Die Fotos und das gemalte Bild gaben mir so immense Kraft und einen Riesenschub an Motivation!
Eine erste Bilanz – collateral damage
Die Wochen auf der Intensivabteilung im Unfallkrankenhaus waren die wohl intensivsten meines Lebens. Die Agonie hat mir alles abverlangt. Geprägt vom Kampf ums Überleben war mein Körper ausgelaugt und leer. Obwohl man sich nicht bewegt, arbeitet der Körper ständig auf Hochtouren. Er ist rund um die Uhr damit beschäftigt, die durch den Unfall gebrochenen, zerfetzten, geprellten, zerplatzten Körperteile so gut wie möglich wiederherzustellen. Die Ärzte haben ihr menschenmöglichstes gegeben – nun ist der Körper an der Reihe die Selbstheilungskräfte zu aktivieren.
Soviel ich in den Tagen nach dem Aufwachen von den Ärzten und Pflegern mitbekommen habe, war Folgendes bei mir kaputt: Mehrere Wirbel waren gebrochen (der 12. Brustwirbel komplett zersplittert), das Rückenmark wurde dabei stark in Mitleidenschaft gezogen. Es lag eine Trümmerfraktur im Bereich des Beckens vor, das linke Sprunggelenk ebenfalls gebrochen. Die Lunge wurde gequetscht, die Harnblase war gerissen. Erst in Bad Häring habe ich dann erfahren, dass ich mir auch zusätzlich 2 Rippen gebrochen hab (die anscheinend nach meinem Intensivaufenthalt schon wieder halbwegs verheilt waren) und knapp 1 Jahr später hat mir ein Arzt mitgeteilt, dass laut Unfallbericht auch mein Brustbein gebrochen war! Davon hatte ich vorher nie etwas gehört und weiß bis heute nicht genau, ob dies nun tatsächlich so war. Nun, bei der Vielzahl der Verletzungen ist es auch egal, ein Bruch mehr oder weniger… Also bei einem Auto würde man wohl sagen: Totalschaden – am besten gleich verschrotten!
Im Dezember 2012 hatte ich mir den detaillierten Unfallbericht des Unfallkrankenhauses Linz angefordert. Er umfasst 128 (!) Seiten.
Unfallort: Außengelände des Krankenhauses Wagner-Jauregg
Unfallzeitpunkt: 07.07.2011 – ca. 18.00 Uhr
Unfallhergang: Sturz aus 4m Höhe – Verletzung in Bereich des Brustkorbes und im Bereich der Wirbelsäule. (Notarzt Rotes Kreuz/Schockraum)
Ergänzung am 08.07.2011: Unfall ereignete sich angeblich in suizidaler Absicht
Diagnose (Die Diagnose mit ihren vielen lateinischen Fachausdrücken habe ich mir mal übersetzt):
Der Bericht liest sich für mich spannend wie ein Krimi – teilweise bekam ich beim Lesen Schweißausbrüche und mir wurde übel:
„… es zeigt sich die Dura (Anmerkung: Rückenmarkshaut) zerrissen und Rückenmarksanteile aus der Dura heraushängend… das Scrotum (Hodensack) zweifaustgroß aufgebläht…
… gegen Mitternacht extubiert der Patient sich selber und wird umgehend wieder intubiert. Daraufhin Schutzfixierung der Hände… “
Die durchgeführten Operationen:
07.07.2011 – 08.07.2011:
Spondylodese (Wirbelkörperversteifung) von TH11 bis L1 aufgrund Berstungsbruches des 12. Brustwirbelkörpers; Harnblasennaht nach Einriss der Harnröhre und Riss der Blase, Sprunggelenksfraktur mit Bohrdrähten vorübergehend fixiert;
Operationsbeginn / -Ende / -Dauer: 21.51 / 03.03. / 05.12
Anästhesiebeginn / -Ende/ -Dauer: 19.56 / 04.12. / 08.16
09.07.2011:
Bauchseitige (von vorne operierte) Versteifung der Verrenkung/Verschiebung mit Bogenbruch der Wirbeln C 2/3 (Halswirbeln), mit Knochenspan (Beckenspannentnahme rechts) und Platte versorgt.
Operationsbeginn / -Ende / -Dauer: 13.59 / 14. 59 / 01.00
Anästhesiebeginn / -Ende/ -Dauer: 13.28/ 15.21 / 01.53
13.07.2011:
Tracheostomie (Luftröhrenschnitt)
Operationsbeginn / -Ende /-Dauer: nicht bekannt
Anästhesiebeginn / -Ende/ -Dauer: nicht bekannt
19.07.2011:
Cage-Implantation (Titanwirbel) TH12, Vorderer Beckenring- und Schambeinverplattung (Bruch des oberen u. unteren Schambeinastes links, Schambeinfugensprengung); Verplattung des Kreuzbeines;
Operationsbeginn / -Ende /-Dauer: 08.29 / 11.23 / 02.54
Anästhesiebeginn / -Ende/ -Dauer: 07:11 / 11.54 / 04.43
25.07.2011:
Das linke obere Sprunggelenk mit 4 Schrauben fixiert + Unterschenkelspaltgips
Operationsbeginn / -Ende /-Dauer: 16.47 /18.53 /02.06
Anästhesiebeginn / -Ende/ -Dauer: 16.38 / 19.21 /02.43
Operationsdauer gesamt: 11 Std. 12 min
Anästhesiedauer gesamt: 17 Std. 35 min
Fazit: „Hals- und Beinbruch“ braucht man mir in Zukunft nicht mehr zu wünschen. Ich lehne dankend ab – denn das hatte ich nun schon hinter mir!
