Jemma sorgte beispielsweise einmal fast dafür, dass eine Kinderärztin ihre Patienten verlor, da sie, entgegen ihrem Ruf, besonders geduldig und fürsorglich zu sein, scheinbar Kinder bestialisch folterte.
Meine Älteste stand kurz vor der Einschulung und in dem heißen Sommer, vermehrten sich Zecken explosionsartig. Am Abend, als meine Tochter, nach einem langen Spielenachmittag draußen, in die Wanne sollte, bemerkte ich einen kleinen, dunklen Punkt an ihrem Hals, der mich anfangs auch zunächst erschreckte, denn noch nie zuvor, hatte eines meiner Kinder eine Zecke. Hier steckte nun kopfüber eine winzige Zeckenlarve in meiner Großen und um nicht panisch zu werden, rief ich meinen Mann, den ich bat, den Parasiten heraus zu ziehen. Jemma, der allein schon die Information, etwas habe sich in ihrem Hals fest gebissen, mehr als ausreichte, um in einen Kampf ums Überleben zu gehen, weigerte sich jedoch, uns auch nur näher hinsehen zu lassen, brüllte, schrie und schlug um sich, während sie gleichzeitig verlangte, wir sollten das Ding aus ihr heraus holen.
Wie denn, wenn sie sich drehte, wie ein tanzender Derwisch?
Uns blieb nichts anderes übrig, als das Kind erst einmal abzulenken, zu beruhigen und die Nacht zu überstehen, um am Morgen, gleich als Erste, vor der Tür der Kinderärztin zu stehen.
Zumindest durfte diese sich die Zeckenlarve ansehen, doch als sie sich mit der Pinzette näherte, um sie zu entfernen, brüllte Jemma, ohne berührt zu werden auf, es tue so furchtbar weh, dass die Ärztin sie nur vom Untier befreien könne, lege sie Jemma zuvor in Vollnarkose.
Kein gutes Zureden half und nach einer gefühlten Ewigkeit, seufzte die Ärztin nur resignierend, erklärte Jemma, ihr eine Betäubungssalbe aufzutragen und wir sollten dann, zwei Stunden später, erneut zur Ärztin kommen, da unser Kind dann definitiv nichts mehr spürt, was am Entfernen der winzigen Zecke hinderte.
Ich hatte Bedenken. Könnte die Larve nicht, im Todeskampf, unter der Betäubungssalbe, Krankheitserreger absondern? Die Ärztin beruhigte mich. Bei Larven schien das eher ungewöhnlich und da die Bissstelle ohnehin keine Rötung zeigte, sollten wir diesen Weg gehen, wollte Jemma nicht warten, bis das Tierchen von allein ab fiel.
Zwei Stunden Wartezeit können lang werden und so beschlossen wir, erst einmal in ein Café zu fahren und dort ausgiebig zu frühstücken. Dort erhielten wir fast Hausverbot, als Jemma nicht müde wurde, den Mitarbeitern theatralisch und wiederholt mitzuteilen, sie habe ein gefährliches Tier im Körper, das heute entfernt würde und dieses Frühstück sei so etwas, wie eine Henkersmahlzeit.
Zurück in der Praxis, mussten wir noch etwas im Wartezimmer warten und Jemma, sehr kontaktfreudig, schlug die Werbetrommel für die Ärztin.
Mit den anderen Kindern Bauklötze stapelnd, fragte sie, ob denn die Anderen schon mal bei dieser Kinderärztin waren und als zwei verneinten, setzte meine Tochter eine gewichtige Miene auf. Es gäbe keinen Grund, Angst vor Frau Doktor zu haben. Sie tue keinem Kind gern weh.
Gleich darauf waren wir dran und auch wenn wir Erwachsenen wussten, Jemma spürt definitiv nichts mehr, kreischte und schrie sie bereits, als die Ärztin das teilweise schon lose Pflaster entfernte, an dem nun die Zeckenlarve klebte.
Etwas peinlich berührt, bedankten wir uns bei der immer noch sehr verständnisvoll lächelnden Frau, verließen das Sprechzimmer und gingen vorbei an einem seltsam leeren Wartezimmer, in dem nicht ein einziges Kind mehr spielte.
Till hatte, nach einer unschönen Erfahrung mit einem Zahnarzt, panische Angst. Auch nachdem wir einen wirklich sehr verständnisvollen Zahnarzt ausfindig gemacht hatten, der unserem Sohn viel Geduld entgegen brachte, konnte es passieren, dass er in eine Art geistesabwesenden Zustand geriet, stieg die Angst und darunter Bärenkräfte entwickelte.
