1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Samar: „Was? Nein, hier haben die Frauen völlige Gleichberechtigung.“
In diesem Moment kam Julia hinzu, sie ist eine Deutsche und hat Kulturmanagement studiert, und sie kämpft für Gleichheit und Freiheit, und jetzt diskutierte sie mit uns.
Julia: „Nein, Entschuldigung für den Zwischenruf, aber hier haben die Frauen auch nicht ganz die Gleichberechtigung, zum Beispiel erhalten Frauen weniger Gehalt als Männer. Und wir haben unsere Gleichberechtigung erst nach dem Zweiten Weltkrieg bekommen, weil es nicht so viele Männer in Deutschland gab, ein Teil war tot, ein anderer Häftling. Wir sind die Frauen, die unser Land aufgebaut haben, um auch unsere Rechte zu bekommen. Bis jetzt gibt es Männer, die gegen unsere Rechte stehen, bis jetzt müssen wir als Frauen für unsere Rechte kämpfen. Entschuldigung noch mal, aber worüber schnackt ihr?“
ICH: „Wie bitte, was bedeutet schnacken?“
Julia: „Schnacken bedeutet diskutieren und reden, aber das ist ein besonderes Wort in Hamburg.“
ICH: „Ach so, wir reden allgemein über die deutsche Gesellschaft, ob sie tolerant und offen ist?“
Julia: „Ein interessantes Thema, was ist eure Meinung?“
ICH: „Also, ich glaube, dass es ein echtes Problem in der deutschen Gesellschaft gibt.“
Samar: „Nein, ich finde, dass die deutsche Gesellschaft offen ist, weil es hier Freiheit und Demokratie gibt.“
Julia: „Ich kann sagen, dass wir unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Meinungen haben, ganz wie ihr. Wir sind nicht ganz offen und nicht ganz verschlossen, und natürlich sind wir keine Engel, in Deutschland gibt es Rechtsextreme, Neonazis, auch Linksextreme, und es gibt auch sehr viele Menschen, die außerordentlich tolerant sind, und sie interessieren sich dafür, eine andere Kultur kennenzulernen, überall gibt es unterschiedliche Menschen, wie unter euch, nicht alle Geflüchteten sind gut, aber auch nicht alle Geflüchteten sind schlecht, ihr seid eben auch sehr unterschiedlich in euren Ansichten, dem Charakter und auch der Kultur. Es macht ein großes Problem, wenn wir eine Gruppe als eine homogene Menge beschreiben, das ist nicht richtig, wir sind als Deutsche auch so differenziert, und wir haben dieses Problem, wir schreiben und reden über alle Geflüchteten als ob sie Eins sind und alle gleich.“
ICH: „Ja natürlich, ich habe immer gesagt, wir sind nicht Dämonen und die Deutschen keine Engel, aber wir sind alle (Deutsche und Geflüchtete und Ausländer) nur Menschen, und es gibt unterschiedliche Menschen. Wir sind nicht Eins, sondern unterschiedlich. Aber wir haben nur über die Gesellschaft gesprochen, nicht über die Menschen, ob die deutsche Gesellschaft offen ist?“
Julia: „Ich habe mich das noch nie gefragt, bei uns ist das nicht so wichtig, weil der Mensch wichtig ist in Deutschland und nicht die Gesellschaft. Du und ich und sie sind wichtig als eine Person, nicht, mit welchen Merkmalen wir zu einer Gesellschaft gehören. Individualismus und Freiheit und Demokratie als Politiksystem sind alles, woran wir glauben. Es gibt große Unterschiede zwischen dem, was die deutsche Gesellschaft für uns bedeutet, und was sie für euch bedeutet. In eurer Gesellschaft dominiert die Gemeinschaft, weil die Familie sehr viel wichtiger für euch ist als die Personen.“
ICH: „Ja, genau, unsere Gesellschaft besteht aus unterschiedlichen Familien, die alle dieselbe Tradition und Meinung haben, aber hier die deutsche Gesellschaft besteht aus vielen Personen, die unterschiedliche Meinungen und auch Kultur haben.“
Julia: „Sicherlich, die Person ist bei euch nur ein Mitglied in einer Familie oder einer Sippe oder Gruppe oder einer Sekte, und die Person hat keine Freiheit um eine individuelle Entscheidung zu treffen, nicht die Person darf eine Entscheidung treffen, sondern die Gruppe oder die Familie macht das für ihn. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das in unserer Gesellschaft auch so, und es war sehr stark, und mit dem Nazismus haben wir einen großen Krieg gemacht. Danach haben wir erfahren, dass die Person wichtiger ist, und Freiheit funktioniert nicht, wenn das Gesellschaftssystem übermächtig ist, dann kämpft sie gegen unsere Freiheit. Die Religion, das Politiksystem, die Tradition stehen bis jetzt gegen unsere Freiheit, aber wir haben auch sehr viele Personen, Stiftungen, unsere Verfassung, mit denen wir für unsere Freiheit kämpfen können.“
ICH: „Die Frage ist, warum kann ich die Freiheit nicht in meinem Gesellschaftssystem haben? Warum muss ich eines wählen, Freiheit oder meine Gesellschaft?“
Julia: „Das ist eine große Frage, seit fast hundert Jahren haben wir uns gefragt, welches System ist besser für uns, das liberale System mit Individualismus oder Sozialismus mit Kapitulation vor der Gesellschaft. Aber es gibt jetzt eine Mischung zwischen zwei Systemen, das ist die Sozialdemokratie.