In einen weiteren meiner wirren Träume sehe ich mich während einer Operation in irgendeiner engen Schlucht in den Alpen auf einer Kreissäge liegen, mit der mein betäubter, regungsloser Korpus - wie tote Schweinehälften in einer Schlachtfabrik - zersägt und dann wieder notdürftig mit rostigen Riesennadeln zusammengeflickt wird.
Die ersten Tage waren auch geprägt von der Angst und der schrecklichen Vorstellung wie mein Körper nun aussehe. Ich getraute mir keinen Blick unter die Bettdecke, geschweige denn unter das Spitalshemd zu werfen. Ich glaubte, ich sei übersät von Narben, die sich kreuz und quer über mich ergötzen und in blau-violett-roten Farben dahin wuchern. Langsam, und mit zittriger Hand fasste ich schlussendlich meinen ganzen Mut zusammen und hob das kleinkarierte Leinenhemd etwas hoch. Zu meiner großen Erleichterung waren an der Vorderseite des Oberkörpers bis auf ein paar kleine Pflästerchen keine Narben und Hautnähte zu erkennen. Ein tiefer Blick zeigte meine extrem geschwollenen Oberschenkel in Kompressionsstrümpfe gezwängt. Wie dicke, starre Betonrohre lagen sie da, unbewegbar, taub, als gehörten sie nicht weiter zu mir.
Man fühlt sich so hilflos als Gefangener im eigenen Körper. Da liege ich im Bett – nur zwei Meter neben mir eine Zeitschrift, die mir ein Pfleger gebracht hatte: Es beginnt ein innerer Kampf in mir zu toben – ich gegen meinen Körper! „Komm schon, es sind doch nur ein paar kleine Bewegungen – aufstehen, drei kurze Schritte hin, drei kurze Schritte zurück, niederlegen!“ Er verweigert seinen Dienst, sosehr ich befehle, auffordere, ermutige, ansporne, … bitte, bettle, flehe…
Wenn man den ganzen Tag (und vor allem auch nachts!) - unfähig sich zu bewegen - auf dem Rücken liegt, auf die Decke starrt, und zum gefühlten dreitausendsten Mal zählt, wie viele Schlitze der Lüftungsschacht da oben hat (es sind sechzehn – das nur so nebenbei), wird die Zeit zur Qual. Der Lüftungsschacht in Form eines Ventilators brannte sich regelrecht in mein Gehirn – auch im Dunkeln und bei geschlossenen Augen verschwand er nicht in meinem inneren Bild. Doch man hat Zeit zum Nachdenken – schier unerschöpflich viel Zeit …. Gedanken über Vergangenes und über die Zukunft…
Über drei Wochen wurde ich künstlich ernährt. Thomas, ein tschechischer Pfleger, versorgte mich säckeweise mit der weißen Flüssigkeit, die mir intravenös verabreicht wurde – „Nun, was wünschen Herr Pammer heute? Wiener Schnitzel mit die Pommes oder lieber die böhmisches Gänsebraten?“, versteckte sich ein schelmisches Lächeln hinter seinem Dreitagebart. Die ersten Bissen der „normalen“ Nahrung waren dann ein Graus. An einem Stück Frühstückssemmel kaute ich minutenlang rum. Es hatte den Anschein, als würde mit jedem Mal kauen und bei jedem Schluckversuch das Brot mehr in meinem Mund. Ich konnte kaum Speichel produzieren – irgendwie, irgendwann rutschte der halbtrockene Teigklumpen dann doch den Hals runter, der Brechreiz schickte ihn umgehend wieder retour! Mir graute vor den Mahlzeiten. Am Abend erhielt ich Magerschinken und Käse, garniert mit einer kleinen Essiggurke. Eine Scheibe Wurst würgte ich runter. Den Rest verweigerte ich, bis auf einen Bissen der Gurke. Doch gleich nachdem ich mir ein kleines Stück in den Mund geschoben hatte und zu kauen begann, spuckte ich es aus. Ich empfand es als extrem sauer und bitter - es brannte im Hals. Meine Geschmacksknospen waren überreizt und wegen der Intubation und der Halswirbel-OP (dabei wurde von vorne der Hals geöffnet und der Rachen aufgeschnitten) alles verletzt und noch nicht ganz verheilt. Wegen der sehr geringen Mengen, die ich durch die Nahrung zu mir nahm, erhielt ich vorerst zusätzlich noch einmal täglich „die Wiener Schnitzel“ von Thomas.
Читать дальше