Es steht ihr gut, dieses Schmollen, dachte Sundström und fragte: "Und Sie glauben wirklich, ich werde es Ihnen verraten?"
"Bitte, ja?"
Sundström musterte verstohlen ihr frisches Gesicht mit den Sommersprossen auf der Stupsnase und fand, dass man Rose Taylor leicht gern haben könnte. Vielleicht gerade darum blieb er bockbeinig. "Auf keinen Fall werde ich Pete den Spaß verderben. Außerdem hieße das, Ihre Intelligenz unterschätzen."
"Sie freuen sich wohl, dass wir nun doch etwas gegessen haben?" Der Ingenieur überlegte, warum Ellen Knatchbull dem Gespräch diese Wendung gab. Auf jeden Fall musste sie seine Genugtuung bemerkt haben.
"Offen gestanden, ja. Es beweist mir, dass Hunger sogar Standesschranken hinwegräumt."
"Sie werden langweilig mit Ihren Anspielungen, Herr Ingenieur." Ellen Knatchbulls Stimme klang kampflustig.
"Wenn ich dazu herausgefordert werde!" Sundström ging mit Pete Hawk zum Strand.
Emerson war inzwischen verschwunden, um endlich seinem Herrn dienen zu können.
Trotzdem bewältigte man jetzt die Arbeit. Nachdem das Boot umgedreht war, eilte der Matrose wieder zu seinem "Kindergarten", wie er verschmitzt sagte.
Sundström hämmerte und werkelte, als ginge es ums Leben. Strong verdeckte sein So-tun-als-ob mit dem Lamentieren über seine verlorene Brille.
Nach einem Blick zur Sonne stieß Sundström den Stoßseufzer aus: "Damned, habe ich einen Hunger!"
"Schon im zweiten Buch Mose steht", bemerkte Strong melancholisch, "wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben, durch des Herrn Hand, da wir bei den Fleischtöpfen saßen."
"Die Fleischtöpfe Ägyptens wären mir zwar auch lieber, aber jetzt bin ich sogar bereit, von Ihrer Jagdbeute zu essen", bekannte der Oberst.
Strong nahm das als Kommando zu mahlzeiten und begab sich spornstreichs zum Lager. Die drei Männer machten sich heißhungrig über den Rest her.
Die Männer: hatten die letzten Nüsse und Muscheln verzehrt. Sundström erhob sich voller Unrast. "Pete, hilf rasch das Boot umdrehen und zu Wasser bringen."
Als die Schaluppe dann im seichten Wasser schaukelte, kam Emerson und verlangte einige Nägel. Man sah Knatchbull hoch oben auf der Klippe stehen und warten.
"Der König von Thule", spottete Sundström.
Die andern blickten hinüber. Man musste scharf hinsehen, um den Einsamen zu erkennen. Wieder ein Grund mehr für Strong, um seine verlorene Brille zu trauern.
Die Männer gingen zum Lagerplatz, um den Frauen zu helfen.
Sundström war missgestimmt. Er hatte gehofft, weiterzukommen.
"Oh, mein Rücken", stöhnte Joan Knatchbull.
"Aber meine Hände erst", klagte die Gattin Downburns.
"Alles nichts gegen meinen Hunger", sagte Ellen Knatchbull und sah Sundström herausfordernd an.
"Richtig", erinnerte sich der, "das Abendessen muss ja auch noch beschafft werden. Ich denke, das sollte diesmal unser Reverend besorgen, dann haben wir hier den kleinsten Ausfall."
Strong reagierte wie die Sanftmut selbst. "Gern, ich werde mein möglichstes tun." Alle in der kleinen Gesellschaft hatten den Eindruck, dass Strong froh war, von der unangenehmen Arbeit fortzukommen. Der Ingenieur gab ihm noch einige Ratschläge und schickte vorsichtshalber den Hund mit. "Geh, Prinz, mit Mister Strong Futter suchen!"
"Der Reverend ist wohl nicht Ihr Fall?" fragte Ellen Knatchbull den Ingenieur, als Mann und Hund verschwunden waren.
Sundström lachte grimmig. "Es gibt Arbeiter und Drückeberger. Ein Arbeiter ist Strong nicht."
"Sie glauben nicht, dass es mit seiner Kurzsichtigkeit zusammenhängt?"
"Nicht so recht."
"Sie täuschen sich."
"Kann man einen Menschen besser kennenlernen als bei gemeinsamer Arbeit?"
"Ist ein Tag dazu nicht ein bisschen wenig?"
"Manchmal genügt eine Stunde."
"Ihre Behauptungen sind kühn."
"Sehen Sie, Ihre Frau Mutter, die hat gearbeitet, dass ihr der Rücken schmerzt, ebenso Mistress Downburn und Miss Rose. Sie selbst haben auch nicht gefaulenzt."
"Sie versuchen, uns gegeneinander auszuspielen."
"Das ist meine ehrliche Überzeugung und kein diplomatischer Schachzug."