Vielleicht ist das eine Lösung. Man kann nicht ununterbrochen diskutieren. Und wir haben eine Gesprächspause gemacht, mit einem schönen arabischen Lied, es gab kein Streiten mehr. Und dann haben wir zusammen getanzt. Dabke, das ist ein besonderer östlicher Tanz. Jeder hält die Hand des Anderen, und wir tanzen zusammen. Das war schön, aber das ist auch wie ein Blick über unsere Gesellschaft, wir müssen alle zusammen etwas machen, nicht wie hier, fast alle können allein tanzen. Manchmal können wir eine Gesellschaft dadurch verstehen, in welcher Art sie tanzt. Nach einer Stunde kommt Ali, der ist aus dem Iran geflüchtet, weil er nach der Freiheit sucht, und er war im Iran unterdrückt.
Ali: „Na, was gibt es hier?“
Samar: „Wir feiern das Ramadanfest.“
Ali: „Was macht ihr?“
Samar: „Das Ramadanfest feiern wir.“
Ali: „Hey, warum feiert ihr hier in Deutschland?“
Samar: „Warum nicht?“
Ali: „Weil Deutschland kein islamisches Land ist.“
Samar: „Na und? Es gibt viele Muslime in Deutschland.“
Ali: „Ja, aber Muslime sind Terroristen, und sie sollten hier nicht feiern dürfen.“
Samar: „Na hör mal, du bist auch Muslim.“
Ali: „Nein, ich war Muslim, aber ich bin jetzt Atheist.“
Samar: „Warum hast du deine Religion gewechselt?“
Ali: „Weil der Islam nicht gut ist, alle Muslime sind Terroristen, und mit dem Islam gibt es keine Freiheit, es gibt nur Diktatur, Unterdrückung, Despotismus.“
Samar: „Wer hat dir das gesagt?“
Ali: „Niemand. aber ich habe das im Iran gesehen und gelebt, ich habe dort gesehen, was die islamische Regierung geschaffen hat. Mit der Religion gibt es nur Diktatur und Terror.“
Eva: „Ich bin auch Muslima.“
Ali: „Aber du bist anders, du bist offen, und du bist Deutsche.“
Eva: „Ja, trotzdem bin ich Muslima.“
Ali: „Ja, aber andere Muslime sind Terroristen.“
Samar: „Ahmad, Hussam, Mohammad, Rabea, unsere Freunde, sind auch Muslime.“
Ali: „Ja, aber sie sind anders. Und dann wieder andere Muslime sind Terroristen, mit dem Islam gibt es nur Terror und Diktatur.“
Samar: „Na ja, das ist nicht richtig, das ist falsch. Im Islam gibt es auch Liebe, Toleranz.“
Ali: „Wo sind die Liebe und Toleranz im Iran? Warum habe ich nichts davon gesehen? Warum muss man ein Muslim sein? Das war nicht meine Entscheidung, und alle müssen Muslime sein, weil die Regierung das so will.“
Samar: „Mit deiner Familie, deinen Freunden, deinen Nach-barn, mit deinen Kollegen könntest du das sehen.“
Ali: „Na ja, mit meiner Familie schon, aber man sieht die Liebe nur mit Anordnungen und Pflicht.“
Samar: „Was meinst du?“
Ali: „Meine Familie hat mir Liebe gegeben, wenn ich gemacht habe, was sie mochte, wenn sie eine Entscheidung statt meiner und für mich traf.“
Samar: „Na ja, das ist nicht richtig.“
Ali: „Zum Beispiel, wenn ich eine Frau heiraten möchte, muss ich natürlich die Meinung der Familie nehmen. Ich kann nicht machen, was ich will, ich darf nicht diese Frau heiraten, weil meine Mutter nicht zugestimmt hat, trotzdem liebe ich sie, aber ich durfte meine liebe Frau nicht heiraten, und ich musste sie vergessen, das war es, was meine Mutter mir gesagt hat.“
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