»Valerie – erschrecken Sie mich nicht! Sie klingen, als wenn wir uns hier häuslich einrichten müssten! Und das wäre nu' gar nicht mein Ding!« sagte Titus.
Valerie lachte und nahm die Lampe vom Haken. »Darf ich ausmachen?«
»Ja, natürlich – wir müssen wohl Strom sparen.«
»Ist besser.« Sie knipste die Lampe aus, steckte sie vorne in ihren Rucksack und zog ihn als Kopfkissen zu sich. Dann kroch sie wieder in ihren Schlafsack und schloss den Reißverschluss. »Gute Nacht, Titus. Ich hoffe, Sie können wieder einschlafen.«
»Das wird ein bisschen dauern«, seufzte er. »Wenn ich nachts wach werde, dauert es eigentlich immer eine Weile, bis ich wieder einschlafe.«
»Bei mir auch!« klagte Valerie. »Ich hatte schon richtig massiv Schlafprobleme und hab' dann unsere Stallwachen geschockt, wenn ich mitten in der Nacht noch rumgegeistert bin.«
»Was findet sich in Ihren Ställen?« fragte er.
»Pferde. Ich arbeite im baden-württembergischen Haupt- und Landgestüt Marbach an der Lauter.«
»Dann müsste ich Sie einmal mit meiner Patentochter besuchen. Sie ist jetzt 13 und Pferde sind das größte für sie.«
»Aber ja, Sie dürfen gerne mal mit ihr kommen! Am besten im Frühsommer, wenn wir Fohlen haben. Mai und Juni ist die schönste Zeit in Marbach«, erzählte Valerie.
Titus drehte sich vorsichtig zur Seite. »Jetzt wird's hier richtig nett.« Er schnurrte vor Behagen. »Sogar meine Füße werden wieder warm! Schön!«
Valerie kicherte. »Man lernt hier Kleinigkeiten zu schätzen, nicht?«
»Hmm!« bestätigte Titus. »Übrigens kann ich Ihnen nicht versprechen, dass ich Ihnen, wenn ich eingeschlafen bin, nicht wieder auf den Pelz rücke. Meine Freundin behauptet, ich würde mich nachts in eine 'heat seeking missile' verwandeln.«
»Ich werde mich zu erwehren wissen!« lachte Valerie. »Es sei denn, mir ist auch kalt – dann komme ich wahrscheinlich Ihnen näher.« Sie zögerte einen Augenblick, dann sagte sie: »Ich glaube, ich habe mich noch nie per 'Sie' mit einem Mann darüber unterhalten, dass wir uns im Schlaf näherkommen könnten. Kommt einem ein bisschen blöd vor, nicht?«
»Stimmt«, bestätigte Titus. »Vor allem, nachdem wir schon beim hanseatischen Du waren ...«
»Du bist Hanseat, nicht?« fragte Valerie. »Du klingst jedenfalls danach.«
»Ich bin dennoch keiner«, antwortete Titus. »Soviel ich weiß, reicht es dafür nicht, in Hamburg geboren zu sein. Man sollte außerdem aus einer Familie stammen, die da schon einige Generationen ansässig ist. Meine Sippe ist aber immer viel rumgekommen.«
»Der Name ' Charrier du Bois' ist Französisch, nicht?« fragte Valerie.
»Exactement«, bestätigte Titus. »Meine Vorfahren waren Hugenotten. Sie sind im 17. Jahrhundert aus Frankreich nach Preußen geflohen. Einer meiner Ahnen diente im Regiment zu Fuß Varenne, dem späteren altpreußischen Infanterieregiment No. 13, das komplett aus Hugenotten bestand. Er heiratete die Tochter seines Regimentschefs Jacques L‘Auiuonier Marquis de Varenne, kam durch sie zu einem Landsitz in der Nähe von Potsdam und damit war die Familie etabliert. Sie hat eine ganze Reihe Offiziere gestellt – es gibt kaum eine preußische Schlacht, in der kein Charrier du Bois gefallen ist. Mein Großvater war dann der erste, der nie gedient hatte. Er soll als junger Mann etwas schwächlich gewesen sein, was für ihn aber ein Vorteil war – er durfte Musik studieren und wurde Cellist eines Streichquartetts. Mein Vater hat dann aber die Scharte im Familien-Ehrenschild ausgewetzt – er war Offizier bei der Bundeswehr. Darum bin ich zwar in Hamburg geboren, aber quer durch die Republik aufgewachsen: Ich war in Erlangen im Kindergarten, bin in Marburg eingeschult worden und habe mein Abitur in Stetten am Kalten Markt gemacht ...«
Valerie kicherte. »Da hat das Haupt- und Landgestüt eine Deckstation, die immer im Februar wieder belegt wird. Der Gestüter, der da hin muss, wird immer schwer vergackeiert. Bei uns heißt das nämlich Stetten am kalten ...«
»Arsch!« vollendete er lachend. »In Stetten kann man sich wirklich die Kehrseite abfrieren. Ich war jedenfalls alles andere als unglücklich, als ich zum Studium abschwirren konnte.«
»Und du bist dann auf den Spuren Ihres Großvaters gefolgt und hast Musik studiert?« erkundigte sich Valerie.
