„Und du bist dir ganz sicher, dass du das durchziehen möchtest?“, fragt er scheinbar bemüht.
Und was sich für Ruth aufgesetzt anhört, trägt tatsächlich so etwas wie Aufrichtigkeit in sich, denn Ingo lässt sich von allen seinen Opfern vorab bestätigen, dass sie bereit sind, mit ihm diesen Weg zu gehen.
„Ja, ganz sicher“, lächelt Ruth stolz und präsentiert dabei ihre makellosen Zähne.
„Dann soll es so sein. Du musst wissen, in dieser Branche kommen nur die ans Ziel, die ein eisernes Durchhaltevermögen haben. Es wird nicht einfach und am Anfang wird man allerhand von dir verlangen. Aber keine Angst, ich helfe dir, wie ich nur kann. Schließlich kenne ich die besten Leute in der Branche. Du kannst dich auf mich verlassen … Und Kleines …“ Ingo wählt bewusst den fast schon intimen Kosenamen, um ihr seinen vermeintlichen Beschützerinstinkt aufs Herz zu drücken. „Für dich wird diese Welt hier bald zu klein sein – das verspreche ich dir.“ Er nimmt Ruths Glas mit dem Aperitif. „Auf uns…“, er blickt der jungen Frau tief in die Augen, „warten Paris, London oder Sydney“, erklärt er pathetisch.
Zufrieden blinzeln sich beide an. Ingo weiß jetzt, worauf Ruth scharf ist, und er ist fest entschlossen, seinen Plan durchzuziehen.
„Da wäre dann nur noch das Formelle“, fügt er wie nebenbei hinzu. „Bevor ich mit den ersten Aufnahmen beginne, müsstest du mir eine kleine Anzahlung leisten. Nicht viel, so viel du halt geben kannst. Das Geld ist für diverse Eintragungsgebühren, Internetauftritte und so weiter und so weiter, bevor wir dann ein Portfolio von dir anlegen.“
„Okay, und wie viel soll das sein?“, fragt Ruth ein wenig ernüchtert.
„Was kannst du denn geben?“
„Ich weiß nicht … Fünfzig vielleicht?“
„Das ist ein bisschen wenig. Da bekommst du halt nur die schlechtesten Plätze im Katalog.“ Ingo verzieht sein Gesicht, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen.
„Hundert?“
„Schon besser, aber auch noch kein wirklich guter Platz. Du musst dir vorstellen, in so einen Katalog tragen sich die hübschesten Mädchen der ganzen Welt ein. Die Konkurrenz ist groß. Tausende Mädchen wollen in den Katalog.“
„Dreihundertfünfzig?“, bietet Ruth, das Äußerste wagend.
„Das ist ein Wort. Ich verspreche dir, dass du ganz vorne auf der ersten Seite mit einer spitzen Aufnahme bist. Mit der besten Aufnahme, die der Kasten hergibt. Vielleicht … mit etwas weniger Kleidung.“ Ingo lehnt sich nach vorne, um in Ruths Ausschnitt zu blicken, während er ein ironisches Lachen unterdrückt.
„Findest du, dass ich das Zeug dazu habe?“
„Wenn nicht du, wer dann?“
„Ehrlich, Wahnsinn! Wenn ich das dem Oli erzähle!“ Ruth ist es vor Aufregung ganz heiß geworden. Ihre Wangen glühen vor Begeisterung. Egal wie lange so ein Shooting dauern wird, für sie wird es kein Ermüden geben, bis die besten Aufnahmen im Kasten sind.
„Deinem Freund musst du nicht gleich davon erzählen. Du musst wissen, die Auftraggeber mögen es nicht, wenn die Mädchen schon vorab im Internet die Runde gemacht haben. Sonst sind sie ja keine neuen Gesichter mehr. Verstehst du?“
„Ja sicher doch. Ist doch klar.“
Das Wesentliche ist für Ingo geschafft. Ruth ist am Haken. Jetzt geht es nur mehr darum, ein paar Termine zu vereinbaren und ein paar einfache Fotos mit seiner Sofortbildkamera zu schießen … und die Kuh kann zur Schlachtbank geschleppt werden. Ingo hat aus den Reaktionen der jungen Frau längst kapiert, dass sie zu allem bereit sein wird. Mal sehen, ob sie bei näherer Betrachtung hält, was seine Menschenkenntnis verspricht. Nur bei dem Gedanken an diesen Oli verspürt er ein leicht flaues Gefühl in der Magengrube. Bei seinen Geschäften hat sich erwiesen, dass jeder Akteur mehr auf der Bühne das Schauspiel nur unnötig in die Länge zieht und gleichzeitig ein größeres Risiko darstellt, ihn womöglich vorzeitig zu entlarven.
„Wann starten wir?“, fragt er ihre Antwort längst ahnend.
„Morgen?“, sagt Ruth und strahlt ihn mit verführerischem Blick an. Und zum ersten Mal bei diesem Treffen nimmt sie das Ruder in die Hand und gewinnt etwas von ihrer altbekannten Souveränität zurück. „Und wo?“
„Natürlich in meinem Atelier. Wo sonst?“
Allein das Wort Atelier ruft vor Ruths geistiges Auge die Bilder der großen weiten Welt der Models, von der sie immer schon geträumt hat. Von nun an arbeitet sie in einem Atelier und wartet nicht mehr länger darauf, dass ein Personalleasingbüro für eine Aushilfsarbeit anruft.
