„Hey, ich habe die Idee mit dem Schneeball doch noch gar nicht laut geäußert.“
„Lass die Kleine schlafen. Setz dich einfach zu mir und gib mir den Kaffee rüber!“
„Auch noch arbeiten. Ich habe doch schon die Brötchen geholt“, entgegnete Bea, während sie nach der Kaffeekanne griff.
„Los, einschenken, Sklave!“ Susanne streckte ihr den Becher hin.
„Und ich habe mich auf meine freien Tage gefreut.“ Seufzend ergab sich Bea ihrem Schicksal und schenkte den Becher voll.
„Apropos“, sagte Susanne, während sie nach einem Brötchen griff, „wohin fliegst du eigentlich als nächstes?“
„Weiß ich noch nicht. Ich habe Rufbereitschaft. Aber ich hoffe auf Sonne, Strand und Cocktails. Und ein paar hübsche Männer wären auch nicht schlecht.“
„Du kannst ja meine Tour nach Südafrika haben. Ich bin irgendwie dauernd in Johannesburg und Kapstadt. Sonne, Strand und Cocktails sind garantiert. Die Männer kann ich dir nicht wirklich garantieren.“
„Beschwerst du dich etwa? Die haben wenigstens noch Sommer. Und du hast vier freie Tage dort.“
„Ja, aber mal woanders hin wäre nicht schlecht.“
„Das Gespräch von zwei Stewardessen, entschuldigt, Flugbegleiterinnen zu belauschen, ist nicht sehr prickelnd für eine arme Studentin, die nicht mal aus der Stadt rauskommt“, hörten sie Tanjas Stimme von der Tür her. Sie lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen und zog einen Schmollmund. „Ich gehe lieber duschen. Hoffe, ihr seid mir eurem Gejammer fertig, wenn ich wiederkomme.“
„Guten Morgen, Tanja“, rief Bea ihr hinterher. „Man lauscht ja auch nicht an Türen.“
Sie drehte sich um und streckte den beiden die Zunge raus.
„Wo ist meine Handtasche?“, fragte Susanne verzweifelt und hob zum x-ten Mal dasselbe Sofakissen hoch. „Keiner verlässt die Wohnung bis ich sie gefunden habe.“
„Susi, du machst mich noch ganz verrückt mit deiner Hektik. Deine Handtasche steht in der Küche, wo du sie selber vor einer halben Stunde hingestellt hast, weil du noch irgendwas aus der Küche dort hinein tun wolltest“, entgegnete Bea nun sichtlich genervt und versuchte sich auf ihr Buch zu konzentrieren.
„Ich komme noch zu spät zum Briefing. Und dann kriege ich Ärger.“
Bea verdrehte die Augen. Das war typisch Susanne. Laut sagte sie: „Du bist immer auf den letzten Drücker. Wahrscheinlich wissen das schon längst alle Kapitäne. Die richten ihre Flugbesprechung zeitlich bestimmt schon nach dir.“
„Ha ha, sehr witzig.“
„Das traurige ist, das Bea das bestimmt nicht als Witz meinte“, mischte sich nun auch noch Tanja ein. „Würde mich nicht wundern, wenn in den Notizzetteln der Piloten steht: Achtung, Besprechungsbeginn, wenn sie Susannes roten Fiat in die Parkgarage fahren sehen.“
„Tanja, das war’s. Du hast dir soeben deine Chancen auf das Straußenfilet, das ich dir aus Südafrika mitbringen wollte, verspielt.“ Susi warf Tanja einen finsteren Blick zu, während sie in die Küche ging.
„Ich bringe dir eins mit, wenn ich das nächste Mal hinfliege“, warf Bea lachend ein.
„Haltet nur zusammen“, rief Susanne aus der Küche. „Besser du verlässt dich nicht drauf, Tanja. Unsere Bea fliegt immer nur in die kalten Gegenden. Aber vielleicht kann sie dir ja Kaviar aus Moskau mitbringen.“
Bea schmiss mit ihrem Kissen nach Susanne, die in dem Moment aus der Küchentür trat. Das Klingeln des Telefons verhinderte Schlimmeres.
„Das ist bestimmt der Einsatz, der nachfragt, ob Susanne heute noch erscheint!“, sagte Bea boshaft.
„Großer Gott.“ Susanne warf einen Blick auf die Uhr im Wohnzimmer. „Ich habe wirklich nicht mehr viel Zeit.“
In aller Eile zog sie sich ihren Mantel an, schnappte sich den Koffer und stand schon an der Wohnungstür als sie Bea schimpfen hörte.
„Mist! Das ist echt ein Fluch, der auf mir liegt.“ Bea schmiss ärgerlich den Hörer auf die Gabel.
„Was?“ fragte Susanne schon im Gehen.
„Chicago. Übermorgen. Morgens um 6 muss ich am Flughafen sein. Minus 20 Grad haben die da im Moment.“
„Dir ist schon klar, dass ich mir jetzt ein Geschieht dir recht nicht verkneifen kann.“
„Hau endlich ab! Und denk an das Filet!“
„Bis Sonntag. Und dir viel Spaß in der Kälte.“
Eh Bea ihr das zweite Kissen an den Kopf werfen konnte, schloss Susanne die Tür hinter sich.
