„Sie sollen mich nicht nur dumm angrinsen, sondern mir sagen, wo ich mein Handgepäck hin räumen kann, wenn das Fach über meinem Platz schon voll ist.“
Anscheinend hatte die Dame sie schon ein paar Mal angesprochen. Bea riss sich zusammen und antwortete: „Entschuldigung. Ich habe nur nachgedacht, wo wir noch Platz haben könnten.“
Klasse, Bea, das war die beknackteste Ausrede, die dir einfallen konnte. Und absolut durchschaubar. Nach einem kurzen Blick auf ihren Traummann sah sie, dass er schmunzelte. Und er hat es auch bemerkt, dachte sie. Ärgerlich über sich selber, wuchtete Bea das reichlich schwere Handgepäck der Dame in ein freies Fach.
„Das ist viel zu weit weg von meinem Platz“, beschwerte sie sich sofort. „Ich muss da oft dran.“
„Tut mir leid. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht“, entgegnete Bea liebenswürdig. Solche Passagiere liebte sie. Hätte sie es doch einfach als Gepäck aufgegeben und nur eine kleine Tasche als Handgepäck gepackt, hätte sie auch keine Probleme gehabt.
„Und wenn ich es unter meinen Vordersitz schiebe?“
War ja klar, dass so ein Vorschlag noch kommen musste. Mit unendlicher Geduld erklärte Bea: „Dafür ist es leider zu groß. Das ist nicht erlaubt.“
„Also da kann es jedenfalls nicht bleiben.“ Resolut verschränkte die Frau ihre Arme vor der Brust und blickte sie stur an.
„Gut“, gab Bea nach. „Ich komme mit zu ihrem Platz und sehe, ob wir etwas umräumen können.“
„Warten Sie“, sagte Beas Traummann, als sie das Gepäck wieder herunter heben wollte. „Ich helfe ihnen. Das ist bestimmt nicht leicht.“
Und ehe Bea es verhindern konnte, stand er auf und griff nach dem kleinen Koffer. Da es in einem Flugzeug recht eng ist, stand er sehr nah bei ihr. Bea nahm den leichten Duft von Rasierwasser wahr; irgendetwas Zitroniges. Ihr Herz fing wie wild an zu klopfen.
„Bitteschön“, sagte er mit diesem umwerfenden Lächeln.
„Äh-danke“, entgegnete Bea und nahm ihm schnell die Tasche ab. Nicht, dass er noch auf die Idee kam, diese zum Platz der Dame zu bringen. Bea war nämlich recht dankbar dafür einen Moment verschwinden zu können. Sie musste dringend durchatmen und ihre völlig verrücktspielenden Gefühle unter Kontrolle bekommen. Nachdem sie das Handgepäck der Dame direkt über ihrem Platz verstaut hatte, ging sie erst mal in die Küche.
„Hey, was willst du denn hier? Wer bewacht denn jetzt deine Tür?“ fragte ihre Kollegin gespielt streng.
„Leider komme ich im Moment nicht zu meiner Tür, da mir viel zu viele entgegen kommen.“
„Na gut, kann ich gelten lassen. Die Passagiere sind heute mal wieder fürchterlich gelaunt. Na ja, wäre ich wahrscheinlich auch, wenn ich nach Chicago müsste. Dort ist es saukalt. Die haben tatsächlich minus 18 Grad im Moment.“
„Danke, dass du mich daran erinnerst. Ich friere schon bei dem Gedanken daran. Wenigstens sind wir nur 24 Stunden dort. Und ich werde das Hotel auf gar keinen Fall verlassen.“
Die nächste halbe Stunde waren die Flugbegleiter damit beschäftigt, alles für den Start vorzubereiten und in der Kabine zu überprüfen, ob die Passagiere auch ordnungsgemäß angeschnallt waren. Nachdem der Check durchgeführt worden war, trafen sich alle in der Bordküche, auch Galley genannt.
„Das kann ja ein netter Flug werden. Gott sei Dank beträgt die Flugzeit nur acht Stunden.“
„Du musst dich grade beschweren. Auf deiner Seite sitzen doch kaum Leute.“
„Aber die paar, die dort sitzen, sind fast alle schlecht gelaunt. Manchmal fällt es einem wirklich schwer zu lächeln.“
„So, ihr Lieben“, kam der Purser in die Galley, „auf die Plätze. Es geht gleich los.“
In dem Moment wurde Bea bewusst, dass sie sowohl beim Start als auch bei der Landung dem Traummann genau gegenüber saß. Das kann ja heiter werden, dachte sie und machte sich auf den Weg zu ihrem Sitz.
