Bist du überhaupt schon einen Meter groß?
Erinnerungen an den Osterberg
Erste Auflage
© Rolf Glöckner
Coverfotos: © Rolf Glöckner
Fotos: © Rolf Glöckner privat
© Karikaturen von Professor Dr. Wolfgang Reiß
© Fotos aus alten Oeseder Büchern
© Fotos aus dem Internet
Creator: © Rolf Glöckner
Rolf Glöckner, geboren 1945 auf dem Osterberg im damaligen Oesede, lebt heute in Oldenburg. Er genießt seinen wohlverdienten Ruhestand und befasst sich nun mit Astronomie, Astrophysik, Astrofotografie, allgemeiner Fotografie und natürlich und vor allem mit dem Schreiben. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. „Spiegelwelten Tod im Ton" ist nach „Spiegelwelten Die zwölf Bücher“, „Spiegelwelten Der Kristallkrieg“, „Spiegelwelten Das Hexenschloss“ der vierte Fantasyroman in der Spiegelwelten-Reihe des Autors. Es war aber auch an der Zeit, die Erinnerungen aus seiner Kinder- und Jugendzeit aufzuschreiben. Der eine oder andere „Oeseder“ wird sich vielleicht an dieses oder jenes erinnern. Und wer mit dem Namen „Glöckner“ nichts anfangen kann, der Autor ist ein Sohn von „Beckers Nanda“
Kleine Erlebnisse aus meiner Kinder- und Jugendzeit und eine Zusammenfassung vom Leben auf dem heute zu Georgsmarienhütte gehörenden Osterberg, so wie ich es, bevor ich nach Oldenburg zog, erlebt habe.
Im November 2017
Rolf Glöckner
Heute war sein erster Schultag und er war doch schon ein wenig aufgeregt. Der Schulranzen war schon etwas abgegriffen, weil er schon länger in Gebrauch gewesen war. Er war mit einer Tafel versehen, der Schwamm baumelte, wie früher üblich, fröhlich an der Außenseite herum. In dem Ranzen waren Griffelkasten und auch schon einige Bücher und Hefte verstaut und wartete darauf, dass er ihn sich anschnallen würde.
Die Mutter rief zum Anziehen. Er hasste die Kleidung, die ihm für den ersten Schultag bereitgelegt waren, die Unterwäsche, ein Leibchen, an welches lange Strümpfe angeknöpft waren. Darüber kam eine kurze Hose und eine Jacke, die ein Schneider aus der Nachbarschaft aus einem noch vorhandenen Stoff hergestellt hatte, ein paar hohe Schuhe und eine Mütze, die er nicht mochte, aber all sein Wehren nützte ihm nichts.
Gemeinsam mit seiner Mutter machte er sich schon bald auf den Weg in den Ort hinunter, sein Bruder und seine Cousine hatten das Haus schon verlassen, er würde sie erst in der Schule wiedersehen.
In dem alten Schulgebäude gab es zwei Räume, die den evangelischen Schülern in einem überwiegend katholischen Ort zugestanden worden waren, ging es schon munter zu. Raum Eins war besetzt mit den Klassen Eins bis Vier, der andere Raum wurde von den schon älteren Schülern benutzt.
Seine Mutter gab ihm einen Klaps und verabschiedete sich dann, sie hatte zu arbeiten, Kinder ohne einen Vater, der im Krieg geblieben war, aufzuziehen, erforderte ihre ganze Kraft. Vorsichtig betrat er den Klassenraum, erspähte einen freien Platz in einer der hinteren Reihen und setzte sich.
Die Lehrerin, damals noch "Fräulein" genannt, betrat den Raum, schaute über das Gewimmel und bat die älteren Schüler, den Raum für eine Weile zu verlassen, sie wolle sich erst einmal ein Bild von den "Neuen" machen.
Sie verlas die Namen und als er aufgerufen wurde, bat sie ihn, aufzustehen da hinten. Sie schaute ihn lange an und fragte dann: "Bist Du überhaupt schon einen Meter groß?" Da schoss es aus ihm heraus: " Eins vier". Alle lachten und er wurde nach vorn in die erste Reihe gebeten. "Damit ich Dich überhaupt sehen kann" sagte die Lehrerin in das Gelächter hinein. Seine Anspannung ließ etwas nach, die älteren Schüler wurden wieder hereingerufen und der Unterricht begann. Nach drei Stunde war der erste Schultag für ihn vorbei und er durfte nach Hause gehen. Vor der Schule warteten viele Eltern auf ihre Kinder, bepackt mit Schultüten, die wohl gut gefüllt zu sein schienen. Wo war seine Mutter, hatte sie ihn vergessen? Da kam sie aber doch auf ihrem alten, klapprigen Fahrrad angefahren und sie hatte eine kleine Schultüte bei sich. Er war erleichtert, alles war gut gegangen, morgen würde er wieder in die Schule gehen, mal schauen, was da auf ihn zukam.
