Als hätte sie ihr grundsanftes Gemüt mit den Alltagskleidern in die Sporttasche gepackt, zeigt sich Daisy nun als gebieterische Herrin über ihrem erbarmungswürdigen Knecht. Von ihrem Beruf als Krankenschwester weiß sie, wie viel Schmerz ein Mensch bereit ist zu ertragen, wenn das peinigende Gefühl Befriedigung verspricht. Sie weiß auch, dass die Intensität der Qual in einem direkten Verhältnis zur Lust steht, sodass der davon Abhängige ständig nach mehr lechzt.
Die Domina streckt dem sich kindlich Unterwerfenden die roten High Heels unter das Gesicht, damit er seiner Herrin die Füße küsst.
Ihre anfängliche Hemmung, Freiern den gewünschten Liebestorturen auszusetzen, hat sie mit den Jahren abgelegt, wie sie sich auch als Schwesternschülerin daran gewöhnte, Patienten für eine gewisse Dauer wenig mitleidvoll einer schmerzhaften Behandlung zu unterziehen. Bedenkenlos ist sie im Stande, das zu bieten, was von ihr verlangt wird, ohne auch nur im Geringsten von echten Gefühlen geleitet zu werden. Die zu einem Wimmern unterdrückten Schmerzensschreie des Mannes lassen sie an das gequälte Stöhnen der verletzten Patienten erinnern, das sie beim schmerzhaften Einrenken eines Knochenbruchs von sich gegeben haben. Unbarmherzig ist Daisy bereit, ihrem Freier die gewünschte Marter zu verpassen.
„Na, du warst wohl unartig“, droht sie dem Knecht zynisch, während sie ihn an den Fesseln zerrt. „So etwas duldet deine Herrin nicht. Du wirst dich bei mir entschuldigen“, befiehlt sie ihm, während sie die Geißeln der Gerte auf ihn niederfahren lässt.
Dem strengen Gebot folgend, bittet er umgehend und unterwürfig wie ein kleines Kind um Verzeihung. Denn was wie eine Szene eines Laientheaters aussieht, entspricht für den Freier einer ernstzunehmenden Wirklichkeit. Als würde Leben oder Tod davon abhängen, beugt er sich widerstandslos den Befehlen seiner Domina.
Für Daisy hingegen ist es schlicht ein Geschäft, das auf Angebot und Nachfrage beruht. Quasi als besonderes Offert, um auf die Veränderungen des Marktes zu reagieren, hat sie Sadomaso vor einiger Zeit in ihr Repertoire aufgenommen. Obwohl das Gewerbe gerade in den letzten Jahren starken Umbrüchen ausgesetzt ist, indem neue, sehr junge, nicht selten minderjährige Mädchen aus dem Ausland monatlich den Markt überschwemmen, kann sich Daisy nach wie vor als Alteingesessene behaupten.
Als Dagmar Weinerl alias Daisy vor einem halben Jahrzehnt mit dieser Arbeit begonnen hat, um sich aus einer drohenden Schuldenfalle zu kämpfen, konnte für Liebesdienste noch ein guter Lohn verlangt werden. Heute schuften die Mädchen zu Dumping-Preisen und müssen von der hart verdienten Kohle das meiste abliefern. Diesem Diktat wollte und will sie sich nicht unterwerfen. Für sie war und ist immer klar, dass sie nur in die eigene Tasche arbeitet.
Wie auf ein vereinbartes Zeichen hin beendet sie das Spiel der erotischen Knechtschaft. Erschöpft, aber sichtlich zufrieden verwandelt sich der unbekannte Freier zurück in den Mann von Welt. Wieder in seinen Kleidern greift er in seinem Jackett nach seiner Geldbörse, um sechs große Scheine herauszuholen, die Daisy ungezählt nimmt und in ihre Tasche steckt.
„Wenn es für dich gut war, weißt du jetzt ja, wo du mich findest“, bietet sie sich für ein nächstes Mal an.
Mit einem knappen „Okay“ öffnet der Mann die Tür und lässt Daisy in der Kammer zurück.
R osi trägt ihren gelbgestreiften Arbeitsoverall, den sie immer anhat, wenn sie sich ans Grobe macht. Sie hat ihn von dem Mineralölkonzern als Draufgabe bekommen. Dabei ist es ein für Männer zugeschnittenes Modell, weshalb er an den Hüften und am Busen so knapp sitzt, dass ihre untersetzte Figur sich wie bei einer Hummel in üppige Rundungen wölbt. Zwischen dem am Zapfhahn Stehen, Reifendruck-Messen oder Scheibenflüssigkeit-Nachfüllen muss Zeit bleiben für das Reinigen der Toiletten und der Duschen, dem Nachfüllen der Zigaretten- und Kondomautomaten, dem Nachbestellen der Waren oder um ratsuchenden Reisenden Auskünfte zu erteilen. Lediglich das Befüllen der unterirdischen Tanks mit Benzin oder Diesel geschieht ohne ihr Zutun und meist nachts.
