Carlos erinnerte sich, wie er Pedro gestern noch von seinem geplanten Besuch bei der schönen Hernandoz erzählt hatte, wie er ihm erklären musste, wie und wo genau er Manuela finden konnte, und wie er deren Vorzüge lobte und Pedro scherzhaft darauf hinwies, dass er ihm doch bitte nicht in die Quere kommen sollte, zumindest nicht an diesem Abend.
Mit spitzen Fingern hob Carlos das Messer am Griff hoch und blickte sich suchend um, entschied sich für eine schmutzige Socke, die noch von gestern am Boden lag, hob sie auf und schob die blutige Klinge hinein. Auf dem Laken und dem Kissen waren kaum Spuren zu sehen. Das Blut musste längst getrocknet gewesen sein, als das Messer versteckt wurde. Doch was sollte er nun tun? Zuerst die Tatwaffe beseitigen, das war klar. Und danach Pedro suchen. Er würde zu dieser Zeit bestimmt in der Varandão da Central zu finden sein, so hoffte er wenigstens.
»Ich muss noch mal dringend weg, Mãezinha«, rief er in die Küche, als er die Wohnung verließ, »bin in einer Stunde zurück.«
»Hast du sein Telefon gefunden?«, fragte die Mutter zurück. Doch ihr Sohn war bereits aus der Türe.
Das Messer warf Carlos wenig später in einen Gully, gut hundert Meter vom Wohnhaus entfernt. Seine Fingerabdrücke auf dem Griff hatte er zuvor mit der Socke weggewischt und diesen wenig später in eine Mülltonne geworfen. Dann stand er vor dem Eingang zur Bar und blickte durch die offene Türe hinein. An diesem Abend war nicht viel los. Doch zumindest Pedro saß am Tresen und hob in diesem Moment seinen Arm, prostete sich selbst im Spiegel zu und kippte den Schnaps in seinen Mund. Carlos betrat das Lokal, fühlte Wut und Enttäuschung, steuerten seinen Bekannten direkt an, der ihm grinsend entgegenblickte. Seitdem er die Mordwaffe losgeworden war, fühlte sich Carlos wieder sicher und befreit. Sein Zorn galt nicht direkt der Ermordung seiner Lieblings-Prostituierten. Auch nicht dem Versuch von Pedro, ihn damit zu belasten, sondern einzig dem begangenen Vertrauensbruch. Gleichzeitig wollte er das Warum und Wieso dieser scheußlichen unsinnigen Tat klären. Carlos blieb drohend vor dem immer noch grinsenden Pedro stehen, der sich kurz an den Barmann wendete und »noch zwei, Felipe« bestellte. Wie alle anderen Anwesenden hatte auch Felipe den neuen Gast seit seinem Eintreten mit den Augen verfolgt. Man hatte ihm die Wut angesehen und wartete nun gespannt auf deren Ausbruch. Doch als Carlos vor dem Kerl an der Theke stehen geblieben war und ihn bloß wortlos anstarrte, zog jeder seine eigenen Schlüsse und verlor rasch an Interesse. Vielleicht ging es zwischen den beiden um Geld oder um eine homosexuelle Liebschaft oder beidem gleichzeitig? Wer kannte sich schon mit Tunten aus?
Felipe füllte rasch zwei Kurze und schob die Gläser den beiden Gästen zu. Pedro griff gleich nach dem einem, hob es zum Prosten hoch, wartete auf Carlos. Der regte sich erst nach ein paar Sekunden, nahm den Schnaps und kippte ihn wortlos in seine Kehle. Pedro zuckte gleichgültig mit den Schultern und leerte dann ebenfalls sein Glas.
»Wir müssen reden. Komm«, befahl dann jedoch Pedro und erhob sich vom Hocker, zog Carlos am Arm zu einem freien Ecktisch.
»Was soll das? Was hast du gemacht?«
Zorn, Unverständnis und Enttäuschung waren aus Carlos Stimme herauszuhören. Pedro lächelte ihn jedoch gewinnend an.
»Tut mir ehrlich leid, dass ich dir das antun muss. Doch mir sitzen ein paar Leute im Nacken. Die haben mich dazu gezwungen.«
Carlos sah seinen Bekannten ohne Verständnis an.
»Du kennst doch die Mendoza-Sippe? Die haben mich in der Klemme. Und darum haben Sie nun auch dich in ihrer Hand.«
Carlos schüttelte unwillig seinen Kopf und flüsterte: »Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst. Doch ich hab das Messer längst entsorgt.«
Pedro lächelte schief, als könnte er so um Verzeihung bitten.