Am Abend, sein Onkel, er war so etwas wie ein Vaterersatz, kam gerade nach Hause, hatte er diesem allerlei zu erzählen. "Die Lehrerin ist aber nicht schlau, dauernd hat sie mich etwas gefragt, ich saß ja ganz vorn, aber ich habe es ihr nicht gesagt!
Schon lange vor dem 6. Dezember, dem Nikolausabend, ging bei ihm die Angst um.
Der Nikolaus sollte kommen und der Knecht Ruprecht, ein dunkler Geselle, würde ihn begleiten. Von ihm wurde erzählt, er würde Kinder, die während des Jahres nicht artig gewesen waren, in einen großen Sack stopfen und mitnehmen und irgendwo, wo er lebte, sollten sie ihre gerechte Strafe bekommen. Die Eltern hatten diese Angst auch noch geschürt, indem sie seine kleinen Nickeligkeiten, die er im Laufe des Jahres begangen hatte, immer wieder zur Sprache brachten. Und nur war der Tag gekommen, es wurde langsam dunkel und alle hatten sich in der großen Wohnküche versammelt. Er drückte sich in die Ecke des alten Sofas und das Herz schlug ihm bis zum Hals, als es plötzlich an der Tür klopfte. Man öffnete und herein kam der Nikolaus, angetan mit einem roten Mantel, einen langen Stab in der einen, ein großen Buch in der anderen Hand. An seinem Gürtel war ein kleines Jutesäckchen festgeschnallt und an seinen Stiefeln klebte noch der Schnee. Er wandte sich den Kindern zu, die jetzt etwas erleichtert waren. Knecht Ruprecht war nicht gekommen, und der Nikolaus sprach sie mit tiefer Stimme an, indem er sein großes Buch aufschlug:
"Na, da sehe ich aber Dinge, die ein lieber und ordentlicher Junge nicht tun sollte. Da steht auch, dass Du dem Nachbarn Wasser in seine Holzschuhe geschüttet hast, seine Kaninchen frei ließest, in der Schule nicht immer fleißig gewesen bist, deinen Eltern Widerworte gabst, nicht immer gehorchen wolltest und was der Dinge mehr waren. Ich habe hier eine ganze Seite meines Buches vollgeschrieben." Er duckte sich verängstigt und wartete auf die wohl nun folgende Strafpredigt. Erst aber waren Bruder und Cousine dran, auch mit den Beiden hatte er einiges zu besprechen. Als er fertiggesprochen hatte, nestelte er den kleinen Jutesack von seinem Gürtel, warf ihn zu Boden und sagte: "Wenn Ihr mir aber versprecht, wieder artig zu sein, so habe ich Euch doch etwas mitgebracht, das ihr unter Euch aufteilen sollt."
Da plötzlich wurde die Tür aufgerissen und der Knecht Ruprecht stand im Raum. Schrecklich anzusehen und dunkel gekleidet mit einem Pelz, eine Pelzmütze auf dem Kopf, ein schrecklicher schwarzer Bart stand von seinem Gesicht ab, welches ebenfalls schwarz war. Um seinen Bauch war eine rostige Kette gewickelt und an den Füßen trug er hohe schwarze Stiefel. Aber das Erschreckendste, welches er bei sich trug, war ein oben zugebundener großer Sack, aus dem zwei Schuhe herausragten.
Da war aller Mut dahin und während seine Cousine laut aufschrie, der Bruder wie erstarrt auf seinem Stuhl saß, schoss er, so schnell er konnte, unter das Sofa. Dort blieb er, bis die beiden, der Nikolaus und sein Knecht, Gott sei Dank, ohne jemanden in den Sack zu stecken, gegangen waren und er schwor sich, im nächsten Jahr artig und fleißig zu sein. Erst nach einer Stunde traute er sich unter dem Sofa hervor, denn da war ja noch der kleine Sack, da sollte ja etwas darin sein. Und so gab es Süßigkeiten, für jeden eine Apfelsine und viele Nüsse. Am nächsten Morgen, als er das Ereignis vom Vorabend Revue passieren ließ, kamen ihm einige Dinge merkwürdig vor. Warum hatte Knecht Ruprecht einen Pelz an, der wohl seiner Mutter gehörte? Und warum hatte der Nikolaus Stiefel an, die seinem Onkel Hans gehörten? Fragen über Fragen, für die er wohl keine Lösung finden würde. Im nächsten Jahr aber war alles anders, da war er ja schon, weil inzwischen Schüler, viel aufgeklärter!
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