1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 »Hast du?«
»Nein!«
Ich grinste, Schuller grinste zurück. »Na dann ist doch alles klar«, sagte ich und streckte ihm meine Hand entgegen. »Willkommen im Team, die Soko Menschhandel erwartet dich schon sehnsüchtig.«
»Jaja, ich kann es kaum erwarten, mich zum Affen zu machen.« Schuller rollte unbehaglich mit den Schultern. »Was bin ich denn jetzt? Geheimagent oder Bulle?«
»Streng genommen bist du ein Agent. Der BND gehört laut den Statuten zu den Geheimdiensten. Meine Gratulation, Peter, du bist ab heute ein Mitarbeiter der legendären Drei«, sagte ich mit feierlicher Mine, konnte mir ein Grinsen jedoch nicht ganz verkneifen.
»Toll, ich kann es kaum noch erwarten. Wann geht’s los?«
»Am besten gleich. Ich mache dich noch kurz mit dem Team bekannt und zeige dir, wo sich unsere neuen Büroräume befinden. Im Anschluss daran kannst du dann nach Berlin fahren und deine Angelegenheiten regeln. Du hast zwei Tage, mehr Zeit kann ich dir leider nicht zugestehen. Kriegst du das hin?«
»Würde es was ändern, wenn ich Nein sage?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Peter, ich brauche dich hier. Das Team arbeitet seit knapp zweieinhalb Wochen an dem Fall. Es sind eine Menge Daten aufgelaufen, die abgearbeitet werden müssen. Du weißt selbst, wie schwierig es wird, wenn man erst mal ins Hintertreffen gerät.«
Schuller nickte, sagte jedoch nichts. Ich sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, wie er versuchte, sich auf die neue Situation einzustellen. Er hielt meinen Blick stand.
»Sag mir eins, Mark, was ist dein Antrieb? Sinnst du auf Rache oder nach Gerechtigkeit?«
Ich schürzte die Lippen. Peters Frage hatte mich überrascht; er hatte mich kalt erwischt. Seine grünen Augen taxierten die meinen, ich fühlte mich ertappt; ich kam mir vor, als säße ich vor einem Tribunal.
Abzuwiegeln war zwecklos, Lügen auch. Wir lagen auf derselben Wellenlänge, Peter würde die kleinste Unaufrichtigkeit sofort durchschauen.
»Beides …« Ich presste das Wort hervor, als müsste ich die Buchstaben durch ein Sieb quetschen.
Schullers Augen fixierten mich. Er suchte nach einer Wahrheit, die ich selbst nicht kannte.
»Okay, Mark, damit kann ich leben. Vorerst jedenfalls.« Peters Blick verlor an Härte, blieb aber dennoch wachsam.
»Weißt du, mein Opa hat immer gesagt, dass man die Vergangenheit hinter sich zurücklassen muss, bevor man einen Neuanfang wagen kann. Ich kenne deine Vorgeschichte, Mark, denk einfach mal über die Worte meines Opas nach.«
Ich nickte, jedes Wort von mir wäre eines zu viel gewesen.
Rache … ging es mir wirklich nur um Rache? Ich glaubte nicht. Sicher, ich wollte Julias Mörder zur Strecke bringen. Ich wollte Genugtuung und die Hintermänner bestrafen, die Julias Tod billigend in Kauf genommen hatten. Jede Faser meines Körpers pochte auf Gerechtigkeit, ich verlangte nach dem Zoll für das, was ich erlitten hatte.
Verständlich oder? Ich denke, so hätte jeder empfunden, der in meiner Lage gewesen wäre. Dennoch gingen mir Peters mahnende Worte nicht mehr aus dem Kopf. In ihnen steckte mehr Wahrheit, als ich auf den ersten Blick wahrhaben wollte.
Ich schob meinen Stuhl zurück und stand auf. Mein rechtes Knie schmerzte. Mein Ellbogen und der Nacken fühlten sich aber wieder ganz okay an.
Ich war müde und sehnte mich nach ein paar Stunden Schlaf. Doch daran war im Moment nicht zu denken. Es wurde höchste Zeit, dass ich mir einen Überblick über das verschaffte, was meine neuen Kollegen in den vergangenen zweieinhalb Wochen an Fakten zusammengetragen hatten.
*
»Das liegt durchaus im Bereich des Machbaren«, sagte der Pilot, während er in den Rückspiegel äugte und nach Verfolgern Ausschau hielt. Nichts zu sehen; er hatte nichts anderes erwartet.
»Ja, das bekomme ich hin.« Er setzte den Blinker, um einen Traktor zu überholen. Der Blödmann fuhr ohne Licht. Scheiß Bauer!
