Hans zuckte zusammen. Dann sah er es auch. „Ich glaube, wir müssen noch einmal tätig werden. Sulass, hast Du etwas in Deinem Sack, was wir vielleicht verwenden könnten?“ Der große Bär brummte etwas, setzte seinen Sack ab, griff hinein und nahm eine große, aus braunem Papier bestehende Tüte heraus. Er gab sie Tom und brummte: „Auf jedes Blatt ein Korn. Die Trolle sollen Dir dabei helfen, sie sind näher am Boden und werden dafür sorgen, dass von den neuen Pflanzen nichts übersehen wird.“ Tom nahm die Tüte, rief die Trolle zu sich und gemeinsam brachten sie Korn um Korn auf die Sämlinge aus.
Ein schrilles Piepsen erfüllte die Luft, die Blätter kräuselten sich, zogen sich zusammen, wurden braun und zerfielen zu Staub, der von einem leichten Wind davon geweht wurde. Aufmerksam suchte Tom den Boden erneut ab. Er konnte keine der gerade aufgegangenen großen grünen Keimblätter mehr entdecken. Er atmete auf, wandte sich an seinen Onkel und fragte: „Und nun? Müssen wir uns jetzt nicht um Carolyns Traum und den Baum kümmern? Und was machen wir mit den Schwammern? Wie können wir dort helfen? Hier war es ein Baum, dort werden es schon viele sein. Ich denke, Dracontor sollte eine Gruppe von Drachen zusammenstellen und sich auf den Weg zu den Schwammern machen. Unser Freund hat ja hier den Baum in seine Schranken gewiesen.“ Hans nickte zustimmend.
• Kapitel 3 Maryan ermittelt
Maryan, nachdem sie mit Carolyn gesprochen und ihr mitgeteilt hatte, was derzeit in Oldenburg vorging, versuchte, den Baum, den ihre Freundin aus England beschrieben hatte, auf ein großes Blatt Papier zu zeichnen. Immer wieder kam das Radiergummi zum Einsatz und nach einer geraumen Zeit nickte sie, legte das Blatt zur Seite und begann zu überlegen. Wo hatte sie solch einen alten Baum schon einmal gesehen? Sie dachte an die vielen Ausflüge, die sie mit der Schule oder auch mit ihrer Mutter unternommen hatte. Irgendwie kam ihr das Bild, welches sie gezeichnet hatte, immer bekannter vor. Sie war dort schon einmal gewesen! Aufgeregt stand sie auf, griff nach ihrem Telefon und rief ihre Freundin Maya an. Aufgeregt erzählte sie, was sich zugetragen hatte und schon Minuten später klingelte es an der Tür. Maryan stürmte nach unten und öffnete die Tür, ließ Maya eintreten und schon kurze Zeit später unterhielten sie sich aufgeregt darüber, was Maryan von ihrer Freundin Carolyn aus England erfahren hatte.
Ihre Freundin, sie waren seit Kindertagen befreundet und hatten die gleiche Schule besucht, ließ Touren und Ausflüge Revue passieren. Dabei schaute sie immer wieder auf die Zeichnung, die Maryan angefertigt hatte.
„Ich glaube, ich habe solch einen Baum schon einmal gesehen“, sagte sie dann nachdenklich. „Es war auf einem Ausflug und es war nicht weit von Oldenburg entfernt. Ich bin mir aber nicht sicher. Ich glaube, es war auf einem der vielen Schulausflüge in die nähere Umgebung der Stadt. Ich schaue mal, ob ich damals ein Foto gemacht habe.“ Sie begann, in einer Schublade zu kramen, und schließlich holte sie einen dicken Umschlag hervor, auf dem „Schulausflüge“ stand. Sie nahm die Bilder heraus und gemeinsam begannen sie, die Fotos anzuschauen. Plötzlich hielt sie inne, nahm ein Bild in die Hand und legte es auf den Tisch. „Das ist der Baum, der mir von Carolyn beschrieben wurde, ganz bestimmt!“, stieß sie hervor. Ihre Freundin nahm das Bild, schaute es lange an und meinte dann: „Ja, da waren wir, der Baum steht in einem kleinen Ort, lass uns das Bild zu Carolyn schicken.“ Maryan griff nach einem kleinen Kästchen, welches hinter ihr im Regal lag, öffnete das Behältnis und nahm einen Stab heraus. Sie wandte sich an ihre Freundin, sah sie an und sagte dann: „Was du jetzt siehst, darfst du unter keinen Umständen weitererzählen! Ich verrate dir jetzt mein Geheimnis!“ Sie lächelte und sprach weiter: „Maya, ich bin eine Hexe!“ Ihre Freundin schaute sie ungläubig an. Das hatte sie nicht erwartet und was war das für ein sonderbarer Stab? Noch immer schüttelte sie ungläubig den Kopf, als Maryan das Bild vor sich auf den Tisch legte.
