Die Familie, die Freunde und natürlich die Freundin machen sich viele Sorgen, weil sie nichts von Bahoz hören, denn er hat sein Handy bei der Schlägerei verloren und seine Gruppe hat sich auf dem Weg im Grenzgebiet verlaufen. Es ist mitten in der Nacht. Der Uhrzeiger wandert weiter und weiter, aber die Herzen der Familie, der Freunde und der Freundin schlagen viel schneller, und mit jeder Minute machen sie sich mehr und mehr Sorgen.
Endlich klingelt das Telefon, es ist Bahoz, er ruft von einem Handy aus der Gruppe an, um zu sagen, dass sie es nicht geschafft haben, und dass er sein Handy verloren hat. Dass er verwundet ist, und wie voll sein Gesicht mit Blut ist, und weitere Einzelheiten erzählt er am Telefon nicht.
Mit dem Sonnenschein finden sie den Weg nach Amude. Zwei Tage später, beim nächsten Versuch, klappt die Flucht zum Glück. Sie sind jetzt in der Türkei. Doch die Gefahr ist noch nicht zu Ende, denn Bahoz ist Kurde, und die Türkei ist nicht das ideale Land für ihn. Deswegen müssen sie so schnell wie möglich einen Weg nach Europa finden.
Die Familie freut sich trotzdem über den ersten Schritt, auch wenn sie wissen, dass er noch viel Zeit braucht, bis er in Europa ankommt. Vor allem das Mittelmeer, wo man nur zwei Möglichkeiten hat, entweder in Griechenland anzukommen oder zu ertrinken. Die jungen Männer freuen sich auch, dass ihr Freund ein Schritt weiter gekommen ist, aber sie sind ein bisschen aufgeregt, denn den gleichen Schritt müssen sie auch bald machen. Eigentlich jeder, der nicht kämpfen möchte.
Nach zwei Wochen ruft der Schlepper Ferats Vater an, um zu sagen, dass Ferat und Zana am nächsten Tag dran sind und sich vorbereiten müssen, weil sie morgen in der Türkei sein werden. Der Vater weiß nicht, ob er glücklich sein soll, weil sein Sohn weit weg vom Krieg sein wird, oder traurig, weil der Sohn auch von ihm und der ganzen Familie weit weg sein wird, und er weiß nicht, ob er seinen Sohn noch einmal wiedersieht.
Diese Gefühle hat Zanas Vater auch, nachdem er den Anruf bekommen hat. Nachdem Zana seine Sachen in seinen Rucksack gepackt hat, versucht jeder aus der Familie noch etwas darin unterzubringen. Die Mutter die selbstgebackenen Kuchen, der Vater wichtige Medikamente, die Geschwister kleine Erinnerungen. Ferats Rucksack hat fast den gleichen Inhalt.
Ferat: „Jetzt habe ich endlich alles drin, was ich auf dem Weg gebrauchen könnte.“
Der Vater: „Nein, hast du noch nicht. Jetzt kriegst du meine Lieblingsjacke, die du immer haben wolltest.“
Ferat: „Ach, wirklich? Danke, das ist nett Papa.“
Die Kleine: „Warum werdet ihr so nett zu jemandem, der weg geht? Morgen packe ich auch meine Sachen und gehe weg, damit ich auch alles bekomme, was ich schon immer haben wollte.“
Die ganze Familie lacht. Während des Lachens klingelt das Telefon. Ferat geht ran, Zana ist es.
„Hallo Ferat, was machst du? Bist du auch fertig mit dem Einpacken?“
Ferat: „Hallo Zana, ja, und du?“
Zana: „Sicher, findest du auch, dass heute ein ganz ungewöhnlicher Tag ist?“
Ferat: „Weil heute unser letzter Tag in Syrien ist?“
Zana: „Nicht nur das, außerdem wir wissen nicht, ob wir es morgen schaffen oder verprügelt werden wie Bahoz, oder ob es unser letzter Tag auf der ganzen Welt wird, weil die Türken in der letzten Zeit viele an der Grenze erschossen haben.“
Ferat: „Mach mir jetzt keine Angst.“
Zana: „Wieso Angst? Ich meinte mit dem ungewöhnlichen Tag, dass wir uns heute nicht getroffen haben und die ganze Zeit nur zu Hause waren. Das haben wir drei noch nie gemacht, oder?“ Zana lacht.
