1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 So machen es auch schwache, unentschlossene Menschen; sie meiden zwar die Sünde, aber mit Bedauern. Sie möchten gern sündigen, wenn sie deswegen nicht verdammt würden. Sie reden gern voll Behagen von der Sünde und beneiden die Sünder.
Da ist ein rachsüchtiger Mensch. In der Beichte verzichtet er wohl darauf, sich zu rächen; wenig später erzählt er unter Freunden mit Behagen von seinem Streit: Wäre er nicht gottesfürchtig, dann hätte er es seinem Widersacher schon gezeigt ! Das göttliche Gebot, seinen Feinden zu verzeihen, sei schon schwer; wie schön wäre es, wenn es erlaubt wäre, sich an ihnen zu rächen... Wer sieht nicht, daß dieser arme Mann zwar nicht gerade die Sünde begeht, aber ganz verstrickt ist in der Liebe zur Sünde? Er hat Ägypten dem Leibe, nicht aber dem Herzen nach verlassen, denn er sehnt sich nach dem Knoblauch und den Zwiebeln zurück. Damit gleicht er einer Frau, die wohl sündhafter Liebe entsagt hat, sich aber freut, wenn man ihr den Hof macht. - In welcher Gefahr befinden sich doch solche Menschen!
Du willst ein frommes Leben führen. Daher mußt du nicht nur von der Sünde lassen, sondern auch aus deinem Herzen alle Bindungen zur Sünde entfernen. Die erbärmlichen Anhänglichkeiten setzen dich nicht nur der Gefahr aus, wieder in Sünde zu fallen, sie schwächen außerdem dauernd deinen Willen und hemmen ihn so sehr, daß er nicht fähig ist, das Gute rasch, sorgfältig und häufig zu tun; darin aber besteht doch das Wesen der Frömmigkeit.
Menschen, die den Zustand der Sünde verlassen haben, aber noch diesen Anhänglichkeiten und Schwächen unterworfen sind, kommen mir vor wie bleichsüchtige Mädchen: Sie sind nicht krank, aber ihr ganzes Gehaben kränkelt; sie essen ohne Appetit, schlafen, ohne auszuruhen, lachen ohne Freude; statt zu gehen, schleichen sie förmlich dahin. Auch diese Menschen tun das Gute in einer Art geistiger Müdigkeit; damit nehmen sie ihren guten Werken alle Anmut, sie bringen überhaupt nur wenige und noch weniger wirksame zustande.
Wie geschieht diese Reinigung?
Der erste Beweggrund für diese zweite Reinigung ist die lebendige und starke Überzeugung, daß die Sünde ein großes Übel ist, und eine tiefe, aufrichtige Reue als Folge dieser Erkenntnis. Ist diese Reue echt, so reinigt sie uns in Verbindung mit der Kraft des Sakramentes von der Sünde, selbst wenn sie nicht sehr tief wäre. Ist sie aber stark und lebendig, dann befreit sie uns außerdem von jeder Anhänglichkeit an die Sünde. Ein schwacher Haß, eine bloße Abneigung bewirkt, daß man den Gegenstand des Hasses nicht leiden kann und seine Gesellschaft meidet. Ein leidenschaftlicher, tödlicher Haß dagegen läßt uns nicht nur jenen meiden und verabscheuen, den man haßt; vielmehr fliehen wir auch den Verkehr mit seinen Verwandten und Freunden, ja wir verabscheuen sogar sein Bild und alles, was mit ihm zu tun hat. Wer die Sünde mit einer zwar echten aber schwachen Reue haßt, ist wohl entschlossen, nicht mehr zu sündigen; haßt er sie aber mit einer starken, tiefen Reue, dann verabscheut er nicht nur die Sünde selbst, sondern auch jede Anhänglichkeit an sie und alles, was mit ihr zusammenhängt und zu ihr führt.
Die Reue muß uns daher so tief und so stark erfassen, daß sie sich auch auf das geringste erstreckt, was mit der Sünde zusammenhängt. So verlor Magdalena so völlig den Geschmack an der Sünde und ihren Freuden, daß sie nie mehr daran dachte. David beteuert, daß er nicht nur die Sünde haßte, sondern alle ihre Spuren und Pfade (Ps 119,104.128). Darin besteht die Erneuerung der Seele, die dieser Prophet mit der Wiedergeburt des Adlers vergleicht (Ps 103,5).
Um diese Reue zu erwecken, mußt du dich aufmerksam in den folgenden Betrachtungen1 üben. Sie werden dann mit der Gnade Gottes die Sünde und die wichtigsten Anhänglichkeiten an sie in deinem Herzen entwurzeln. Zu diesem Zweck habe ich sie zusammengestellt. Halte die Betrachtungen nacheinander in der Reihenfolge, wie ich sie angegeben habe; nimm täglich nur eine vor,2 womöglich am Morgen; das ist die beste Zeit für die Tätigkeit des Geistes. Tagsüber denke sie immer wieder durch. Weißt du noch nicht, wie man betrachtet, so lies vorher, was darüber im zweiten Teil steht.