Sie richtete den Stab auf das Bild und murmelte etwas, welches Maya nicht verstand. Aus der Spitze des Stabes fuhr ein leuchtender Funke, berührte das Bild und mit einem leisen Schmatzen war dieses verschwunden. „Wie hast du das gemacht und wo ist das Bild nun?“, wollte Maya wissen. „In England, bei meiner Hexenfreundin Carolyn“, entgegnete Maryan. Etwas Sonderbares geschah plötzlich. An der Decke bildete sich ein spiegelnder Kreis, der unversehens durchsichtig wurde. Eine junge Frau erschien im Kreis, sah Maryan an und fragte: „Wer ist das da bei dir?“ „Das ist meine Freundin“, antwortete Maryan, „ich habe ihr von unseren Künsten erzählt und sie hat mir hoch und heilig versprochen, es für sich zu behalten.“ „OK“, erwiderte Carolyn, „dann lass uns über das Bild sprechen. Es ist genau der Baum, den wir suchen. Wo steht er denn?“ „Ganz in der Nähe von Oldenburg, er wird auf eintausend Jahre geschätzt und wir haben ihn vor, glaube ich, vor zwei Jahren bei einem Schulausflug gesehen.“ Maya nickte und fügte hinzu: „Der uralte Baum steht auf dem Dorfplatz und die Straße führt um ihn herum. Die Dorfbewohner haben ein kleines Geländer angebracht, auf deren Innenseite eine Rasenfläche angelegt ist. Wenn ich mich recht erinnere, hat ein Mitschüler von uns dort ein Foto geschossen und uns dieses Bild geschenkt. Dieses Foto hast du eben hinweg gezaubert. Wie geht diese Geschichte denn nun weiter?“
Von der Decke ertönte die Stimme von Carolyn und im Hintergrund war ein junger Mann zu sehen. „Wer ist das denn?“, flüsterte Maya und Maryan antwortete: „Das ist Tom, er ist der Bruder von Carolyn.“ Maya lächelte in sich hinein. „Na, na, na“, ertönte die Stimme von Carolyn, „ihr werdet euch sicher noch kennenlernen. Aber nun müssen wir zum Baum gehen, ich schicke euch die Trolle, sie können euch in Sekundenschnelle zu eurem Ziel bringen. Ich habe ihnen gesagt, was sie tun müssen. Erschreckt nicht, wenn es gleich laut wird.“ Sie hatte es kaum ausgesprochen, als ein Knall ertönte und drei zwergenhafte Gestalten aus der Decke auf den großen Teppich fielen.
„Das sind Lanudas, Lakuno und Ladina, zwei Trollmänner und eine Trollfrau. Sie besitzen magische Kräfte und haben den Oldenburger Kommissaren bei unserem letzten Abenteuer sehr geholfen. Ich glaube, sie können uns zum Baum bringen.“ Einer der Trolle fistelte los: „Nun beeilt euch mal, das Bild habe ich wieder mitgebracht, Maryan, nimm es in die Hand und stellt euch beide eng zusammen auf, so dass wir drei uns an den Händen fassen können. Nun macht schon!“ Maryan, die die Trolle schon einige Male erlebt hatte, griff die Hand von Maya und zog sie zu sich heran. Die Trolle bildeten einen Kreis und begannen zu tanzen.
Immer schneller wurden ihre kleinen Schritte und an der Decke bildete sich ein schwarzer Trichter. Er senkte sich herab und umschloss die fünf Gestalten ganz. Die Mädchen verspürten einen starken Wind, der sie davontrug. Nur Sekunden später fielen sie aus geringer Höhe auf eine weiche Rasenfläche. „Wo sind wir?“, stotterte Maya, sah sich um und erschrak. Vor ihnen war der Baum zu sehen, den sie als Foto an Carolyn geschickt hatten und das nun Maryan wieder in der Hand trug. Die Trolle waren so schnell, wie ihre kurzen Beine es zuließen, auf den Baum zugestürmt und legten ihre langfingrigen Hände an seine Rinde.
„Was macht ihr da?“, rief Maryan und schon, wie vom Winde verweht, hörten sie die leiser werdende Antwort. „Wir bringen ihn nach England, euch holen wir danach, bitte bleibt aber nicht auf diesem Platz, geht zu der nahegelegenen Kirche und versteckt euch dort. Wir finden euch und transportieren euch dann ebenfalls nach England.“ Der Baum begann sich aufzulösen, seine langen Wurzeln entfernten sich aus dem Boden, dieser schloss sich sofort wieder, Gras wuchs hervor und es sah aus, als wenn dort niemals ein Baum gestanden hätte. Dann war der uralte Stamm mitsamt den Trollen verschwunden. Maryan sah Maya an und sagte mit leiser Stimme zu ihr: „Wir sollten tun, was die Trolle gesagt haben, lasst uns hier verschwinden, den Kirchturm sehe ich schon.“
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