Neben mir, lag das Zimmer von Till. Also raunte ich immer lauter nach ihm, bis sein verschlafenes Brummeln, leicht genervt fragte, was ich denn wolle.
„Könntest Du kurz nach oben gehen und Joe wecken? Meine Fruchtblase platzt hier in Dauersalve und ich denke, wir sollten uns bereit machen, zur Klinik zu fahren.“
Für Sekunden herrschte Stille, dann keuchte Till atemlos „Scheiße, ja, klar!“ und es begann aus seinem Zimmer zu poltern. Mit einem lauten Knall, schlug er am Türrahmen ein, den er, im nächsten Schritt, fast noch mitbrachte, dann flog die Zimmertür auf und mein Sohn stand atemlos neben mir. Er sah mich von Kopf bis Fuß an, stutzte wahrscheinlich auch über den beleidigt am Flurende sitzenden Odin und versicherte mir, dass ich ruhig bleiben sollte, da er nun alles im Griff habe.
Sprach's, stürmte die Treppe nach oben, ins Schlafzimmer und kreischte nach Joe, der fast vor Schreck aus dem Bett polterte und kurz darauf preschten beide auf den oberen Flur und weiter in Wohnzimmer und Küche, während sie sich zu riefen, wer den Kaffee aufsetzt, wer die Verwandten und Freunde anrief, die angeboten hatten, uns zur Geburt ins Krankenhaus zu fahren und wohin der fertig gepackte Klinikkoffer gestellt werden sollte.
Ich stand währenddessen noch immer, fröstelnd und nass, auf dem unteren Flur, um mit verzweifelten Rufen darauf aufmerksam zu machen, dass man mich bitte nicht vergessen möge.
Immerhin bemerkten sie mein Fehlen von selbst – nach ungefähr fünfzehn Minuten – und als Till gestochen scharf kombinierte, ich könnte eventuell noch unten, an der Treppe stehen, da er mich dort zuletzt gesehen hatte, kamen beide endlich auch einmal zu mir herunter und begleiteten mich hinauf, um mir in trockene Sachen zu helfen.
Inzwischen spürte ich auch deutlich die ersten Wehen.
Joe fluchte, denn all die Verwandten und Bekannten, die sich bisher förmlich darum gerissen hatten, uns in die Klinik zu fahren, schliefen scheinbar so fest, dass niemand das Klingeln der Telefone hörte.
Ich muss dazu sagen, dass wir, in dieser Zeit, kein eigenes Auto, sondern nur einen Motorroller hatten. Und auf diesen, so legte Joe nun fest, würde er mich dann eben setzen, um mich selbst ins Krankenhaus zu fahren.
„Wir haben -12°C, heute Nacht und bis zur Klinik sind es 35 km. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mich da hinten auf den Roller schmeiße und als Tiefkühlblock, vor dem Krankenhaustor, vom Sitz kippe? Eher bekomme ich das Kind hier zu Hause!“ raunzte ich meinen Mann an, da ich die schnell heftiger werdenden Wehen, schon nicht mehr ganz so angenehm empfand.
Endlich erreichte Joe schließlich Bekannte, die uns fuhren.
In der Klinik bekam ich die Nachricht, dass ab der Frühschicht eine Hebamme Dienst haben würde, mit der ich, bei der Geburt meiner Enkelin, bereits einmal zusammen gerasselt bin und aus Rücksicht auf ihre sonst gefährdete Gesundheit, legte ich zuerst fest, dass ich auf keinen Fall bei dieser Hebamme entbinden würde.
So kam ich in den Genuss, eine der Hebammen um mich zu haben, die bereits auch Elly mit auf die Welt geholfen hatten.
Trotz kräftiger, regelmäßiger Wehen, stagnierte jedoch irgendwann die Eröffnungsphase. Während Joe immer wieder einmal an die frische Luft ging, bot mir die Hebamme Akupunktur an, um Verspannungen zu lösen und die Geburt wieder voran zu treiben. Eine der Nadeln setzte sie mir dann direkt oben auf den Kopf, so dass diese, wie eine kleine Antenne, in die Höhe ragte.
Joe kam zurück in den Kreißsaal und beschloss genau da, mir den Kopf zu tätscheln. Ich riss meinen Schädel, dem sich gerade schwungvoll seine Pranke näherte, zur Seite während die Hebamme rief, er möge genau diese zärtliche Geste doch bitte unterlassen, da sie für eine ungewollte Reaktion meinerseits sorgen könnte, wenn ich ihn dann wütend zwang, mir die in den Kopf geschlagene Nadel, wieder heraus zu ziehen.
