf so einen blöden Tick sollten wir keine Rücksicht nehmen!“
„Nee, wirklich nicht“, stimmte Volker zu. „Wir fahren ihn jetzt in eine Moschee, basta!“
„Aber ich will nicht zu meinen muslimischen Mitbrüdern abgeschoben werden!“, protestierte Ali und dachte mit Schrecken daran, dass er kein Wort von der Sprache des Koran verstand.
„Halt Volker“, meinte Helga, „wenn er nicht will, dann lassen wir´s! Wir bekämpfen die Abschiebung, da können wir doch nicht selbst abschieben.“
„Hm, du hast recht“, meinte Lydie. „Wir – die wir Abschiebung für ein Verbrechen halten - können ihn nicht in eine Moschee bringen, wenn er das als Abschiebung ansieht.“
„Dass der Typ auch so fanatisch auf Jungfrauen aus ist“, murmelte Volker.
„Ja, ja, mit dem Sex verhält sich’s wie mit der Religion“, kommentierte Wolle. „Sich reinsteigern macht süchtig, pervers und fanatisch, aber ohne fehlt einem gehörig was. Man muss eben einen Mittelweg finden.“
„Ohne Religion fehlt einem was?“ Lydie verzog verächtlich das Gesicht. „Mensch Wolle, Religion ist Opium für´s Volk, ohne Ausnahme! Du hast deinen Marx anscheinend immer noch nicht verstanden!“
„Ich bin halt voll religiös erzogen worden. Das kann ich nie mehr ganz ablegen, das müsst ihr verstehen! Auch du Lydie.“
Lydie warf Wolle einen abschätzigen Blick zu. „Dass ihr ländlichen Urbayern selbst als Revolutionäre noch der Religion nachweint, werde ich nie kapieren. Bin ich froh, dass ich in Frankfurt aufgewachsen bin und dieses Opium wahrlich nicht benötige.“
„Stopp Themenwechsel!“, warf Volker ein. „Ich weiß, wie wir an eine Burka kommen! Die Anna aus der Untermenzing-WG war doch mal mit ´nem krassen Moslem liiert, der ihr so eine Klamotte aufgedrängt hat. Ich glaube, sie hat das Ding bei der Trennung behalten, auch wenn sie es nur widerwillig einige Male getragen hat. Wenn wir Glück haben, liegt es noch in ihrem Kleiderschrank herum. Helga, du kennst die Anna doch gut!“
„Ja, und?“
„Ruf du sie an, vielleicht überlässt sie uns das Teil?“
„Nee, das soll lieber die Lydie machen!“
„Wieso ich? Du warst doch mit ihr so dick befreundet!“
„Genau, warst! Sie ist sauer auf mich, weil ich sie Kulturrassistin genannt habe.“
„Ach so - und weshalb?“
„Nachdem Anna von ihrem Jamal genug hatte, hat sie behauptet, im Islam wäre die Unterdrückung der Frau angelegt. Auf diese bodenlose Unterstellung musste ich multikulturell dagegenhalten! Aber der Wolle kann doch anrufen, der hat schließlich schon mit ihr gepennt!“
„Kommt überhaupt nicht in Frage. Für die bin ich gestorben!“
Volker grinste. „Nach drei Wochen hat sie Schluss gemacht, weil du ihr zu schwanzgesteuert warst! Stimmt´s Wolle?!“
„Gib´s halt zu!“, setzte Lydie nach.
„Du brauchst gar nicht rot zu werden, wir wissen´s eh!“ setzte Helga nach.
„Dann hört auf, mich zu nerven, dass ich sie anrufen soll! Warum willst du eigentlich nicht anrufen, Lydie?“
„Weil wir uns auf den Tod nicht ausstehen können!“
„Wenn das so kompliziert ist, probier´s halt ich“, grummelte Volker. „Die Nummer von der WG hab ich gespeichert. Aber ich rede draußen mit ihr, allein.“
Während die drei im Bus gebliebenen neugierig zusahen, wie Volker an der nahe gelegenen Häuserfassade auf und ab gehend telefonierte, fragte sich Ali, ob es nicht besser wäre, unter einem Vorwand den Bus zu verlassen und den seltsamen Begleitern davon zu laufen. Doch wo sollte er sich verstecken, um den Häschern des deutschen Staates zu entkommen? Und wie konnte er, völlig auf sich gestellt, Jungfrauen finden? Diese Unsicherheiten vor Augen, entschied er, bei den Verrückten zu bleiben und mit ihnen in das Frauenhaus zu fahren. Fliehen konnte er immer noch, wenn die Jungfrauen dort nicht schön genug wären.
Inzwischen hatte Volker das Telefonat beendet und öffnete die Fahrertür des Busses. „Wir haben Glück“, sagte er und setzte sich wieder hinter´s Lenkrad. „Die Anna war in der WG und es klappt. Aber es hat mich ´ne Menge Überzeugungsarbeit gekostet. Erst als ich gesagt habe, die Klamotte wäre für einen Orientalen, der, am ganzen Körper verhüllt, gegen die Unterdrückung der Frau im Islam demonstrieren möchte, hat sie eingelenkt. Wir können gleich vorbeikommen und das Teil abholen.“
„Fahren wir halt noch nach Untermenzing“, sagte Lydie. „Und von dort ins Frauenhaus Süd.“
„Genau, bringen wir´s rasch hinter uns“, stimmte Volker zu und startete den Bus.
´Islamische Frauen sind nicht unterdrückt`, dachte Ali indessen erzürnt. Sie haben nach den Gesetzen Allah´s zu leben, die Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. Da es Frauen an Vernunft fehlt, stehen Ihnen nicht die gleichen Rechte zu, wie uns Männern. Diese Ungläubigen sind unfähig, das zu erkennen! Sicher verursacht ihr Unglaube auch die ständigen Zwistigkeiten. Ich sollte sie einladen, den Islam, die Religion des Friedens, anzunehmen. Wenn sie Muslime werden, brauchen sie sich nicht mehr streiten und verstehen, dass sich Frauen den Männern zu unterwerfen haben. Ja, ich lade sie dazu ein, der Gemeinschaft der Gläubigen beizutreten; als Muslim bin ich sowieso verpflichtet, für meinen Glauben zu werben.`
„Entschuldigung“, begann Ali etwas unsicher. „Ich hätte mal einen Vorschlag für euch. Was haltet ihr davon, Muslime zu werden? Dann seid auch ihr in der besten aller Gemeinschaften und braucht nicht immer streiten. Ihr werdet als Männer und Frauen in Harmonie leben, so wie es Allah vorgesehen hat.“
Lydie drehte sich um und starrte Ali an. „Wie bitte?“
Dieser blickte andächtig vor sich hin und meinte mit sanfter Stimme: „Der Islam ist die Religion der Hingabe und des Friedens. Sobald alle Menschen den Islam annehmen und gläubig leben, gibt es auf der Erde keine Kriege mehr. Wenn ihr alle Muslime werdet, wird auch Frieden unter euch sein. Ihr braucht dann nicht mehr streiten. Und den Sozialismus könnt ihr auch innerhalb des Islam verwirklichen.“
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