»Ich hab selbstverständlich noch mehr Spuren in deinem Zimmer hinterlassen. Das Messer war nur dazu da, dich mit der Nase drauf zu stoßen. Und glaub mir. Ich hab noch weitere Beweise, die ich jederzeit bei dir in der Wohnung streuen kann, bevor ich den Bullen einen Tipp gebe.«
»Und warum haust du mich in die Pfanne?«
Carlos verstand nicht oder wollte nicht begreifen.
»Das ist doch ganz einfach. Die Mendozas wollen irgendetwas von dir. Muss etwas sehr Wichtiges sein. Und damit du es ihnen auch mit Bestimmtheit gibst, haben sie von mir verlangt, dich in diese schlimme Lage zu bringen. Tut mir für dich ehrlich leid, Kumpel, doch sie haben mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Wortwörtlich. Ich wäre längst tot, hätte ich mich geweigert…«
Pedro überließ es Carlos, sich die Einzelheiten vorzustellen.
»Du bist ein Schwein.«
Pedro lächelte erneut auf dieselbe schiefe, um Verzeihung bittenden Weise.
»Und wie geht es nun weiter?«
»Die Mendozas werden sich bei dir melden, was sonst?«
Carlos erhob sich, schüttelte immer noch fassungslos seinen Kopf, wandte sich zum Gehen.
»Noch einen«, bestellte sich Pedro ein weiteres Glas Schnaps beim Barkeeper und hockte sich wieder auf denselben Platz am Tresen. Er lächelte und schien mit sich zufrieden.
*
Sheliza wirkte müde, beinahe erschöpft, als sie nach Hause kam. Holly blickte sie forschend und voller Mitgefühl an.
»Du siehst furchtbar aus.«
Sheliza lächelte.
»Danke.«
»So mein ich das nicht, Liebes«, fügte Holly warm hinzu, »doch eine Schwangerschaft kostet nun einmal viel Kraft. Du solltest nicht jeden Tag stundenlang in die Moschee gehen, sondern an deine Gesundheit denken. Und an das Wohl deines Kindes.«
»Die Gebete tun mir gut«, reklamierte Sheliza matt, »sie erschöpfen mich nicht, im Gegenteil. Sie geben mir Kraft für meinen weiteren Weg.«
Holly wiegte leicht ihren Kopf hin und her, schien abzuwägen.
»Übernimm dich bloß nicht, Sheliza, ja?«
Die junge Muslimin nickte.
»Sicher. Mach dir keine Sorgen.«
Sie verschwand in ihrem Zimmer, würde erst dort den Niqab und den Abaya ausziehen und sich fürs Abendessen zurecht machen. Henry wollte erst in einer Stunde zurück sein. So setzte sich Holly an den Küchentisch und dachte nach, über sich und ihr jetziges Leben.
Sie war glücklich mit Henry. Er und sie harmonierten miteinander, verstanden sich mit wenigen Worten, fühlten sich wohl, wenn sie zusammen waren. Doch Holly vermisste trotzdem zusehends die früheren, aufregenden Zeiten, als sie noch als Escort arbeitete. Die Reisen und der ständige Ortswechsel hatten sie ebenso auf Trab gehalten, wie der Umgang mit den laufend wechselnden Klienten. Ihr nun so ruhiges Leben als eine Art von modernem Hausmütterchen verlor immer mehr an Reiz. Doch wie sollte sie dies Henry erklären und begreiflich machen? Er würde sich als Mann und als ihr Lebenspartner zurückgesetzt fühlen, musste annehmen, er genüge ihr nicht länger. Und das war falsch. Holly wollte doch bloß wieder etwas mehr Aufregung und Abwechslung in ihr Leben bringen, mehr Inspiration und vor allem Bewährung. Das alles hatte mit ihrer Liebe zu Henry rein gar nichts zu tun.
Alabima Lederer und deren Lebenssituation mit Jules kamen ihr in den Sinn. Auch die Äthiopierin fühlte sich mit ihrem sorgenfreien Leben an der Seite des Schweizers zunehmend in Fesseln gefangen, zu wenig ausgelastet und wie weggesperrt. Holly konnte nun besser empfinden, wie sich Alabima nach so vielen Jahren fühlen musste.
Selbstverständlich liebte Holly nicht nur Henry, sondern auch Sheliza. Und eine eigene Familie war immer wieder in ihrem Leben ein erstrebenswertes Ziel gewesen, auch wenn sie den eigenen Kinderwunsch seit langem und für immer abgelegt hatte. Aber nun lebte sie doch noch in einer Familie, aber sie war ihr nicht genug?
Wie mahnte uns Mahatma Gandhi? Das Geheimnis eines glücklichen Lebens liegt in der Entsagung . Holly würde darauf achten müssen.
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