„Das halte ich auf gar keinen Fall aus.“
Sie nahm ihr Handy in die Hand und rief Sven an. Er meldete sich bereits nach dem zweiten Klingeln. „Hallo, Bea. Wieder sicher gelandet?“
„Hi, Sven. Ja, grad so. Bist du zuhause?“
„Nein. Ich stehe vor dem Kino und warte auf einen Freund. Warum?“
„Ich brauche dich jetzt.“
„Mensch. Das hättest du mir mal vor so ca. zwölf Jahren sagen sollen, dann wären wir jetzt verheiratet und hätten mindestens sechs Kinder.“
Bea lachte auf. „Aber nur, wenn du die bekommen hättest.“
„Für dich hätte ich auch das getan. Wie schlimm ist es denn?“
„Sehr schlimm. Schon mehr als ein Notfall.“
„Alles klar. Wir treffen uns bei mir. Ich besorge noch eine Flasche Rotwein und Pizza. Brauche ungefähr eine halbe Stunde.“
„Du bist ein Schatz.“
„Ich weiß. Bis gleich.“
Erleichtert, nicht alleine sein zu müssen, ließ Bea den Motor an und fuhr Richtung Svens Wohnung. Sie kamen gleichzeitig dort an. Bea nahm ihren Koffer aus dem Auto und folgte Sven ins Treppenhaus. Mit einem Blick auf den Koffer sagte er: „Also, mein Schatz, du willst über Nacht bleiben. Allerspätestens jetzt mache ich mir sehr sehr große Sorgen um dich.“
„Ich bin so unglücklich.“ Mit großen Augen blickte sie ihn an.
„Wirklich? Du siehst eher verwirrt als unglücklich aus.“
„Haarspalterei. Ich bin beides.“
Sven schloss die Wohnungstür auf. Sofort stürzte Lucky, Svens riesengroßer roter Kater auf die beiden zu und maunzte kläglich.
Bea beugte sich runter und kraulte ihn hinter den Ohren. „Arme Katze. Hat Sven dich wieder mal völlig vernachlässigt?!“
„Wenn der weiter solch jämmerliche Töne von sich gibt, denken das die Nachbarn auch und hetzen mir den Tierschutz auf den Hals. Dabei gibt es in ganz Frankfurt keinen einzigen Kater, der so verwöhnt wird wie Lucky. Ach, in ganz Deutschland gibt es den nicht.“
Sven ging in die Küche, holte Gläser und Besteck und ging dann zu Bea, die mittlerweile im Wohnzimmer auf der Couch saß. Lucky lag neben ihr und ließ sich genüsslich kraulen.
„So, Kleine. Dann erzähl mal. Hast du Patrick angerufen?“ fragte er sie, während er den Wein eingoss und die Pizza verteilte.
Bea nickte: „Er hat seiner Freundin von unserem Flug erzählt. Und er wollte mit mir und ihr abends essen gehen.“
„Na, das ehrt ihn doch. Immerhin scheint er ein ehrlicher Mensch zu sein.“
„Klasse. Und mir wollte er zumuten, einen Abend mit ihm und Melanie zu verbringen. Das ich mich dabei unwohl fühlen könnte, ist ihm wohl gar nicht erst in den Sinn gekommen.“
„Tut mir leid, dir das jetzt sagen zu müssen, aber bist du schon mal auf den Gedanken gekommen, dass er einfach nur nett zu dir sein wollte?“
„Du solltest erst mal den Rest der Story abwarten.“
„Es geht noch weiter?“ Neugierig blickte Sven sie an. „Ich denke, du bist nicht mit den beiden essen gegangen?“
„Nein, bin ich nicht. Aber ich hatte ja noch den Vormittag in Chicago.“
„Sag bloß, ihr habt euch tatsächlich noch mal getroffen.“ Sven angelte nach einer Serviette und wischte sich die Tomatensauce vom Mund.
Wieder nickte Bea und erzählte ihm von der Stadtführung. Sie verschwieg ihm auch nicht die Andeutung, die Patrick im Sears Tower gemacht hatte und auch nicht den Abschied.
Nachdem sie geendet hatte, blickte Sven sie an. „OK, das klingt wirklich nicht nach einfach nur nett sein.“
„Aber was genau soll ich jetzt davon halten?“ Verzweifelt schlug sie mit ihrer Hand aufs Sofa, was Lucky mit einem wütenden Fauchen kommentierte.