D agmars Badezimmer ist in einen dichten Nebel gehüllt. Endlos lange lässt sie den heißen Wasserstrahl auf ihren Körper prasseln. Immer wieder nimmt sie Duschgel, um sich von Kopf bis Fuß einzuseifen und gleich darauf mit viel Wasser abzuspülen, bevor sie das Ganze wiederholt, bis sie von jedem Zentimeter ihrer Haut die säuerlichen Gerüche der Ausdünstungen der verschiedenen Freier weggeschmirgelt hat. Frischer Duft von Lavendelöl umhüllt sie wie ein reines Laken. Sie weiß nicht mehr, wie lange sie unter dem fließenden Wasser gestanden hat, bis sie sich befreit fühlt. Dann legt sie sich den Bademantel um und geht ins Wohnzimmer, um ihr Handy zu nehmen.
Dagmar Weinerl alias Daisy kann auf eine beachtliche Zahl an Stammkunden blicken. Sie sind der wahre Qualitätsbeweis ihrer mühevollen Arbeit. Keiner der Herren wäre ein zweites Mal wiedergekommen, wäre er nicht beim ersten Mal ganz auf seine Kosten gekommen. Nach und nach hat sich daraus eine Reihe zufriedener Freier gebildet, deren Namen sie in einer Art Kartei verwaltet. In einem dünnen, in schwarzem Leder gebundenen Büchlein hält sie jene Telefonnummern bereit, die sie nochmals kontaktieren möchte. Jeder Kontakt ist mit einem persönlichen Symbol versehen. Und unter all diesen Nummern befindet sich eine, deren Besitzer zu mehr bereit ist als alle anderen Freier zusammen. Dagmar hat ihm als persönliches Zeichen das griechische Symbol für Zeus verliehen. Nach einer kurzen Überlegung wählt sie die Nummer.
„Ne, Stavros Iuannou“, meldet sich eine heisere Stimme.
„Hallo Stavros, hier spricht Daisy“, antwortet sie mit einem lasziven Unterton. „Schon lange nichts mehr von dir gehört.“
„Wie wahr, meine Liebe. Schön zu hören, dass dein Καρδια , dein Herz, Sehnsucht nach mir hat.“ Stavros’ Lachen geht in einen Hustenanfall über, der sich anhört, als müsse er einen ganzen Ameisenhügel herauskeuchen.
„Wo bist du gerade? In Athen?“
„Nein, nein – ganz in deiner Nähe.“
„Wie wär’s, hast du etwas Zeit für mich?“
„Kommt darauf an.“
„Worauf?“
„Wozu du bereit bist, Καρδια .“
„Du kennst mich – bei dir zu allem.“
„Kein Limes?“
„Kein Limes.“
„Gut, sehr gut, sagen wir heute um vier?“, keucht Stavros in das Telefon hinein.
Daisy weiß, er mag keine langen Verhandlungen. Ihm imponieren Menschen mit Mut zu raschen Entscheidungen.
„Vier Uhr, am gewohnten Ort?“, wiederholt Daisy jetzt professionell.
„Am gewohnten Ort.“
Stavros Iuannou gehört zu Daisys allerersten Kontakten. Er war der Auftakt in der Ouvertüre der Liebesspiele. Aus einer Zeitung hatte Dagmar Weinerl erfahren, dass eine Begleitagentur, der Name ist ihr längst entfallen, junge, gebildete Frauen für besondere Anlässe suchen würde, und da sie dringend Geld brauchte, fühlte sie sich angesprochen. Nach einem kurzen Gespräch in einem schäbigen Büro, dessen Firmenschild aus einem auf Pappkarton hingekritzelten, französisch-englischen Wortlaut bestand, war sie für den ersten Auftrag gebucht. Sie hatte noch nie zuvor so etwas gemacht, aber gemäß der Erklärung des Geschäftsführers schien es ganz einfach, denn alles, was man von ihr erwartete, waren angemessene Kleidung und freundliches Benehmen. So ausgestattet, machte sie sich auf den Weg zu ihrem ersten Kunden. Im Auftrag des Escort-Services wurde sie in eine Wohnung im obersten Stockwerk eines Hochhauses aus den Sechzigern mitten in der Stadt beordert. Als sie an der Tür 137 läutete, öffnete eine kleine, untersetzte, ganz in schwarz gekleidete Frau. Sie musterte Daisy von oben bis unten, bevor sie sie eintreten ließ. Daisy folgte der Frau und kam in ein Wohnzimmer, wo sie sich sogleich in der Gesellschaft von fünf weiteren bestellten Damen befand. Auf der Stelle machte sie kehrt und wäre auch schon beinahe wieder beim Lift im Flur angekommen gewesen, als sie die kleine Frau am Arm zurückzog. „Èla“, meinte sie barsch, was wohl so viel wie „Komm schon“ auf Griechisch bedeutete. Sie deutete ihr mit den Händen, dass gute Bezahlung auf sie warten würde. Schließlich ließ sie sich überreden.
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