Erste Betrachtung: Die Schöpfung.
Vorbereitung: Versetze dich in Gottes Gegenwart. Bitte ihn um sein Licht.
Erwägungen. 1. Es ist noch nicht lange her, da warst du noch nicht auf der Welt, warst in Wahrheit nichts. Wo waren wir damals, meine Seele? Die Welt existierte schon lange - und man hatte von uns noch nichts gehört.
2. Gott hat dich aus diesem Nichts hervorgehen lassen, um dich zu dem zu machen, was du bist, ohne daß er dich gebraucht hätte, einzig durch seine Güte.
3. Betrachte die Natur, die Gott dir gegeben: Sie ist die volkommenste der sichtbaren Welt, befähigt zum ewigen Leben und zur vollkommenen Vereinigung mit der göttlichen Majestät.
Affekte und Entschlüsse. 1. Demütige dich tief vor Gott! Sprich von Herzen mit dem Psalmisten: ³Herr, vor Dir bin ich in Wahrheit nichts" (Ps 39,6). Wie hast Du doch meiner gedacht, mich zu erschaffen?" (Ps 8,5). Meine Seele, du warst versunken im Nichts; was wärest du in diesem Nichts?
2. Danke Gott! Mein erhabener und gütiger Schöpfer, wieviel Dank schulde ich Dir, daß Du mich aus dem Nichts gezogen hast, um mich durch Deine Barmherzigkeit zu dem zu machen, was ich bin. Was kann ich nur tun, um Deinen Namen würdig zu preisen und Deiner unermeßlichen Güte gebührend zu danken?
3. Schäme dich! Mein Schöpfer, statt Dir meine Liebe und meinen Dienst zu schenken, habe ich mich gegen Dich aufgelehnt. Ich hing ungeordneten Neigungen an, trennte und entfernte mich von Dir, um der Sünde nachzulaufen. So wenig habe ich Deine Güte geehrt, als ob Du gar nicht mein Schöpfer wärest.
4. Demütige dich vor Gott! Wisse, meine Seele, daß Gott dein Herr ist; Er hat dich erschaffen, nicht du hast dich selbst gezeugt (Ps 100,3). O Gott, ich bin das Werk Deiner Hände (Ps 138,8)!
5. Da ich also nichts bin, will ich mich nicht mehr selbstgefälligen Gedanken überlassen. - Wessen willst du dich denn rühmen, Staub und Asche? Ein wahres Nichts bist du; womit kannst du dich brüsten? (Sir 10,9). - Ich will mich demütigen und dies und jenes tun, diese oder jene Verachtung ertragen. Ich will mir der Ehre bewußt sein, daß er mir die menschliche Natur geschenkt hat, und sie ausschließlich zur Erfüllung seines Willens gebrauchen; dazu will ich mich aller Mittel bedienen, die mein Seelenführer anraten wird.
Schluß. 1. Dank: Meine Seele preise den Herrn und mein Herz lobe seinen heiligen Namen (Ps 102,1), denn seine Güte hat mich aus dem Nichts gezogen, seine Barmherzigkeit hat mich erschaffen.
2. Aufopferung: Mein Gott, ich opfere Dir das Sein auf, das Du mir gegeben; ich schenke und weihe Dir mein Herz.
3. Bitte: Gott, stärke meine Empfindungen und Entschlüsse. Heilige Jungfrau, empfiehl sie der Barmherzigkeit Deines Sohnes, wie auch alle, für die ich beten soll. Vater unser. Gegrüßt seist Du, Maria.
Nach der Betrachtung geh ein wenig auf und ab. Pflücke einen kleinen Blumenstrauß aus deinen Erwägungen, an dem du dich tagsüber erquicken kannst.
Zweite Betrachtung: Unser Ziel.
Vorbereitung: Versetze dich in Gottes Gegenwart. Bitte, daß er dich erleuchte.
Erwägungen 1. Gott hat dich in das Leben gerufen, nicht etwa weil er dich gebraucht hätte; du kannst ihm doch nichts nützen. Er hat dich geschaffen, einzig um an dir durch das Geschenk seiner Gnade und seines Reichtums seine Güte zu betätigen. Deshalb gab er dir den Verstand, ihn zu erkennen; das Gedächtnis, dich seiner zu erinnern; den Willen, ihn zu lieben; die Phantasie, seine Wohltaten dir vorzustellen; die Augen, seine wunderbaren Werke zu sehen; die Zunge, ihn zu preisen; deshalb gab er dir auch all die anderen Fähigkeiten.
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