„Schwere Frage.“ Sven verscheuchte Lucky mit einer raschen Handbewegung. „Wie ich schon sagte, scheint er ein ehrlicher Mensch zu sein. Und wenn wir das mal voraussetzen, dann hat er nicht gelogen, als er sagte, dass er dich faszinierend findet. Es kann im Leben durchaus mal vorkommen, dass man, trotz dem man eine Beziehung hat, einen anderen Menschen anziehend findet. Und manchmal kommt es auch vor, dass man die bestehende Beziehung löst und sich auf eine neue einlässt.“
„Ach, Sven. Ich würde dir so gerne glauben.“ Bea schaute ihn mit Tränen in den Augen an.
„Mensch, Bea. Dich hat es ja wirklich erwischt.“ Er nahm sie in den Arm. „Ab heute glaube ich an Liebe auf den ersten Blick. Wenn sogar eine so vernünftige und pragmatisch denkende Person wie du wegen eines Mannes, den du zweimal in deinem Leben gesehen hast, so völlig aus dem Häuschen ist, dann muss da was dran sein.“
Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, sagte Sven zu ihr: „Gehen wir das ganze mal ganz nüchtern an. Er hat sich deine Telefonnummer geben lassen. Also wird er auch vorhaben, dich anzurufen. Und darauf musst du jetzt wohl oder übel erst mal warten.“
„Ich weiß. Aber was, wenn er nicht anruft? Und was, wenn er anruft? Was, wenn er genau jetzt anruft und ich bei dir bin? Dann erreicht er mich ja gar nicht!“ rief sie entsetzt aus.
„Du verwirrst mich. Soll er nun anrufen oder nicht?“
„Ich weiß auch nicht genau.“ Bea fing schon wieder an zu weinen.
„Ich glaube, ich hole jetzt erst mal etwas Kräftigeres her. Rotwein alleine scheint nicht mehr zu reichen.“
Als die zwei dann um vier Uhr morgens ins Bett wankten, war Bea zwar kein bisschen schlauer als am Abend zuvor, aber sie fühlte sich besser. Reden half manchmal doch.
Das gute Gefühl war allerdings am nächsten Morgen wie weggeblasen.
„Oh Gott, Sven. Was war das denn für ein Schnaps? Ich habe so einen Kater das nicht mal Kopfschmerztabletten helfen werden. Und irgendwie habe ich das Gefühl als hätte ich eine Wolldecke im Mund.“
„Dann bin ich ja erleichtert, dass es dir auch nicht besser geht. Allerdings kann ich dir wenigstens die Schuld daran geben. Möchtest du Brötchen zum Frühstück?“
Bea gab Würggeräusche von sich.
„Aber Kaffee nimmst du doch?“
„Ungefähr fünf Liter hätte ich gerne.“
„Gut. Ich koche Kaffee und du fütterst Lucky.“
Bea zeigte ihm einen Vogel. „Von wegen. Oder glaubst du ich bücke mich freiwillig, um an sein Schälchen zu kommen? Ich koche Kaffee und du kümmerst dich um deinen verfressenen Kater.“
Sven murmelte irgendetwas vor sich hin, das sie nicht verstand und holte das Katzenfutter raus.
„Ich muss ihm dringend beibringen, sich selber zu füttern.“
„Hast du Aspirin im Haus?“ fragte Bea.
„Ich glaube nicht“, antwortete Sven, während er sich mühevoll nach Luckys Schälchen bückte.
Bea ging aufs Telefon zu.
„Wen willst du denn jetzt anrufen?“
„Den Notarzt, damit der mit Aspirin vorbeikommt.“
„Nicht, schon gut. Ich habe noch welches. Es liegt nur ganz unten im Schrank.“
„Sven! Wo ist denn da die Logik ein Kopfschmerzmittel ganz unten im Schrank aufzubewahren, wenn man sich bei Kopfschmerzen nicht bücken kann?“
Sven sparte sich einen Kommentar und holte die Tabletten hervor, während Bea Kaffee kochte.
Ungefähr eine Stunde später ging es den beiden zumindest etwas besser.
„Meinst du, du bist schon in der Lage die Wohnung zu verlassen und mit mir was essen zu gehen?“ fragte Sven.
„Ich denke schon. Die Tabletten haben anscheinend doch ein wenig geholfen.“
„Gut. Da es bereits 15 Uhr ist, bleibt nur die Pizzeria an der Ecke. Die hat durchgehend geöffnet.“
Bea nickte.
Gegen Abend, als Bea fahren wollte, bedankte sie sich noch mal bei Sven, dass er für sie dagewesen war, obwohl er doch eigentlich ins Kino hatte gehen wollen. Sven, der bei Bea immer auf alles gefasst war, winkte ab. Bis auf die Kopfschmerzen hatte er die zwei Tage genossen, auch wenn ihm Beas Kummer sehr leid tat.
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