Gabi Paumgarten
Asphaltblüten
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Impressum neobooks
B lutrot ist die Farbe des Lippenstifts, mit dem Daisy zweimal kräftig über ihre Unterlippe fährt. Sie setzt den cremig fetten Stift in der Mitte des Amorbogens an und führt ihn in einem einzigen Zug zuerst in den rechten, dann in den linken Mundwinkel. Sanft drückt sie ihre Lippen aneinander, sodass sich die intensive Farbe gleichmäßig darauf verteilt. Die Lippen sind das Finish ihres Make-ups. Daisys prüfender Blick in den Spiegel zeigt ein blasses, makellos geschminktes Gesicht – der Mund sticht wie ein leuchtendes Ampelsignal hervor.
Die mandelförmigen Züge ihrer Augen, die durch eine Linie von schwarzem Kajal dezent verstärkt werden, lassen eine Rarität durchschimmern. Eine Rarität, die man sich zu besonderen Anlässen gönnt, die möglicherweise kostspielig, auf jeden Fall aber Genuss versprechend ist. Und für einen Genuss dieser Art ist Daisys Kundschaft gerne bereit, tief in die Tasche zu greifen. Mit einem letzten Griff rückt sie die blauschwarze Pagenkopf-Perücke zurecht. „Daisys“ Haare sind ihr unverkennbares Markenzeichen. Die etwas strenge, aber durchaus jugendliche Perücke aus Echthaar muss jeder Bewegung standhalten. Kein noch so kleines Verrutschen darf das Gegenüber an der Echtheit des eindrucksvollen Erscheinungsbildes zweifeln lassen oder gar die darunter verhüllte Haartracht preisgeben.
Als letzten Schritt fasst sie sich mit beiden Händen an ihre schlanke Taille, um das enganliegende Mieder aus schwarzem Lackleder straffend nach unten zu ziehen. Ihre Figur entspricht noch immer der einer topfitten Mittdreißigerin. Die muskulösen Pobacken, die nur knapp von dem roten Minirock verdeckt werden, lassen eine trainierte Sportlerin erkennen.
Daisy ist mit ihrem Aussehen zufrieden. Jedes Stück ihres Kostüms ist mit Bedacht gewählt, um der Erwartung ihrer Kunden zu entsprechen.
Nachdem sie ihre Alltagsklamotten in einem schäbigen Metallspind neben der Toilettentür verstaut hat, schreitet sie auf roten High Heels und mit großen Schritten durch das Bistro des Stop & Go – einer Rast- und Servicestation am Stadtrand – hinaus auf die Straße, hinaus in die Nacht.
Es ist Montag – und Montag ist gut für das Geschäft. Nach einem Wochenende, das für manche Kerle aus reizlosem Sex bestanden hat, der sie wie Haferschleimsuppe zwar satt gemacht, aber nicht richtig befriedigt hat, verlangt Daisys Kundschaft etwas richtig Scharfes. Sex so scharf wie eine Carolina Reaper , die einem beim gierigen Verzehr den heißen Schweiß aus den Poren jagt und an deren Feuer man sich noch zwei Tage später erinnert.
Es ist früher Abend und der Feierabendverkehr hat bereits eingesetzt. Die Dämmerung verstärkt das grelle Scheinwerferlicht der Autos, das sich wie ein helles Band durch die dunkle Landschaft zieht. Am Straßenrand stehend, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wartet Daisy – und sie wartet nicht lange.
Eine auf Hochglanz polierte Limousine hält auf dem staubigen Bankett. Lautlos schiebt sich die Scheibe nach unten. Ein kurzer Blickaustausch und Daisy öffnet die schwere Wagentür an der Beifahrerseite. Wortlos steigt sie ein.