»Ja – zuerst in Düsseldorf an der Robert-Schumann-Hochschule, dann bin ich ans Royal College of Music nach London gegangen und schließlich habe ich noch ein Jahr am Julliard in New York drangehängt. Mein Vater meinte, wenn ich mich schon auf so etwas seltsames wie Orchesterleitung verlege, soll ich es wenigstens richtig machen.«
»Und danach warst du Kapellmeister in Stuttgart, nicht?«
»Du bist gut informiert!« staunte Titus. »Aber jetzt erzähl du mal: Wo kommst du her, was hat dich auf die Idee gebracht, Tierärztin zu werden?«
Valerie lachte und machte es sich auf ihrem Rucksack ein bisschen gemütlicher. »Also, in der Familie lag's nicht. Die Gmelins sind eine schwäbische Pfarrersfamilie. Mein Vater war allerdings etwas aus der Art geschlagen. Er hat bei einer Bank gearbeitet. Meine Mutter war Lehrerin. Ich wurde in Schwäbisch Gmünd geboren und hab' dann als junges Mädchen angefangen, zu reiten. So kam ich auf die Idee, Tierärztin zu werden.«
»Hmm«, brummte Titus. »Und wie kamst du zur Fliegerei?«
»Mein Ex«, antwortete Valerie. »Wir sind zusammen aufgewachsen und als wir so acht oder neun waren, sind wir immer auf den Hornberg geradelt. Der ist von Schwäbisch Gmünd nicht weit weg und da oben ist ein Segelflughafen, auf dem mein Großvater als Werkstattmeister gearbeitet hat. Sandro – mein Ex – und ich durften dann natürlich bei Opa und Freunden von ihm mitfliegen und mit 12 habe ich dann das erste Mal mit dem Segelflugzeug meines Opas eine Platzrunde gedreht. Mit 18 habe ich – übrigens noch vor dem Führerschein – die PPL, die Privatpiloten-Lizenz, gemacht. Damals habe ich überlegt, ob ich auch die Pilotenausbildung machen soll, aber ist teuer und meine Eltern waren von der Idee nicht begeistert.«
»Du hast aber auch erwähnt, dass du zwischen Musik und Medizin geschwankt hättest«, erinnerte sich Titus. »Du hast eine schöne Stimme – einen Alt, nicht? Hast du gesungen?«
Valerie lachte. »Im Chor – aber für meine Stimme galt immer: Wenn ich in der Tiefe hätte, was mir in der Höhe fehlt, wäre es eine gute Mittellage. Außerdem trägt sie nicht besonders gut. Für den Chor hat's gereicht, darüber hinaus wäre es nichts geworden. Ich hatte da aber auch keinen Ehrgeiz. Ich saß lieber im Orchester.«
»Wo?« fragte Titus.
»Flöte.«
»Schön! Ich mag Flöten. Warum hast du nicht studiert?« wollte Titus wissen.
»Ich muss dir doch nicht erzählen, wie viele Flöten es gibt! Um da einen Job in einem anständigen Orchester zu kriegen, muss man nicht nur richtig gut sein, sondern auch Glück haben. Mein Lehrer zum Beispiel – der war gut! Er hatte bei Hänschel in Stuttgart und bei McKelly in London studiert. Er hat sogar einen großen Wettbewerb gewonnen und danach sollte er bei den Philis in Berlin vorflöten. Tja – auf dem Weg dahin ist er ausgerutscht und hat sich die Hand gebrochen. Bis die Hand wieder in Ordnung war, war die Stelle bei den Philis natürlich besetzt. Beim Vorspiel in Stuttgart an der Oper hatte er einen ganz schlechten Tag, bei deinem Verein – wobei das vor Deiner Zeit war – ist er bis in die Endrunde gekommen, aber da hat sich dann eine Lady durchgesetzt ...«
»Tja – es ist wohl tatsächlich auch von Glück abhängig«, sagte Titus. »Und du wolltest es nicht darauf ankommen lassen?«
»Richtig. Ich glaube nicht, dass ich wirklich supergut geworden wäre und ich hätt's nicht so toll gefunden, nachher an der Musikschule in Aichtal-Grötzingen zu landen. Du weißt, wie furchtbar schlecht Musiklehrer bezahlt werden.«
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