Zwei Tage später fand sich eine ziemlich mürrische Beatrix auf dem Flughafen ein. Zu allem Überfluss hatte sie den Wecker morgens nicht gehört und verschlafen. Leider schaffte sie es nicht mehr pünktlich zu der Vorbesprechung. Bei dieser Besprechung wurden die einzelnen Positionen im Flugzeug den jeweiligen Stewardessen zugeteilt. Die Dienstälteste durfte sich die erste Position aussuchen, dann die zweitälteste und so weiter. Natürlich waren die Dienstältesten immer in der First Class vertreten, da man dort meist die angenehmeren Passagiere hatte. Trotz ihrer dreijährigen Zugehörigkeit, musste Bea die Position im Flugzeug nehmen, die ihr zugeteilt wurde. Das bedeutete, dass sie an der sogenannten Dreiertür stand. Dort saß man den Passagieren bei Start und Landung quasi direkt gegenüber, während an anderen Türen meist noch Wände dazwischen waren. Man war ihnen sozusagen vollkommen ausgeliefert. Wenn man Glück hatte, waren die zwei gegenüber Morgenmuffel und ließen einen in Ruhe. Wenn man Pech hatte, waren sie genau das nicht und laberten einen so dicht, dass man sich nicht in Ruhe auf den Start konzentrieren konnte. Man konnte den Passagieren allerdings auch schlecht sagen, dass sie einfach mal die Klappe halten sollen. Obwohl Bea schon etliche Male kurz davor gewesen war.
Außerdem war die Dreiertür ein Platz, an dem man anscheinend irgendwie unsichtbar wurde. Die einsteigenden Gäste ignorierten einen selbst dann, wenn man freundlich lächelte und ihnen einen guten Morgen wünschte. Und man bekam ständig Mäntel und Jacken um die Ohren gehauen, wenn die Leute sich nach ihren Angehörigen umdrehten, um zu schauen, ob diese ihnen auch folgten. Bea hatte die Theorie, dass keiner damit rechnete, dass eine Flugbegleiterin auch in der Kabine stehen konnte und nicht nur direkt an der Eingangstür oder im Bereich der Bordküche.
Trotz der Tatsache, dass Bea schon mehrere Mäntel ins Gesicht bekommen hatte und niemand ihr Guten Morgen erwiderte, versuchte sie tapfer weiter zu lächeln. Als ein jüngerer Mann ihr seinen Trolley gegen das Schienbein schlug, weil er sich nach seiner Freundin umdrehte, reichte es ihr allerdings.
„Aua. Ein bisschen Rücksicht ist ja wohl nicht zu viel verlangt. Auch nicht morgens um 8.“
Der Mann ignorierte sie einfach und ging weiter.
„Ich werde schon rausfinden, wo du sitzt und dann gnade dir Gott“, murmelte Bea in sich hinein, während sie ihr schmerzendes Schienbein rieb. Als sie wieder hochschaute, um die Gäste weiter zu begrüßen, blieb ihr das Guten Morgen im Hals stecken. Noch etwa sieben Passagiere von ihr entfernt, erblickte sie einen jungen Mann, der ihr nicht nur auffiel, weil er fast zwei Meter groß war, sondern weil er tatsächlich in ihre Richtung lächelte. Je näher er kam, desto nervöser wurde Bea. Als er kurz vor ihr war, sagte er: „Ich wünsche Ihnen einen Guten Morgen. Und ich verspreche, dass ich meinen Trolley nicht gegen Ihr Schienbein schlagen werde.“
Bea lächelte ihn einfach an.
„Lassen Sie mich vorbei? Ich habe den Platz vor dem Sie stehen“, fragte er höflich.
Immer noch lächelnd trat Bea einen Schritt zur Seite. Es wunderte sie, dass ihre Beine ihr nicht den Dienst versagten. Dieser Mann hatte eine Wirkung auf sie, die sie so noch nie erlebt hatte. Seine Augen waren von einem satten Grün, das Bea an eine Wiese im Sommer erinnerte, kurz bevor es anfing zu regnen. Sein Lächeln würde jeden Hollywoodstar in den Schatten stellen. Trotz seiner Größe hatte er eine sportlich, schlanke Figur, an der auch nicht ein Gramm Fett zu viel war. Die kurzgeschnittenen dunklen Haare waren noch nass, so als käme er direkt aus der Dusche. Wenn sie allerdings nicht bald ihre Sprache wiederfand, würde er sie noch für völlig bescheuert halten. Bea beschloss, sich einfach auf die hereinkommenden Passagiere zu konzentrieren und ihn erst mal zu ignorieren, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Leider war sie sich seiner Nähe ziemlich deutlich bewusst. Auch merkte sie, dass er sie unverhohlen von seinem Platz aus beobachtete. Und ihr wurde auch bewusst, dass sie die Frau vor ihr ziemlich dusselig anlächelte und diese langsam böse wurde.
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