Ferat: „Also, seitdem Bahoz losgegangen ist, schon, aber wir zwei noch nie, und wer weiß vielleicht verläuft sich irgendeiner von uns während der Flucht in irgendeinem Land, dann werden wir uns vielleicht nie wieder sehen, von daher müssen wir uns jetzt daran gewöhnen.“
Zana: „Das hoffe ich nicht. Eigentlich haben wir uns nicht getroffen, damit wir unseren letzten Tag mit unseren Familien verbringen. Ich glaube, wir müssen jetzt zu ihnen. Bis Morgen.“
Ferat: „Ok, bis Morgen.“
Am nächsten Tag warten sie, bis es dunkel wird, dann tun sie ihre Rucksäcke in Mülltüten, damit auf dem Weg nach Derik, einer kurdischen Stadt an der Grenze zwischen Syrien, der Türkei und dem Irak, die Kontrollen, die vor jeder Stadt, in manchen Städten in jeder Straße, sind, nicht merken, dass sie illegal fliehen werden.
Obwohl die Traurigkeit in den Gesichtern der Familien und die Aufregung in den Gesichtern der Flüchtenden alles sagt, merken es manche Soldaten nicht. Andere machen die Augen zu, denn sie wollen selbst irgendwann fliehen, wenn sie die Gelegenheit haben. Zum Glück kommen die Freunde, ohne festgenommen zu werden, in Derik an. Dort treffen sie sich mit dem Schlepper, der verspricht, dass die Gruppe sicher in die Türkei gelangt, ohne dass sie von den Türken festgenommen oder verprügelt werden, weil er sich sehr gut auskennt.
Ferat: „Papa, Bahoz hat uns erzählt, dass sein Schlepper auch dasselbe gesagt hat, aber sie wurden trotzdem verprügelt.“
Der Vater: „Ich weiß, aber wir haben keine andere Wahl, und dieser ist der Beste, den wir gefunden haben, also habt keine Angst.“
Nach zwei Stunden ungefähr müssen sie zur Grenze, denn alles sei gut und sie könnten losfahren, laut dem Schlepper. Jetzt müssen sie sich mit vielen Tränen verabschieden und vielleicht zum letzten Mal umarmen. Ferat und Zana steigen in das Auto des Schleppers ein und fahren los.
Ein paar Kilometer hinter Derik lässt der Schlepper die beiden Jungs neben einem Graben raus und sagt: „Ihr müsst euch hier verstecken und warten, bis ich den Rest der Gruppe abhole. Ich bin gleich wieder da.“ Während der Wartezeit unterhalten sich die Jungen.
Zana: „Weißt du, was für mich sehr hart war?“
„Was denn? Sei nicht so romantisch und sag nicht, dass die Verabschiedung deiner ganzen Freundinnen so hart war. Ich bin mir sicher, sobald wir in Europa ankommen, wirst du eine Blonde kennenlernen und alle anderen vergessen“, sagt Ferat und lacht.
Zana: „Nein, kannst du mich bitte reden lassen?“
Ferat: „Ja, bitte schön.“
Zana: „Ich hatte noch nie meinen Vater weinen gesehen, aber heute, als wir uns verabschiedet haben, war es soweit.“
Ferat: „Es tut mir leid.“
Während der Unterhaltung kommt der Schlepper mit dem Rest der Gruppe. „Jetzt sind wir bereit zu laufen“, sagt der Schlepper.
Ferat: „Laufen? Wir gehen zu Fuß in die Türkei??“
Der Schlepper: „Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du kommst mit uns oder du verlierst dein Geld und gehst zurück, und zwar auch zu Fuß. Also lasst uns losgehen.“
Zana sagt ganz leise: „Ferat, mit solchen Leuten kann man nicht reden. Außerdem musst du mit solchen Situationen auf dem ganzen Weg rechnen.“
Ferat: „Ich glaube nicht, dass ich es kann.“
Zana: „Musst du aber.“
Die Gruppe besteht aus Zana, Ferat und zwei anderen Jungen, sie sind ungefähr im gleichen Alter, einem Mann und einem Mädchen. Nach ein paar Minuten fangen sie an, miteinander zu reden. Nachdem sie sich kennengelernt haben, sagt Zana zu den beiden Jungen: „Ihr müsst wahrscheinlich auch wegen des Wehrdiensts flüchten, oder?“
„Ja, genau“, antworten sie.
„Und Sie, Onkel?“, sagt Zana.
Der Mann: „Ich wurde bei ein paar Demos gefilmt, außerdem bin ich Menschenrechtler, von daher wäre es sehr gefährlich und bedrohlich für mich gewesen, wenn ich länger geblieben wäre.“
Zana: „Das kann ich gut verstehen.“
„Und Sie?“, fragt Zana das Mädchen.
Das Mädchen: „Ich bin verheiratet, aber mein Mann ist in Deutschland. Er hat leider nur Subsidiärschutz, deswegen kann er mich nicht nachholen, und ich muss jetzt irgendwie illegal nach Deutschland gehen.“
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