„Wie du gelacht hast, in der Situation. Und gleich danach lässt du mich an deinem übergroßen Schmerz teilhaben, das … das macht mich einfach sprachlos. Du machst mich sprachlos, verdammt hilflos.“
„Das war nicht meine Absicht.“
„Nein, ich weiß. Du bist einfach so. Zeigst du mir noch das… euer Haus?“
Ihr erster Impuls war, Nein zu sagen, und so sagte Mara erst einmal gar nichts, trank langsam und nachdenklich ihren Tee aus. Euer Haus. Sandar hatte ihr die Papiere, die Urkunde, gestern Abend gebracht. „Es ist mein Haus, er hat es mir nach unserer Heirat, hm, überschrieben … Heißt das so?“
Ivorek nickte nur und streckte ihr die Hand entgegen. „Na komm.“
Es war nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte, nicht ganz, vielleicht, weil sie nicht allein war, vielleicht, weil Davian – Mara nahm nicht an, dass noch jemand hier gewesen war – das Haus in einem ordentlichen Zustand zurückgelassen hatte. Vielleicht aber auch, weil nach mehr als anderthalb Monaten sein Tod etwas wirklicher, Teil ihres Lebens geworden war. Ein Gedanke, vor dem sie zurückschreckte.
„Warum willst du dir das Haus eigentlich ansehen?“ Sie setzte sich auf eine der unteren Treppenstufen und beobachte Ivorek, der sich interessiert umsah.
„Ich wollte es mal kau…“
„Ich werde nicht verkaufen.“
„Nein, natürlich nicht. Das hätte mich jetzt auch sehr gewundert. Aber ernsthaft, ich hatte tatsächlich mal vor, es zu kaufen. Doch der damalige Besitzer wollte nicht verkaufen, und ich habe ihm einen guten Preis geboten, besser, als so manch anderer. Der Mann meinte nur stur, er wolle es dereinst seinem Neffen vermachen.“
„Ja.“
Ivorek runzelte die Stirn. „Wieso ja?“
„Hat er. Es seinem Neffen vermacht.“
„Mara, das kann nicht… Der Kerl war Ostländer, ein Gewürzhändler oder so.“
„Ja, ich weiß. Und?“
„Aber … Nee. Das ist nicht wahr, Davian war kein…“
Einen Moment lang war Mara versucht zu lachen. „Du wusstest das nicht? Seine Mutter war eine Kalimatan.“
Ivorek ließ sich bedächtig neben ihr nieder. „Ich glaube, du solltest mir irgendwann mal von diesem Mann erzählen, mit dem du verheiratet warst, denn offenbar kenn’ ich ihn überhaupt nicht.“ Er rieb sich die Stirn. „Es gab mal, is’ schon Jahre her, solche Gerüchte, doch die sind sehr schnell wieder verstummt. Niemand legte sich gern mit Davian an.“
„Aber es ist die Wahrheit.“
„Die mir ein dahergelaufenes Mädchen aus der Provinz erzählen muss?“
„Welcher Provinz? Ich komme aus dem Süden, noch jenseits der Tameran-Kette, aus dem Wildewald.“
„Eben …“ Er lächelte weich. „Provinz, wildes Land, ein Mädchen aus den Wäldern, ein Waldmädchen.“
„Ich bin kein Waldmädchen.“ War nur fasziniert von seiner Stimme, dem Auf und Ab seiner Stimme, seinem eindringlichen Blick, dem Lächeln in seinen Augen.
„Was bist du dann?“
Sie wusste es nicht, hier, jetzt? Nur Begehren, Verlangen, Sehnsucht, sie hätte es nicht sagen können, schlang die Arme um seinen Nacken und küsste ihn. Und er küsste sie.
Mehr passierte nicht. Sie küssten sich, fast schon zurückhaltend, und der Wind – tatsächlich ein heftiger Wintersturm – tobte ums Haus, dass dieses ächzte und schauderte. Ivorek ließ sie sacht los. „Ich nehme an, da oben ist nur ein Bett?“
„Hm, und womöglich liegt der Kater drauf.“
„Auch noch.“ Er grinste unterdrückt. „Dann werd' ich wohl die Couch nebenan nehmen. Oder wirfst du mich raus?“
Sie zögerte. Nicht, weil sie auch nur einen Moment erwog, ihn weg zu schicken, sondern weil sie sein Vorschlag, unten zu schlafen, erstaunte. „Bei dem Sturm? Ganz sicher nicht.“
* * *
Patrouille in den Straßen der Hauptstadt: lästige Routine oder liebgewordene Pflicht, oder umgekehrt. Claris lachte leise in sich hinein und schloss die Riegel und Schnallen der schweren Weste, auch das inzwischen bald zu vertraut. Er nickte Karista zu, bevor sie das Gebäude verließen. Der alte Pedro schloss sich ihnen mit mürrischer Miene an: das am wenigsten beeindruckende, unwahrscheinlichste Trio, das die Stadtwache aufzubieten hatte.