Nachdem ihm ein Stück von einem Milchzahn abgebrochen war, unter dem sich bereits der sich nach oben schiebende, bleibende Zahn befand, bildete sich, in einem kleinen Hohlraum zwischen den Zähnen, eine schmerzhafte Entzündung. Um Till nun zu helfen, wollte die Kollegin des netten Zahnarztes, vorsichtig eine Spülung vornehmen, doch Till reagierte, wie auf Knopfdruck, als sei er ein Einzelkämpfer.
Völlig entrückt, nichts mehr um sich herum wahrnehmend, begann er in einer Kung Fu reifen Bewegungsserie, um sich zu schlagen und zu treten.
Und das liegend, im Behandlungsstuhl.
Während ich mit offenem Mund auf die zu Boden polternde Verkleidung des Spuckbeckens blickte, flog die zierliche Zahnärztin an mir vorbei, die mein Sechsjähriger, mit einem gezielten Fußkick, auf der Ablage landen ließ.
Zukünftig suchten wir also nicht nur Zahnärzte nach Geduld und Verständnis für unseren Angstpatienten aus, sondern auch nach körperlicher Standfestigkeit.
Ruby war, nachdem sie Jahre später geboren wurde, das komplette Gegenteil ihrer ältesten Schwester. Sie schien sogar gern zum Arzt zu gehen und stürzte sich, kam dieser ins Wartezimmer, um den nächsten Patienten aufzurufen, auf ihn, umklammerte seine Beine und schwor ihm vernehmlich ewige Liebe.
Wir hatten, in Absprache mit unserem Arzt beschlossen, unsere Kinder erst ab dem zweiten Lebensjahr impfen zu lassen und so war Ruby auch etwas älter, als die anderen Kinder, bei ihren Impfungen.
Der Pieks einer Spritze, kann von Kindern schon als schmerzhaft empfunden werden und da wir Ruby, unsere kleine Abrissbirne, gut genug kannten, um zu wissen, dass sie, wenn ihr etwas nicht gefällt, durchaus schwer zu bändigen sein konnte, beschloss Joe, mit ihr zur Impfung ins Labor zu gehen. Er würde sie, im Zweifelsfall halten können.
Minuten später, schlich eine fassungslose Sprechstundenhilfe aus eben jenem Labor, gefolgt von einem breit grinsenden Joe und einer Zähne gen Sprechstundenhilfe fletschenden Ruby.
Im Auto lachte Joe laut los und brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu sammeln. Dann berichtete er, wie er Ruby auf dem Schoss hielt, die Sprechstundenhilfe den Oberarm unserer Tochter desinfizierte und unser Kind ihr dabei schweigend, ohne das Gesicht zu verziehen, zuschaute. Die Spritze war schnell verabreicht, doch statt der möglicherweise erwarteten Tränen, schoss Ruby knurrend vor, als wollte sie sich bei der Sprechstundenhilfe im Gesicht verbeißen. Diese wich erschrocken zurück, so gar nicht einordnen könnend, dass ein Kind bereit war, auf Angriff zu gehen, statt sich jammernd beim Papa einzukuscheln.
Eine andere, in den mehr als verdienten Ruhestand verabschiedende Kinderärztin, erledigte, weitere Jahre später Tara. Ich gebe allerdings zu, dass ich bei dem Erlebnis selbst wütend die Praxis verließ, bereit, der Dame noch eine nette, verbale Erinnerung mit in das Seniorendasein zu geben.
Unsere Kinderärztin war krankheitsbedingt länger ausgefallen und eine betagte Kollegin hatte vorübergehend die Praxis übernommen.
Nun gibt es bei uns, seit einigen Jahren, das gesetzlich festgelegte U-Untersuchungsprogramm, bei dem die Kinder, in zeitlich geregelten Altersabschnitten, auf ihre Entwicklung untersucht werden müssen. In unserem Bundesland geht die Verpflichtung soweit, dass man, als Eltern, diese U-Untersuchungen, dem Landesgesundheitsministerium nachweisen muss. Erfolgt der Nachweis nicht, geht, nach Aufforderungen und Fristsetzungen, eine Meldung an das Jugendamt heraus, das dann den Gesundheitszustand des Kindes überprüfen soll. So jedenfalls, teilten es die Erinnerungsschreiben des Landesgesundheitsministerium mit.
Also machten wir einen Termin zur Vorsorgeuntersuchung bei der älteren Ärztin, der einzigen, im Ort.
Nesthäkchen Tara, ich gebe zu, etwas von der ganzen Familie verwöhnt, aufgeweckt im Geist und gewohnt, in altkluger Form, die Familie und das Umfeld um den Finger zu wickeln, schien von der Kinderärztin mächtig beeindruckt und verfiel in Verlegenheit.
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