I m Stop & Go herrscht reger Betrieb und für Sam ist es bereits die vierte Rushhour an diesem Tag. Hinter der kleinen Bar bereitet er zwei Espressi, zwei belegte Brote – leicht erwärmt – einen frisch gepressten Orangensaft und ein kleines Bier zu, während in der winzigen Küche ein Hamburgerlaibchen und eine Bratwurst in der Pfanne brutzeln. Aus der Küche strömt der würzige Duft von in Fett gebratenem Fleisch vermischt mit dem Dampf und Rauch des Bratens. Mit einem Auge behält Sam den Monitor im Blick, der die Zapfsäulen vor der Glasschiebetür anzeigt. Viele Autolenker nutzen die Zeit, um zu tanken, bevor die Preise über Nacht wieder angehoben werden. Mit dem anderen Auge überblickt er die vier Tische im Lokal, von denen drei mit Stammgästen besetzt sind.
Sam spricht nicht perfekt Deutsch, aber gut genug, um die Wünsche der Gäste einwandfrei entgegenzunehmen. „Kommt sofort“, lautet seine Standardantwort, wenn er gerufen wird, denn er hat längst verstanden, dass ein rasches Handeln im Gastgewerbe besonders geschätzt wird. Mit „Merci“, „Grazie“, „Gracias“, „Podziękowanie“ oder „Spasiba“ verabschiedet er die Gäste, wenn diese zufrieden das Lokal verlassen.
Sam mag es, wenn es sich in der kleinen Rast- und Servicestation so richtig dreht, wenn das Auf und Zu der Glasschiebetür zur Melodie wird, die vermengt mit dem Getratsche seinen Arbeitsrhythmus bestimmt. Sam mag das Kommen und Gehen der Menschen, die sich trotz ihres für Reisende typischen Fremdseins miteinander verbunden wissen, aus der Notwendigkeit heraus, eine Rast einzulegen. „Das ist meine Familie“, erklärt er schon mal den Leuten in seiner herzlich offenen Art, wenn sie sich für die Dauer eines Espressos in ein kurzes Gespräch einlassen. Diese Art der Begegnung mit den Gästen, und sei sie auch nur kurz, erzeugt in ihm nicht nur das Gefühl, gebraucht zu werden, sondern vielmehr das Gefühl dazuzugehören.
Sams ganzer Name lautet Elunga Samuel Nmbundo und seine Haut ist braun wie Torferde. Seit fünf Jahren ist er im Stop & Go als Tankwart, Kellner, Barkeeper, Mechaniker, Spaßmacher oder Seelentröster beschäftigt, je nachdem, was die Gäste von ihm brauchen. Fünf Jahre ist es her, dass er – einer Polizeirazzia an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich entkommend, mit einem Ledergurt an den Unterboden eines Lkw geschnallt – als blinder Passagier die Grenze passiert hat. An der ersten Tankstelle, an der der tonnenschwere Truck hielt, ging er von Bord und blieb. An seine Heimat Ruanda denkt Sam nur noch selten. Vor allem an die Geschehnisse von damals will er nicht mehr erinnert werden … auch, wenn der positive Asylbescheid noch immer auf sich warten lässt.
E igentlich bewerkstelligt die elektronische Registrierkassa die Abrechnung selbstständig. Eine Tastenkombination als Anweisung genügt und die Maschine spuckt schwarz auf weiß das Resultat eines ganzen Monats aus. Und doch kontrolliert Rosi Neuhauser die computerisierte Datenverarbeitungsmaschine so, als wäre sie eine Mitarbeiterin, der man Ungenauigkeit und Nachlässigkeit zutrauen müsste. Gedanklich geht sie die Zahlenreihen Zeile für Zeile durch, in der ungewissen Annahme, dass sich ein vermeintlicher Fehler eingeschlichen haben könnte. Das Ergebnis ernüchtert die fünfzigjährige Geschäftsfrau jedes Mal aufs Gröbste. Denn nach Abzug aller Kosten bleibt ihr gerade so viel, dass sie ohne unerwartete Ausgaben über die Runden kommt.
Vor zehn Jahren hat sie nach einer kleinen Erbschaft das Stop & Go von dem Vorbesitzer übernommen, der das Ding, wie er es nannte, nach fünfunddreißig Jahren täglicher Arbeit krankheitshalber aufgeben musste. Für Rosi war es so etwas wie ein Neuanfang, eine Herausforderung, selbstständig auf eigenen Beinen zu stehen. Eine Herausforderung und zugleich ein Beweis sich selbst gegenüber, etwas aus eigener Kraft zu schaffen.
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