Vor dem Start musste ein Flugbegleiter in Gedanken noch einmal alle Eventualitäten, die passieren könnten, durchgehen, damit man im Falle eines Falles vorbereitet ist. Bea versuchte verzweifelt sich auf ihren sogenannten thirty-second-review zu konzentrieren. Allerdings gelang ihr das nicht. Angestrengt starrte sie aus dem kleinen Fenster. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass er sie beobachtete.
„Da wir ja jetzt mindestens acht Stunden nebeneinander sitzen, sollten wir uns vielleicht vorstellen. Mein Name ist Hans“, hörte Bea seinen Sitznachbarn zu ihm sagen.
„Hallo, Hans. Ich heiße Patrick.“
Die beiden reichten sich die Hand.
„Und Patrick, was führt dich nach Chicago?“
Jetzt war es endgültig aus mit Beas Konzentration. Sie spitzte die Ohren.
„Ich lebe dort. Ich war geschäftlich in Frankfurt.“
„Dann fliegst du diese Strecke wohl recht häufig?“
„Kann man sagen. Ich bin sehr viel unterwegs. Meistens allerdings in Südamerika.“
Sein Sitznachbar fing daraufhin an über sein Geschäft zu reden. Bea hörte nicht mehr hin. Patrick hieß er also. Und anscheinend war er nicht so häufig in Frankfurt. Er würde jedenfalls kaum über Deutschland fliegen, wenn er nach Südamerika musste. Allerdings war das nicht so schlimm. Schließlich hatte Bea die Möglichkeit ebenfalls nach Südamerika zu fliegen und sich dort mit ihm zu treffen. Stopp, dachte sie entsetzt. Was überlegst du denn da? Das geht jetzt wohl doch ein wenig zu weit.
Mittlerweile waren sie in der Luft und Bea wartete auf das Ausgehen der Anschnallzeichen, damit sie aufstehen konnte, um in der Galley ihren Aperitif-Wagen aufzubauen.
„Wie ist denn das Wetter in Chicago?“, hörte sie eine dunkle Stimme fragen.
Bea schaute hoch. Patrick lächelte sie erwartungsvoll an.
„Minus 18 Grad“, antwortete sie einsilbig.
„Oh je, da wäre ich doch wohl lieber in Frankfurt geblieben. Da hatten wir nur minus fünf Grad. Fliegen Sie gleich wieder zurück?“
„Nein.“ Wieder nur ein Wort.
„Wie lange bleiben Sie denn dort?“
„Vierundzwanzig Stunden.“
„Mache ich Sie irgendwie nervös? Sie sind ziemlich kurz angebunden.“ An der Art, wie Patrick sie ansah, mit diesem spöttischen und doch gleichzeitig lieben Blick, merkte sie, dass die Zweideutigkeit der Frage durchaus gewollt war. Und endlich fand sie zu ihrem alten Selbst zurück.
Sie schenkte ihm ein strahlenden Lächeln und antwortete: „ Ich kann mir weitaus schlimmere Arten vorstellen, abgelenkt zu werden, als von einem interessanten Mann gefragt zu werden, wie lange man in Chicago ist.“
Er sah sie einen Moment verdutzt an und fing dann an zu lachen. „Das geschieht mir jetzt wohl recht“, entgegnete er als er sich wieder beruhigt hatte.
„Ich schätze schon.“ Auch Bea lächelte.
„Normalerweise würde ich jetzt aufstehen und Ihnen die Hand reichen, um mich vorzustellen. Allerdings sagen die Zeichen, dass ich das nicht darf. Dann muss es eben einfach so gehen. Mein Name ist Patrick.“
„Mein Name ist Beatrix.“
„Freut mich, dich kennen zu lernen.“
„Ganz meinerseits.“
„Warst du schon oft in Chicago?“
„Nein. Ein oder zweimal. Und jedes Mal war es zu kalt, um das Hotel zu verlassen. Wie wohl auch dieses Mal.“
„ Das ist wirklich sehr schade. Es ist eine wunderschöne Stadt.“
„In 24 Stunden kann man wahrscheinlich sowieso nicht sehr viel von der Stadt sehen.“
„Leider nicht. Aber die Highlights auf alle Fälle.“
In diesem Moment gingen die Anschnallzeichen aus. Bea wollte eben ihren Gurt lösen, als eine ziemlich hübsche Blondine sich so vor sie stellte, dass sie unmöglich aufstehen konnte. Im ersten Moment dachte Bea, dass die blonde Frau wohl mal ziemlich dringend auf die Toilette musste, wenn sie so angeflitzt kam. Doch im nächsten Moment hörte sie, wie sie Patrick ansprach, dass sie auch noch nie in Chicago war und eben das Gespräch mit der Stewardess mit angehört hätte und so erfahren habe, dass er sich in Chicago wohl auskennen würde. Ob er ihr sagen könnte, was man sich denn unbedingt in dieser wunderschönen Stadt angucken sollte. Sie wäre eine ganze Woche dort.
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