Schon als Jugendliche hegte sie den Wunsch, Kraftfahrzeugmechanikerin zu werden. Als sie jedoch mit fünfzehn ihre Lehre anzutreten hatte, galt eine junge Frau in der Welt der Motoren als artfremde Spezies. Frauen würden von Verteilern, Zündkerzen und Ventilen keine Ahnung haben, meinten die einen, während die anderen, zu welchen auch ihre Mutter gehörte, behaupteten, mit einer Frau, die nach Wagenschmiere und Terpentin rieche, möchte kein Mann etwas zu tun haben. So hat sich Rosi schließlich davon abhalten lassen, es in einer sogenannten Männerdomäne zu versuchen.
Rosi wendet sich einem Fahrzeug mit ausländischem Kennzeichen zu, das an einer der Zapfsäulen stehen geblieben ist. Ein kurzer Blick ins Wageninnere verrät ihr sofort, wohin die Reise gehen soll. Neben den drei quengelnden Kindern ist der Wagen bis zum Dach vollgestopft mit Reisegepäck und Sandspielsachen. Ein Kunststoffkrokodil klemmt seinen grünen Plastikkopf zwischen Nackenstütze und Fensterscheibe, sodass es der entnervten Mutter im Nacken sitzt. Als die Kinder ihre Chance auf ein Eis erkennen, setzt der Terror ein. Der Vater steigt aus dem Auto aus und versucht die Sprachbarriere durch Gestikulieren mit Händen und Füßen zu überwinden. Um den kreischenden Lärm im Wageninneren zu beruhigen, hält Rosi für die kleinen Fahrgäste ein paar Süßigkeiten in der Seitentasche der Arbeitshose bereit, die ihr gierig aus der Hand gerissen werden.
Sie nimmt den Zapfhahn aus der Halterung, um den Tank zu befüllen, als sie an den Gummistiefeln etwas Glitschiges bemerkt. Ihr Blick auf den Boden lässt sie unmittelbar Schlimmes ahnen. Mit den signalgelben Stiefeln steht sie Millimeter tief in einer öligen Pfütze, deren Umriss sich unmerklich, doch stetig ausdehnt. Aus der Zapfsäule tritt beharrlich Benzin aus.
„Sam!“, schreit sie hysterisch.
„Kommt sofort!“
„Lauf und dreh den Tank zu! Säule zwei ist leck!“
Es ist nicht das erste Mal, dass aus einer der Zapfsäulen Treibstoff dringt. Die Unternehmerin hat darüber auch schon die Mineralölfirma informiert und eine umgehende Reparatur angefordert. Allerdings meinte der Kundenbetreuer, die Firma würde noch auf das Geld für das neue Reklameschild vom vergangenen Jahr warten, das überdimensional groß in Neongelb auf dem Flachdach prangt, um nach Rosis Vorstellungen weithin sichtbar auf das Stop & Go aufmerksam zu machen, weshalb sie verstehen müsse, dass es derzeit kein Entgegenkommen finanzieller Art geben könne.
Nun reißt zum wiederholten Mal die Zuleitung zu einer der Zapfsäulen und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ganz reißt und die Umweltbehörde Wind davon bekäme. Als die honiggelbe Flüssigkeit vor ihren Augen in den Ritzen und Fugen langsam im Asphalt versiegt, will Rosi nicht länger warten und sich selbst um die Sache kümmern. Rasch geht sie zur Metallluke, die im Boden eingelassen ist, und steigt in den Tankraum hinab, wo drei zylinderförmige, fünfzig Kubikmeter schwere Treibstoffreservoire träge wie dahintreibende U-Boote auf Tauchstation liegen. So als würde sie der greisen Anlage Beine machen wollen, stemmt die tatkräftige Unternehmerin ihre Arme in die Hüften. Doch die veralteten Rohre korrodieren seit Jahren unaufhaltsam vor sich hin und Blessuren aus Rost übersäen wie bösartige Karzinome die metallene Oberfläche. Jedes für sich ist ein Pulverfass, denkt sie entmutigt, das den ganzen Betrieb von einer Minute auf die andere lahmlegen kann. Eine Kontaminierung des Bodens durch Benzin oder Schweröle würde eine empfindliche Geldstrafe nach sich ziehen, was sie sich gar nicht erst ausmalen möchte. Die alten Tanks müssten längst durch neue ersetzt werden, doch die Behebung von Verschleißteilen würde zigtausend Euro kosten. Sie verschließt den Notfallsicherheitsriegel und verzichtet vorerst einmal auf Zapfsäule zwei, wissend, dass diese Maßnahme erhebliche Einbußen bedeuten würde.
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