»Möchten Sie, dass ich ein paar Tage warte oder soll ich Feller auf der Prioritätenliste ganz nach oben setzen?«, fragte er, den Blick stur auf die schmale Landstraße gerichtet. Gleich kam die scharfe S-Kurve, dahinter tummelten sich oft viele Rehe. Warum auch immer?
Vierhundert Meter weiter zweigte die Straße zum alten Forsthaus ab, das er vor gut fünf Jahren über einen Mittelsmann ersteigert hatte.
Die elektronisch verzerrte Stimme in seinem Kopfhörer schien für einen Moment über die Frage nachzudenken. Kein Problem, er hatte Zeit. Viel Zeit!
Der Pilot schaute erneut in die Rückspiegel. Linker Außenspiegel, Innenspiegel, rechter Außenspiegel. Alles klar, kein anderes Fahrzeug weit und breit. Das war gut!
Er freute sich auf sein Zuhause. Das einsam gelegene Forsthaus entsprach genau dem Ideal, das er vom Wohnen hatte. Hier fand er zur Ruhe, hier konnte er nach einem stressigen Auftrag, der Hektik den Rücken kehren und an den Drohnen – sie waren sein Leben – herumschrauben.
Am anderen Ende der Leitung erwachte die elektronische Stimme wieder zum Leben. Sie forderte ihn auf, er solle zuerst Mark Feller ausschalten. Der Staatssekretär sollte dann im zweiten Schritt folgen.
Er nahm es emotionslos hin, sein Job hatte viele Facetten. Für ihn spielte es keine Rolle, wen er mit seinen Drohnen umbrachte. Er tötete schließlich nicht aus Lust oder weil er eine perfide Genugtuung dabei empfand. Nein, so war das nicht! Er tötete nur dann, wenn er von einem Auftraggeber die Weisung dazu erhielt. Gefühle waren da fehl am Platz und über das Warum und das Wieso zerbrach er sich schon seit langer Zeit nicht mehr den Kopf.
»Geht klar«, sagte der Drohnenkiller und versprach seinem Auftraggeber, sich umgehend mit Mark Feller zu befassen. Er war erleichtert, bedeutete der neue Auftrag doch, dass ihm sein missglückter Anschlag nachgesehen wurde.
Für den Moment jedenfalls .
Bei einem neuerlichen Versagen konnte die Sache schon ganz anders aussehen. Fressen und gefressen werden … Er schwamm als Hecht in einem Haifischbecken, dessen war er sich durchaus bewusst.
Doch seine Art zu töten war etwas ganz Besonderes. Das verschaffte ihm eine gewisse Souveränität – er war ein Star, zumindest in der Killerszene.
Für den Moment war also alles im Lot. Er würde seinen Fokus auf Feller legen und alles über den Kerl herausfinden, was für den Job vonnöten war. Sobald er Feller ausgeschaltet hatte, konnte er sich wieder mit dem Staatssekretär befassen und seinen ursprünglichen Auftrag, mit ein wenig zeitlichem Verzug, endlich zum Abschluss bringen.
Tag 2
Der Strahl der Taschenlampe wanderte mit unerbittlicher Helligkeit auf sie zu. Tahire kniff ihre Augen noch ein wenig fester zusammen; sie zwang sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Als ob sie schliefe. Als ob sie sich in ihr Schicksal gefügt hätte.
Reiß dich zusammen! Du darfst dem Kerl nicht auffallen.
Ein Schauer kroch über ihren Rücken, als sie daran dachte, was der Wächter vor ein paar Minuten mit der armen Oleay angestellt hatte. Ihr leises Wimmern … sie hörte es noch immer. Dieser Unmensch, dieser Barbar, hatte Oleay aus dem Nachbarverschlag gezerrt und brutal vergewaltigt. Einfach so, nur weil sie ihm gefallen hatte. Es war mit Abstand das Grausamste, das Tahire in den letzten Monaten gesehen hatte. Arme Oleay …
Jetzt! Das gleißende Licht verharrte für ein paar Atemzüge auf ihrem Gesicht. Genau wie bei Oleay – sie hatte das von ihrer Pritsche aus beobachtet. Tahire lag ganz still. Sie ignorierte ihre Angst, ignorierte ihren Hass und sie ignorierte die blendende Helligkeit, die trotz ihrer geschlossenen Lider bis zu ihren Sehnerven vordrang. Lange würde sie das allerdings nicht durchstehen. Sie spürte Tränen aufsteigen.
Nach einer Ewigkeit – es kam ihr vor, als wäre ein ganzer Tag verstrichen – wanderte der Lichtstrahl endlich weiter. Tahire atmete erleichtert auf, öffnete die Augen und sah, wie der Lichtkegel nun eine andere Frau erfasste, ihre Freundin Faizah. Auch sie lag ganz still, schaffte es jedoch nicht, ein leichtes Blinzeln zu unterdrücken.
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