Ich war sauer. Mein Mann pendelte zwischen der frischen Luft und dem Kreißsaal hin und her, die Geburt wollte nicht voran gehen und ich hatte Schmerzen. Gerade ich, wo ich doch eine Kandidatin bin, Geschlechts unspezifisch, an einem Männerschnupfen zu versterben. Aber genau diese Wut schien dann auch meine Verspannung zu lösen und innerhalb von Minuten, gab der Geburtsvorgang Vollgas.
Kurz nach halb elf, am Vormittag, lag Ruby krähend auf meiner Brust und wir waren nur noch glücklich.
Halb zwölf stand ich unter der Dusche, halb eins, mit Ruby im Babysafe, den Joe trug, wie ein rohes Ei, im Eingangsbereich der Klinik, da der Bekannte uns abholen wollte.
Der kam auch pünktlich, jedoch stand ihm die Enttäuschung deutlich im Gesicht.
„Schade, dass Du so lange gebraucht hast! Meine Freundin hätte die Kleine so gern noch gesehen, bevor sie zur Arbeit musste. Aber macht nichts, wir kommen dann heute Nachmittag noch einmal zusammen rum.“
Ich saß mit offenem Mund im Auto. Bis zu dem Moment dachte ich eigentlich, trotz der kleinen Hürden, wären Ruby und ich richtig schnell gewesen, mit unseren sechseinhalb Stunden.
Zu Hause warteten die älteren Kinder, die ein großes Laken, mit „Herzlich willkommen, Ruby!“ , über die Tür gespannt und einen Brunch vorbereitet hatten. Eine wundervolle und liebe Geste, wenn wir auch etwas platt waren und uns nach unserem Bett sehnten. Aber in den nächsten eineinhalb Stunden, saßen wir gemütlich zusammen und kamen ein winziges Bisschen, zuerst einmal an.
Bis dann eben ein nicht enden wollender Besucherstrom begann.
Nach und nach, trudelten meine Mutter, der Bekannte, mit seiner Freundin, meine Schwiegereltern, eine Nachbarin, zwei Freundinnen und eine befreundete Familie ein. Alles in allem, tauchten, innerhalb von fünf Stunden, um die zwanzig Gäste auf.
Alle schön in einem fließenden Übergang. Sie bestaunten unser Baby, tranken Kaffee und gingen, um Platz für die frisch nachrückenden Besucher zu machen.
Jemma blieb etwas länger, half mir noch beim Kaffeekochen, musste aber, am späteren Nachmittag, selbst nach Hause.
Joe war platt, denn die Geburt hätte ihn wirklich geschafft, bedauerte er, als ich mich etwas beschwerte, seine Unterstützung brauchen zu können. Er schlief immer wieder ein.
Till und Malte beschäftigten Elly verzogen sich aber zwischendurch in ihre Zimmer, da, so ihre Feststellung „Für ihren Geschmack, ein bisschen zu viel Trubel im Haus herrsche“ .
Ruby war die Einzige, die wirklich die Ruhe weg hatte und schlief.
Ich pumpte Endorphine und Adrenalin.
Irgendwann röchelte unsere Türklingel den kompletten Streik aus, aber noch immer kam ich nicht einmal auf die Idee, einen Zettel an die Tür zu hängen, dass hier eine Familie zuerst einmal mit Baby ankommen möchte, statt Zoo zu spielen.
Weit nach acht Uhr abends, waren die letzten Besucher gegangen und im Haus herrschte Stille. An anderer Stelle, in einem vorherigen Band, hatte ich darüber ja bereits geschrieben.
Malte gesellte sich einige Minuten zu mir und versuchte mich aufzumuntern, während ich schlaff auf dem Sofa hing und eigentlich nicht mehr viel sprechen mochte. In einem letzten Versuch, mit mir zu plaudern, versicherte er mir, die nächsten Tage, im Haushalt, etwas mehr zur Hand zu gehen und mir auch beim Kochen zu helfen. Ob ich denn schon Ideen hätte, was wir morgen essen wollten.
Ich überlegte und grinste dann.
„Was hältst Du vom Nudelauflauf? Diesmal sogar heiß, direkt aus dem Ofen?“
Lass Dir nicht alles aus der Nase ziehen
Erzählen Eltern, in meinem Umfeld beiläufig, sie wären mit ihren Kindern beim Arzt gewesen, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich beinahe weniger fokussiert auf die Diagnose, als das Abenteuer selbst bin.
Ja, ich spreche von Abenteuer, denn zumindest mit meinen Kindern wurde fast jeder Arztbesuch zu einem. Wobei eigentlich nie vorher abzusehen war, an welcher Stelle die Spannung den Höhepunkt erreichen würde. Mal bereits bei einer Diagnose, die mich gelegentlich auch am Verstand meines Nachwuchses zweifeln ließ, manchmal bei der – für die Ärzte – schon lebensbedrohlich ausartenden Behandlung.
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