„Was grinst du so?“, fuhr ihn Karista schlechtgelaunt an. „Stelldichein mit deiner kleinen Freundin?“
„Nee, nichts“, erwiderte Claris ungerührt. Er hatte keine Freundin, und falls, hieß sie nicht Toni, auf die Karista anspielte, hatte keinen tieferen Grund für seine gehobene Stimmung; er fühlte sich schlicht … gut. Nicht nur am Leben, sondern lebendig. Vielleicht lag es am Wetter, der wie aufgewühlt wirkenden Luft; ein Sturm zog auf, fauchte und hieb ihnen mit Gewalt entgegen, als sie über den Marktplatz marschierten. Claris Schritte knirschten auf der rutschigen Schicht aus Hagel und Schnee, die das Kopfsteinpflaster bedeckte.
Die letzten Händler räumten geschwind ihre Buden und Stände zusammen, nur raus aus dem Wind, der Kälte, sammelten die unverkauften Waren ein; verdorbenes blieb einfach liegen. Zur Freude der Bettler, die sich gierig darauf stürzten. Heute gab es, wohl auch ob des widrigen Wetters, keine wüsten Streitereien um die Reste, gar Prügeleien, die er auch schon erlebt hatte, die Wache musste nicht eingreifen. Jeder wollte nur schnell ins Warme, in eine geschützte, leidlich trockene Unterkunft; er sehnte sich jetzt schon danach, in sein Bett in der engen, kleinen Kammer krabbeln zu können. Später, erstmal mussten sie die ‚kleine Abendrunde‘ abgehen.
Der Wind wurde immer heftiger, pfiff und jaulte um die Ecken, zerrte und riss an allem, was nicht ordentlich befestigt war und peitschte auch auf die verfrorenen Wächter ein; Claris spürte seine Finger kaum mehr, die Ohren und die Haut seiner Wangen waren ganz taub.
„Es bringt nichts“, sprach endlich der alte Pedro die erlösenden Worte. „Das wird nur noch schlimmer. Wir sollten Schluss machen.“
Sie scharrten sich mit einem halben Dutzend anderer im Schutz eines Windfangs, der Hagel trommelte über ihren Köpfen aufs Dach. Zufällig der Eingang zum ‚Stiefel‘, einer bei den Wächtern recht beliebten, da billigen Taverne.
„Kommst du mit?“, forderte Karista ihn mit einem Kopfnicken auf. Sie bibberte vor Kälte, Wasser rann ihr aus dem Haar, über das Gesicht.
„Ich…“ Claris sah ein bekanntes Gesicht im Gedränge, ein Mund, der sich zu einem schüchternen Lächeln verzog, als das Mädchen seinen Blick bemerkte. Gleich ihm war Toni vorm Krieg geflohen, die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihnen, und Elias, den er direkt an der Eingangstür bemerkte, war angeblich häufiger im ‚Stiefel‘; er selbst, Claris, war die Verbindung, das Band. Er zog unwillkürlich den Kopf ein, als das Dach vernehmlich knackte, und drängte sich zu Toni durch, legte ihr auffordernd den Arm um die Schultern. „Klar, wir kommen.“
Elias hatte sie… ihn ebenfalls bemerkt und hielt ihm breit grinsend einen Sitzplatz an einem Tisch in der übervollen Schankstube frei. „Mein liebster Mit-Wächter … trinkt deine kleine Freundin Bier oder lieber einen schönen, heißen Punsch?“
„Bin ich deine Freundin?“, fragte Toni stirnrunzelnd nach und setzte sich.
„Scheint so.“ Claris lachte ihr zu und zwängte sich dicht neben Elias auf die Bank. „Also? Ich lad‘ dich ein.“ Dafür würde sein Geld noch reichen, und zur Not konnte er sich ja was von Elias leihen. Der hatte erstaunlicherweise immer Geld in der Tasche und war, jedenfalls ihm gegenüber, ziemlich großzügig, obwohl er auch nur ein einfacher Wächter war.
Claris wusste wenig über den Mann, angeblich schon seit Jahren bei der Stadtwache, seinen Hintergrund, er wusste noch nicht einmal, ob Elias Familie, eine Ehefrau, gar Kinder hatte; er konnte es sich schwer vorstellen.
Er mochte... nein, korrigierte sich Claris in Gedanken, er schätzte die Dunkelheit in der engen Schlafkammer, die Stille, es war wie eine kleine, abgeschlossene Welt. Draußen, da waren das Getöse, die Hektik und das Durcheinander der Stadt, jetzt noch viel mehr, das Wüten und Brüllen des Sturms. Hier nur der Mann, Elias, und er, ihrer beider Atem, das leise Knarzen, wenn der andere sich auf der kargen Bettstatt bewegte.
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