"Mich kann der Herr Ingenieur mit seinem Lob nicht beirren, da müsste er sich erst andere Manieren angewöhnen." Maud Downburn machte ihr blasiertestes Gesicht ...
Sundströms steile Stirnfalte verschwand. Maud Downburn war schwer ernst zu nehmen. "Bin ich Ihnen zu nahe getreten?"
"Das spielt keine Rolle. Aber Mister Knatchbull gegenüber treten Sie sehr ungehobelt auf, anstatt gerade ihm dankbar zu sein, denn wenn der Orkan nicht gekommen wäre, säßen Sie sicher und warm auf seiner Jacht." Sie war zutiefst überzeugt, die ideellen Interessen ihres abwesenden Idols vertreten und den hergelaufenen Tramp in seine Schranken gewiesen zu haben.
"Moment mal, verehrte Frau Oberst, ich ..."
"Sehen Sie, schon wieder diese Art, als ob Sie mit einem Kohlentrimmer ein Gespräch beginnen." Downburns Gattin richtete sich selbstbewusst auf. "Sie dürfen trotz unserer derangierten Kleidung niemals vergessen, Herr Ingenieur, dass Sie Damen und Herren der Gesellschaft vor sich haben."
"Durchaus nicht, gerade darum sprach ich mich ja so anerkennend über Ihren guten Willen und die geleistete Arbeit aus."
"Ach, das ist ja furchtbar großmütig von Ihnen." Joan Knatchbull hatte die Ironie Sundströms am schnellsten begriffen.
"Durch Ihren dauernden Ruf nach Formalitäten kommen wir immer wieder vom Kern der Sache ab, darum ..."
"Was Sie mit Formalitäten bezeichnen, kann einem andern Lebensbedürfnis sein." Joan Knatchbull sagte es mit Nachdruck; aber man spürte die Sympathie für Sundström in ihrem Einwurf.
"Man kann seine Lebensbedürfnisse umstellen und - eventuell sogar einschränken, Mylady." Sundström war um Versöhnlichkeit bemüht, wollte sich aber ein wenig Spott nicht versagen. "Mein Gewissen gegenüber Mister Knatchbull ist absolut unbelastet. Denn so selbstverständlich, wie mich mein Kollege Hawk auf dem 'Delphin' einschmuggelte, genau so selbstverständlich hätte mich Ihr Gatte abgewiesen. Wenn ich also jemandem zu besonderem Dank verpflichtet bin, dann nur Pete Hawk."
Ellen Knatchbull war jetzt ganz die Tochter ihres Vaters. "Wie können Sie einfach behaupten, mein Vater hätte Sie nicht mitgenommen, wenn ..."
"Tschaaa, wenn ... Wenn wir in einem mondänen Vergnügungsetablissement in Rio zusammengetroffen wären, wenn ich einen tadellosen Frack angehabt hätte, wenn ich mit Ihnen einige Tänze absolviert hätte, wenn Sie dann geschwärmt hätten, wie nett der junge Mann plaudere und wie fesch er tanze, und wenn man dann darauf zu sprechen gekommen wäre, dass dieser junge Mann nicht abgeneigt sei, einen Trip auf dem 'Delphin' nach Frisco mitzumachen, tschaaa, dann vielleicht ..."
"Ich gebe schon zu, dass die Umstände manchmal eine Rolle spielen, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg."
"Und weil mein Wille, nach Frisco zu kommen, groß war, bin ich den einzig möglichen Weg gegangen."
Ellen Knatchbulls Entgegnung wurde unterbunden durch den Einzug einer kleinen Kavalkade: vornweg Prinz, dann Strong und Emerson, ihre Jacken voller Früchte. Als Letzter stapfte Knatchbull heran, in der Hand einen fasanenartigen Vogel, den Prinz erlegt hatte.
"Schade, schade", seufzte Hawk, "dass wir nichts haben, um ein Feuer zu machen. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, wenn ich an geröstete Hühnerbrust denke." Er nahm einen Stock und schlug auf einen Wasserkanister. "Arbeit beenden!"
"Behalte mal deinen Gongschlag bei, du kannst uns ein bisschen den Takt angeben zur Ausgleichsgymnastik." Sundström schlug einen heiteren Kommandoton an: "Aufstellung nehmen, Dauerlauf, eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei. Hier im Sand bitte, Halbkreis, jawohl, recht so, auf der Stelle, eins-zwei, eins-zwei, hoch die Beine, hoch, hoooch, immer höher. Sooo, langsamer werden, ausatmen, tief einatmen, tiiiief, recht tief!" Er machte Reck- und Streckübungen, verbunden mit tiefem Ein- und Ausatmen, und man glaubte, plötzlich einen Sportlehrer vor sich zu haben, so flüssig, locker und suggestiv leitete er an. Wie man unter Lachen auf einen Scherz eingeht, hatten alle außer Knatchbull und Emerson mitgemacht und waren dankbar für die wohltuende Körperbewegung.
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